Das große Faszinosum an Verdis Macbeth ist in aller Regel die Lady, die mit dem Anglizismus „bitch” vielleicht am besten umschrieben ist. Skrupellos, böse – und trotzdem schauen und hören wir wie gebannt zu, wenn sie ihre Auftritte hat: Sie ist der Star der Show. Es sei denn, man stellt ihr jemanden wie Simon Keenlyside in der Titelpartie zur Seite…

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Simon Keenlyside (Macbeth)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Kluge Krafteinteilung erlaubte es Keenlyside am Haus am Ring, von Anfang bis zum Ende keine Schwächen zu zeigen, und man braucht auch gar kein Fan zu sein, um anzuerkennen, dass Macbeths Sterbeszene erschreckend echt wirkte. Eher diskutieren kann man, ob „Pietà, rispetto, amore“ ebenso lebensecht, also emotional-brüchig und leicht temporeduziert sein soll. Wer Oper (auch) der großen Gefühle wegen liebt, wird von Keenlysides Ansatz hingerissen sein und sie nicht gegen den traditionellen, aber auch recht artifiziellen „Schöngesang“ dieser Arie eintauschen wollen.

Apropos groß: Manche mögen zwar an dieser Inszenierung die große Geste vermissen, aber die Art und Weise, wie Barrie Kosky aus Verdis und Piaves/Maffeis Ansatz wieder das Shakespeare’sche Kammerspiel macht, ist beeindruckend. Er politisiert nicht, sondern erzählt einfach die berühmte Geschichte, in die man ebenso viel hineinprojizieren kann wie in den Ring des Nibelungen. Der nachtschwarze Bühnenraum erhält durch vier Leuchtachsen, die von den Ecken des vorderen Bühnenrands gegen den Hintergrund zusammenlaufen, Tiefe und Struktur. Die Auftritte des Chores kommen daher manchmal aus dem Dunkel wie böse Gedanken, und manchmal bleibt der Chor auch ganz verborgen. Dass die Einsätze trotzdem gut funktionieren, spricht für die gute Einstudierung.

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Simon Keenlyside (Macbeth) und Anna Pirozzi (Lady Macbeth)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Ironischerweise wirkt Macbeth durch diese Reduktion viel überzeugender als eine konventionelle Inszenierung, in der sich zwischen operettenhafter Opulenz (und Musik, die sich teilweise in einem Wiener Neujahrskonzert auch ganz gut machen würde) oft eine nicht mehr zu überbrückende Distanz zu dem finsteren Macbeth-Stoff auftut. Demgegenüber wird der Horror in Koskys Lesart durch die feingliedrige und rhythmisch spritzige Komposition noch verstärkt. Damit ist diese Deutung viel näher am Gedanken der Komposition, die den seinerzeitigen Inszenierungskonventionen weit voraus war. Zudem ist Kosky ein Meister darin, mit kleinen Dingen große Wirkung zu erzielen, etwa wenn der Flüchtlingschor verschleiert auftritt und nur nach und nach einzelne Gesichter enthüllt werden – Symbol dafür, dass auch eine scheinbar unbekannte Menschenmasse aus Individuen besteht. Auch die Krähen in dieser Inszenierung machen Sinn. Sie sind schwarz und schlau, und weil sie aasfressende Galgenvögel sind, kann man durchaus eine Parallele zu den Macbeths ziehen, die Nutzen aus Toten bzw. Ermordeten ziehen.

Anna Pirozzi war als Lady Macbeth zwar in Form, doch hätte es neben Keenlyside jemanden mit mehr Strahlkraft gebraucht. Bei Pirozzis Lady klang die Tiefe zwar nicht immer überzeugend, aber ihre Spitzentöne hatten es in sich – man möchte nicht einmal Maus im Hause Cawdor/Caudore sein, wenn die Lady ihre Launen am Personal auslässt. Das kommt zwar im Stück nicht vor, doch drängten sich solche Assoziationen auf. Zusätzlich beschlich einen bei Pirozzis Darstellung noch ein ganz anderer Gedanke: Hat Macbeth ein Mutter-Problem, spiegelt die Lady nicht nur einen Anteil seiner Persönlichkeit, ist sie nicht vielleicht auch eine Übermutter, der er gehorchen muss? Dieser Aspekt an Shakespeares Schöpfung wird meist zu wenig beleuchtet, und dass er ausgerechnet an diesem Abend besonders deutlich wurde, war vielleicht nicht einmal beabsichtigt, aber doch ein schönes Beispiel dafür, welche Eigendynamik ein Stück mit verschiedenen Besetzungen entwickeln kann.

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Simon Keenlyside (Macbeth) und Freddie De Tommaso (Macduff)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Das Verhältnis der beiden Macbeths hat ja eine nicht unwesentliche sexuelle Komponente, doch fehlte diese am besprochenen Abend weitgehend. Die Sinnlichkeit beschränkt sich bei Pirozzi auf den großen Auftritt im zweiten Akt, die Erotik der Macht. Andernorts scheint diese Ehe zumindest ihrerseits im Verhandlungs- wenn nicht Kommandomodus angekommen. Zu diesem Eindruck trägt auch ihr individuelles Timbre bei, das eher sehnig-muskulös als verführerisch-üppig klingt. Wenn dann Macbeth geradezu kindlich Zuflucht in den Rockfalten dieser dominanten Gestalt sucht, wird vieles klar.

Die übrigen Sänger agierten auf Höhe der Anforderungen, wobei Riccardo Fassi als Banco und Freddie de Tommaso als Macduff für die Hits „Come dal ciel precipita“ bzw. „Ah, la paterna mano“ erwartungsgemäß Szenenapplaus bekamen. Dass Macduffs Verzweiflung eher laut denn piano daherkam, störte nicht, war sogar ein wirkungs- wie sinnvoller Kontrast zum verhaltenen Bühnenschwarz.

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Simon Keenlyside (Macbeth)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Im Gegensatz zu Macduffs Ausbrüchen wurde man mit dem, was Giampaolo Bisanti an Lautstärke servierte, nicht immer ganz froh, auch wenn das Dirigat per se nicht sängerunfreundlich war. Teilweise fehlte es an Geschmeidigkeit, an Italianità, und daran war das Staatsopernorchesters auch nicht unbeteiligt. Die reinen Orchesterstellen klangen mitunter wie Dienst nach Vorschrift, da wäre mehr möglich gewesen. Stark hingegen der Chor, der auch die Herausforderungen der Regiearbeit meisterte. Vieles von den dunklen Bühnenseiten singen zu müssen ist wohl nicht einfach, fühlt sich wahrscheinlich auch undankbar an. Andererseits entstehen gerade dadurch mystische bis beklemmende Effekte, zumal die Stimmen ausgewogen und fokussiert klangen. Daher ganz ausdrücklich Lob und Dank für diese Leistung.

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