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Die Jungfrau von Orléans

Oper in vier Akten in der Fassung für Mezzosopran
Text vom Komponisten nach der romantischen Tragödie Die Jungfrau von Orléans (1801) von Friedrich Schiller
in der russischen Übersetzung von Wassili Andrejewitsch Schukowski, dem Drama Jeanne d'Arc (1869) von Jules Barbier und
dem Libretto von Auguste Mermet zu seiner Oper Jeanne d'Arc (1876)
Musik von
Peter Iljitsch Tschaikowsky

in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln 

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Düsseldorf am 3. Dezember 2022
(rezensierte Aufführung: 14.12.2022)


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Rheinoper
(Homepage)

Kirche als Schlachtfeld

Von Thomas Molke / Fotos: © Sandra Then

Jeanne d'Arc, die Jungfrau von Orléans, hat wie kaum eine andere historische Frauenfigur so viele Künstlerinnen und Künstler aller Gattungen inspiriert. Peter Iljitsch Tschaikowsky soll bereits als Achtjähriger von diesem Stoff derart fasziniert gewesen sein, dass er Jeanne ein Gedicht und ein Essay in französischer Sprache gewidmet hat, bevor er sich 1876 mit Schillers romantischer Tragödie in der russischen Übersetzung von Wassili Andrejewitsch Schukowski beschäftigte und beschloss, die Geschichte als Oper zu vertonen. Nachdem er die Komposition an Eugen Onegin abgeschlossen hatte, ging er zunächst nach Florenz, um Henri-Alexandre Wallons Buch über Jeanne d'Arc zu studieren, und reiste anschließend nach Paris, um sich mit Jules Barbiers gleichnamigem Drama und der an der Pariser Opéra 1876 uraufgeführten Oper Jeanne d'Arc von Auguste Mermet zu befassen. Im August 1879 vollendete er die Partitur und brachte die Oper am 25. Februar 1881 am Mariinsky Theater in St. Petersburg zu einer umjubelten Uraufführung. Dass der Erfolg dennoch relativ kurz war, mag mit einem Attentat auf Zar Alexander II. zusammenhängen, das zwei Wochen nach der Uraufführung verübt wurde und dazu führte, dass die Theatersaison vorzeitig beendet wurde. In der folgenden Spielzeit wurde die Oper nicht wieder aufgenommen und geriet allmählich in Vergessenheit. Auch heute stellt sie noch eine absolute Rarität dar. Eine Produktion bei den St. Galler Festspielen in diesem Sommer wurde von einflussreichen Geldgebern des Festivals verhindert, die es ablehnten, in der jetzigen Situation die Oper eines "russischen" Komponisten auf den Spielplan zu stellen. So wurde in St. Gallen Verdis Giovanna d'Arco gespielt. An der Deutschen Oper am Rhein ist man in der Spielplangestaltung etwas freier und präsentiert nun Tschaikowskys selten gespieltes Meisterwerk.

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Johanna (Maria Kataeva, rechts hinten) folgt dem Engel (Mara Guseynova, Mitte).

Auch wenn sich Tschaikowskys Oper enger an Friedrich Schillers Drama als Vorlage hält, als das bei Verdis Giovanna d'Arco der Fall ist, gibt es neben der Reduzierung der Charaktere einige Unterschiede, die Tschaikowskys Johanna fast näher an die historische Jungfrau von Orléans rücken, die im Hundertjährigen Krieg die Franzosen zu einem Sieg gegen die Engländer und die Burgunder führte, durch Verrat jedoch in Gefangenschaft geriet und auf Befehl des Herzogs Bedford am 30. Mai 1431 auf dem Marktplatz von Rouen wegen angeblicher Verstöße gegen die Gesetze der Kirche auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Zwar ist es in der Oper wie bei Schiller Johannas Vater Thibaut d'Arc, der anders als die historische Figur Jacques d'Arc seine Tochter anklagt, mit dem Teufel zu paktieren, und dafür sorgt, dass der König und das Volk die beinahe bereits als Heilige verehrte Johanna fallen lassen. Auch sind es in der Oper wie bei Schiller Johannas Gefühle zu dem englischen Ritter Lionel, die sie selbst an ihrer Mission zweifeln lassen. Während sich bei Schiller allerdings Johanna von Lionel lossagt und erneut die Schlacht zugunsten der Franzosen wendet, dabei allerdings tödlich verwundet wird, gibt sie sich bei Tschaikowsky am Ende ganz ihrer Liebe zu Lionel hin und träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit ihm, bevor Lionel getötet wird und Johanna wie die historische Jungfrau aufgrund des über sie gesprochenen Urteils verbrannt wird.

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Karl VII. (Sergej Khomov, Mitte) und Agnes Sorel (Luiza Fatyol) genießen trotz des Krieges das Leben, was Dunois (Evez Abdulla, rechts) nicht verstehen kann (links: Beichtvater: hier: Johannes Preißinger)).

Das Regie-Team um Elisabeth Stöppler lässt die komplette Handlung in einer Kirche spielen. Die Kostüme von Su Sigmund und die Maschinengewehre und Pistolen deuten an, dass die Geschichte in eine nicht genauer definierte Gegenwart verlegt wird. Einzig das große Schwert, das Johanna zu Beginn der Oper von einem Engel erhält, wirkt wie ein Relikt aus dem Hundertjährigen Krieg. Der graue Wollpullover, den Johanna trägt, erinnert optisch ein wenig an das Kettenhemd eines Kriegers. Der Engel, der Johanna erscheint, und ihr ihre Mission eingibt, wird von Stöppler optisch als Alter Ego Johannas in Szene gesetzt. So begleitet er sie durch das ganze Stück, erscheint zunächst während der Ouvertüre in strahlendem Weiß, das von Johanna übernommen wird und sie zu einer Lichtgestalt werden lässt, und ist am Ende blutüberströmt von den ganzen Soldaten, die Johanna im Kampf getötet hat. Auch ist es dieser Engel, der wie ein schlechtes Gewissen über die Bühne wandelt, wenn Johanna ihre Gefühle für Lionel erkennt und sich ihm am Ende hingibt. In den ersten beiden Akten geht das Konzept des Bühnenraums auf. So ist es gut nachvollziehbar, dass Johanna in der Kirche betend vom Engel, der am Altar in gleißendem Licht auftaucht, den Auftrag erhält, in den Krieg zu ziehen. Auch im zweiten Akt passt es, dass sich König Karl VII. mit seiner Mätresse Agnes Sorel in eine Kirche vor dem Kampf zurückgezogen hat und bei einem Beichtvater Trost sucht. Die Rolle des Beichtvaters ist von Stöppler in die Inszenierung eingefügt worden. Er übernimmt musikalisch einen Part des Chors im zweiten Akt. Die Security-Männer, die den König mit Maschinengewehren vom Volk abschirmen wirken allerdings ein wenig übertrieben.

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Johanna (Maria Kataeva, Mitte rechts) wird vom Volk (Chor) verehrt.

Während Stöppler bis zur Pause stellenweise auf große Tableaus setzt, die in Standbildern den hehren Charakter von Johannas Mission unterstreichen, geht der Ansatz nach der Pause nicht mehr auf. Die Kirche ist nun mehreren Angriffen zum Opfer gefallen und wirkt stark beschädigt. Die Kirchenbänke sind zu Bollwerken umfunktioniert worden, und zahlreiche Frauen und Kinder suchen in den Mauern Schutz vor den Angriffen der Feinde. Dieses einfache Volk zu Beobachtern der Liebe zwischen Johanna und Lionel zu machen, erschließt sich nicht wirklich, weil Johanna unter den Augen der ganzen Frauen sicherlich anders auf Lionel reagiert hätte, als sie es in dieser Szene tut. Auch der weitere Verlauf bleibt in der Personenregie unscharf. Mit einem Heldenbegräbnis wird Johannas Fall eingeleitet. Völlig unmotiviert tritt ihr Vater nun aus dem Nichts auf, um sie des Paktierens mit dem Teufel anzuklagen. Auch das Verhalten des Volkes bleibt undifferenziert. Wollen sie Johanna nun vor der Hinrichtung schützen oder glauben sie Thibaut? In der Liebesszene im vierten Akt blüht dann noch einmal kurz wahre Leidenschaft zwischen Johanna und Lionel auf, bevor ihrem Traum ein Ende gemacht wird. Lionel wird erschossen, und die ganze Kirche gerät in Brand. Wieso sich jetzt nur das restliche Volk aus den Flammen retten kann, während Johanna darin umkommt, lässt sich vielleicht noch so erklären, dass sie nach dem Tod ihres Geliebten keine Hoffnung mehr hat. Dass Thibaut jedoch am Ende Reue für sein Verhalten zeigen soll, passt wiederum nicht ins Bild.

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Liebe ohne Zukunft: Johanna (Maria Kataeva) und Lionel (Richard Šveda)

Bei allen fraglichen Regie-Einfällen lässt Tschaikowskys Musik keine Wünsche offen und blüht mit den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Péter Halász in großartigen Melodienbögen wahrhaft auf. Hier hört man, dass Tschaikowsky ein Meisterwerk geschaffen hat, dass man gerne häufiger auf den Bühnen erleben würde. Dabei hat es die Deutsche Oper am Rhein bei der 3. Aufführung dieser Produktion wahrhaftig nicht leicht gehabt, den Abend stattfinden zu lassen. Zum einen fiel Sami Luttinen, das langjährige Ensemble-Mitglied der Deutschen Oper am Rhein, krankheitsbedingt aus, so dass ein Ersatz für die Partie des Thibaut d'Arc gesucht werden musste. Hier hat man Kakhaber Shavidze vom Theater Erfurt gewinnen können, der die Rolle bereits bei den Dom-Stufen-Festspielen in Erfurt 2021 gesungen hat und daher kurzfristig einspringen konnte. Problemlos findet er sich in die Produktion ein und überzeugt mit dunklem Bass. Auch Beniamin Pop konnte aus gesundheitlichen Gründen die kleinere Partie des Bertrand nicht übernehmen. Baurzhan Anderzhanov aus dem Ensemble des Aalto-Theaters in Essen konnte kurzfristig einspringen und die Partie, die er bis dahin nicht kannte, einstudieren. Für eine szenische Umsetzung hätte die Zeit allerdings nicht mehr gereicht. Also singt Anderzhanov Bertrand von der Seite ein, während Spielleiter Haitham Assem Tantawy die szenische Umsetzung übernimmt. Dass der Chor ebenfalls krankheitsbedingt recht ausgedünnt ist, fällt bei der großartigen Disposition des Chors unter der Leitung von Gerhard Michalski nicht auf.

Unumstrittener Star des Abends ist Maria Kataeva in der Titelpartie. Mit einem vollen Mezzosopran, der zu großartigen dramatischen Höhen fähig ist, begeistert sie in der anspruchsvollen Partie stimmlich und darstellerisch. Optisch wirkt sie wie eine wahre Kämpferin, der man ihre Mission in jedem Moment abnimmt. Mit intensivem Spiel gestaltet sie Johannas inneren Kampf gegen ihre Gefühle für Lionel, dem sie sich schließlich doch hingibt. In der Mittellage verfügt Kataeva über kraftvolles Volumen und findet in den Höhen zu einer nahezu schwebenden Leichtigkeit. Richard Šveda gibt den Lionel mit markantem Bariton und stellt die Entwicklung vom Feind zum Geliebten absolut glaubhaft dar. Aleksandr Nesterenko punktet als Johannas Jugendfreund Raimond, der ihr stets treu zur Seite steht, von ihr aber zu keinem Zeitpunkt erhört wird, mit weichem, lyrischem Tenor. Sergej Khomov gibt den König Karl VII. als selbstverliebten Herrscher, der Johanna benutzt, solange sie ihm einen Vorteil bringt, und sie anschließend eiskalt fallen lässt. Luiza Fatyol gibt seine Geliebte Agnes Sorel mit kraftvollem Sopran und der gleichen Kälte und Selbstgefälligkeit. In den kleineren Partien ist noch Evez Abdulla als Heerführer Dunois hervorzuheben, der mit schwarzem Bass punktet. Die übrigen kleineren Partien runden die Ensemble-Leistung überzeugend ab, so dass es zu Recht großen Jubel für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Musikalisch ist Tschaikowsky Jungfrau von Orléans ein großartiges Werk, das man gerne häufiger auf den Opernbühnen sehen würde. Stöpplers Inszenierung hat allerdings eine Schwächen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Péter Halász

Inszenierung
Elisabeth Stöppler

Bühne
Annika Haller

Kostüme
Su Sigmund

Chor
Gerhard Michalski

Licht
Volker Weinhart

Dramaturgie
Anna Melcher

 

Düsseldorfer Symphoniker

Chor der Deutschen Oper am Rhein

Statisterie der Deutschen Oper am Rhein

 

Solistinnen und Solisten

*rezensierte Aufführung

Johanna von Orléans
Maria Kataeva 

Thibaut d'Arc
Sami Luttinen /
Kakhaber Shavidze

Raimond
Aleksandr Nesterenko

Karl VII.
Sergej Khomov

Agnes Sorel
Luiza Fatyol

Kardinal
*Alexei Botnarciuc /
Thorsten Grümbel

Dunois
Evez Abdulla

Lionel
Richard Šveda

Bertrand
Beniamin Pop /
*Baurzhan Anderzhanov (Gesang)
*Haitham Assem Tantawy (Spiel)

Beichtvater
*Alexander Fedin /
Johannes Preißinger

Lauret / (Ein Krieger)
Žilvinas Miškinis

Engel
Mara Guseynova

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutschen Oper am Rhein
(Homepage)



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