Jonas Kaufmann erfreut in Rokoko-Kostüm mit strahlenden hohen Bs.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Es gibt dreistündige Opernaufführungen, bei denen man am Ende der zweiten Pause den Eindruck hat, man befinde sich seit mehreren Tagen im Haus. Wobei die Wiederaufnahme von Umberto Giordanos Revolutionsoper Andrea Chénier in der Staatsoper im Großen und Ganzen eine solide Angelegenheit war.

Gut: Die rund 40 Jahre alte Inszenierung (nach Otto Schenk) ist szenisch abwechslungsarm und bietet anfangs einen Kostümrausch von ernüchternder Wirkung. Francesco Lanzillotta war als Dirigent kein Quell der Inspiration, hielt den Laden aber einigermaßen zusammen. Das Staatsopernorchester wirkte nicht gerade überprobt, selbstverständliche Souveränität klingt anders. Die nahende Meistersinger-Premiere scheint substanzielle Kräfte zu binden.

Jonas Kaufmann präsentierte seinen Tenor in der Titelpartie wie eine kostbare, schutzbedürftige Antiquität von edler Faktur und schlankem Korpus, Farbton Nussbaum poliert. Der Startenor deckelte seine Dynamik zumeist bei einem milden Forte.

Strahlende hohe Bs

Immer genau dann, wenn man sich nach einem etwas forscheren Vokalvorgehen sehnte (Stichwort: Vittorio Grigolo), haute der 53-jährige Kaufmann jedoch ein strahlendes hohes B raus. Auch Kunststücke wie ein endloses, aus dem Pianissimo ins Fortissimo prosperierendes hohes As ("Ora soave" im Zweiten Bild) machten staunen.

An der Seite des Deutschen setzten auch Maria Agresta (als Maddalena) und George Petean (als Gérard) primär auf Verlässlichkeit. Als um Leib und Leben bedrohte Aristokratin gefiel die Italienerin vor allem mit gefühlvollen lyrischen Kantilenen. Der helle, ebenmäßige Bariton des Rumänen passte besser zu den servilen Anfängen der Figur als zum flammenden Revoluzzertum.

Schöne Momente bot Isabel Signoret als Bersi; Monika Bohinec drückte als opferbereite Oma Madelon angenehmerweise einmal nicht voll auf die Tube. Fast erfrischender als Kaufmann: Jungspund Jusung Gabriel Park als Schmidt. Jubel. (Stefan Ender, 2.12.2022)