An der Staatsoper verlegt Regisseur Satoshi Miyagi die Jugendoper „Mitridate“ von Mozart nach Japan.

Die Barocktage an der Staatsoper Unter den Linden zeigen eine Oper des 14-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart. „Mitridate, Re di Ponto“ spielt eigentlich auf der Halbinsel Krim am Schwarzen Meer. Der titelgebende sagenhafte König ist ein Herrscher, der angesichts eines verlorenen Kriegs und drohenden Machtverlusts wild um sich schlägt und am Ende nur den Selbstmord als Option sieht. Die Analogien zu derzeitigen weltpolitischen Geschehnissen in eben dieser europäischen Region sind nicht von der Hand zu weisen. Regisseur Satoshi Miyagi verlegt die Handlung stattdessen in eine goldene Welt japanischen Kabuki-Theaters. Der Abend wird von Marc Minkowski und seinen Musiciens du Louvre musikalisch engagiert und farbenreich gestaltet.

Der junge Mozart bekam auf einer Italienreise den Auftrag, für die Karnevalssaison 1770 in Mailand eine Opera seria zu schreiben – jene Musiktheaterschinken des Ancien Régime, mit deren stundenlangen Götter- und Heldengeschichten sich der Adel in den europäischen Metropolen im 17. und 18. Jahrhundert vergnügte und seiner selbst vergewisserte.

Wiewohl sich Regisseur Miyagi mit seiner Mischung aus japanischen Adelsriten und Erinnerung an die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg programmatisch sehr viel aufgeladen hat: Die italienische Opera seria und das japanische Kabuki-Theater haben schlagende Gemeinsamkeiten. Davon liefert gleich zu Beginn die Sopranistin Ana Maria Labin in der Rolle der Aspasia eine Kostprobe. Aspasia ist die junge Verlobte des Königs Mitridate. Gemeinsam mit Mitridates Söhnen Sifare und Farnace in Gestalt von zwei Samurai in goldenen Rüstungen wartet sie in der Residenz an der Schwarzmeerküste auf die Rückkehr des Herrschers, der gegen Rom Krieg führt.

König Mitridate lässt seiner Familie die Nachricht seines Todes übermitteln

Als der noch ferne Mitridate in der Familie die Nachricht von seinem Tod verbreiten lässt, geht es zuhause rund: Dort führt das vermeintliche Machtvakuum zu jenen Kämpfen um Macht und Sex, wie sie für die Barockoper typisch sind: Mitridate-Sohn Farnace bedrängt die nun „frei gewordene“ Aspasia, diese liebt aber Farnaces rechtschaffenen Bruder Sifare. Sängerin Labin fällt nicht nur durch höchst lebendige Koloraturen und am Ende durch eine packend-finstere Ombra-Arie mit dem Giftbecher in der Hand auf – sie weist Farnace zudem anfangs mit einer Geste aus dem Kabuki-Theater ab: Mit ablehnend ausgestrecktem Arm trippelt sie rückwärts über die Breite der Bühne, ohne dass ihr der Begehrende überhaupt folgen würde. Interaktion soll in dieser Ästhetik nicht sein: Opera Seria wie Kabuki-Theater haben das Statische, Rituelle, Berührungslose für ihre Protagonisten kultiviert. So etwas kann inspirieren, aber auch Ausrede für Regisseure sein, die Sänger einfach machen zu lassen – was im weiteren Verlauf des Abends leider oft passiert.

Szene aus Satoshi Miyagis Inszenierung von Mozarts „Mitridate“ an der Staatsoper.
Szene aus Satoshi Miyagis Inszenierung von Mozarts „Mitridate“ an der Staatsoper. © Bernd Uhlig

Die von Junpei Kiz in riesigen Stufen gestaltete Bühne könnte zu der fernöstlichen Annäherung an Mozart einiges beitragen. Was könnte man auf dieser Bühne nicht alles veranstalten, was nicht nur der Kabuki-Idee, sondern zugleich den psychologischen Spannungen auf die Sprünge helfen könnte: Wie in einer Matrix könnten sich die Personen bewegen, entsprechend den Machtunterschieden, die durch ihre Position im aristokratischen Gefüge einerseits, durch die Macht der Gefühle andererseits entstehen.

König Mitridate steht zwar meistens über allen Anderen, hat aber privat und beruflich nicht viel Glück. Schon bei Jean Racine, nicht erst bei Mozart, ist diese erodierende Potenz des traurigen Herrschers der Kern des Dramas – dazu sollte man sich wohl als Opernmacher verhalten. Mit den Motiven japanischer Naturmalerei ist dieses Bühnenbild vor allem dekorativ.

Da kann teilweise entschädigen, dass die Sängerinnen und Sänger das Drama in ihren Stimmen durchaus packend darstellen: Der empfindsame und erfolglose König Mitridate wirkt in seiner prunkvoll schweren Herrscherrüstung umso verlorener, als ihn der Sänger Pene Pati mit sagenhaft leisen, lyrischen Tönen ausstattet. Neben dem samoanischen Tenor Pati ist es der zweite männliche Hauptdarsteller des Dramas, der besonders durch stimmliche Charakterisierungskunst überzeugt: Der intrigante Prinz Farnace pflegt hinter dem Rücken seines Vaters Kontakte zum römischen Feind. Dem Altus Paul-Antoine Bénos-Djian werden von der Regie nicht gerade unbegrenzte Möglichkeiten eingeräumt, diese Durchtriebenheit darzustellen. Doch schon in seiner ersten Arie legt Bénos-Djian das Durchtriebene, Fahle, Schillernde in seine Stimme.

Eine reizvolle Bühnen-Idee, aber leider keine gute szenische Umsetzung

Mezzosopranistin Angela Brower in der Rolle von Farnaces Bruder und Konkurrent Sifare zeigt Unmittelbarkeit auch in der Darstellung – und auch, wie sehr lupenreine, pure stimmliche Technik für das Gesamtkunstwerk der Opera Seria entscheidend sind. Auch noch dann, wenn sie beim jungen Mozart in eine eigentlich unentschiedene Endphase eingetreten ist. Da kann man auch fragen, ob diese Oper jenseits einiger bezaubernder Einzelnummern wirklich in dem prominenten Rahmen der Barocktage als Ganzes aufgeführt werden muss – wenn für dieses durchaus gegenwärtig relevante Drama zwar eine reizvolle Bühnen-Idee, aber keine wirklich gute szenische Umsetzung entwickelt wird.

Staatsoper Unter den Linden, Mitte. Tel. Termine: 7., 9., 11. Dezember, Tel. 203 54-555