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Musiktheater im Revier Gelsenkirchen: Leoš Janáček, „Das schlaue Füchslein“. Foto: Bettina Stöß.
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen: Leoš Janáček, „Das schlaue Füchslein“. Foto: Bettina Stöß.
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Wo Leoš Janáčeks Farben subtil und detailverliebt funkeln – „Das schlaue Füchslein“ in Gelsenkirchen

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Die Advents- und Weihnachtszeit ist an den Opernhäusern auch immer die Zeit der Märchenopern für die ganze Familie. „Das schlaue Füchslein“ von Leoš Janáček im Gelsenkirchener Musiktheater hat das Zeug dazu, in dieser Saison diese Funktion zu übernehmen – trotz der Tatsache, dass hier keine „Heile Welt“ zu erleben ist, eher das Gegenteil.

Wenn auf der Opernbühne gelitten und gestorben wird, kann das oft sehr lange dauern und am Ende solch dramatischer Szenen ist man erschüttert und emotional zutiefst berührt. Auch in Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ wird gestorben: im 3. Akt fällt das titelgebende Füchslein der Flinte eines panisch gewordenen Wilderers namens Haraschta zum Opfer. Sein Schuss trifft – und Sekunden später liegt das Tier leblos am Boden. Doch im Unterschied zu Puccinis „Tosca“, Verdis „Rigoletto“ und all den anderen Opern mit tödlichem Ausgang ist das Sterben in Janáčeks „Füchslein“ kein definitives Ende, sondern ein ganz natürlicher Prozess eines Kreislaufs aus Werden, Bestehen und Vergehen. Das erlegte Tier bleibt quasi lebendig in Form der nächsten Generation. Und so streift auch zum Schluss der Inszenierung am Musiktheter im Revier in Gelsenkirchen ein quirliger Jungfuchs durch den Schwarzgrund.

Es sind Wälder, die Leoš Janáček in seiner mährischen Heimat vorfand und die er oft durchwandert hat; Wälder, die gleichermaßen von Menschen wie von allerlei Getier bevölkert sind. Regisseur Michael Schulz, seit 2008 Generalintendant des Gelsenkirchener Hauses, zeigt uns einen Lebensraum, in dem Natur und Kreatur Parallelen aufweisen. Heike Scheele baut ihm dazu ein ganz fantastisches Bühnenbild, auf dem die oft nur kurzen Sequenzen der Oper voll zur Entfaltung kommen können. Sanft schieben sich die halb naturalistisch, halb stilisierend geformten Bäume zur Seite und geben den Blick frei auf das Wirtshaus, auf die Hütte des Försters – voneinander abgegrenzt durch gleichzeitig horizontal wie vertikal bewegte schwarze Vorhänge, fast wie in einem Film. Ein Sternenhimmel senkt sich über den abendlichen Wald, eine riesige Kirchenglocke liegt wie ein Mühlstein auf dem Rücken des Pfarrers. Dies nur wenige Details einer Ausstattung, die auch dank der fantasievollen Kostüme von Martina Feldmann punkten kann und Michael Schulz‘ Inszenierung zu einem echten Hingucker machen. Grandios!

Janáček stellt in seinem „Füchslein“ Tiere und Menschen in den Fokus, fast allesamt Typen, die in ihrem tiefsten Inneren einsam (geworden) sind, ein unerfülltes Dasein fristen und auf je eigene Weise auch Macht ausüben wollen. Da sind der Förster und seine Frau, deren Beziehung schon lange keine mehr ist; der mit den im Raum stehenden Vorwürfen eines sexuellen Vergehens konfrontierte und deshalb seine Strafversetzung befürchtende Pfarrer; der ganz schön verklemmt wirkende Schulmeister; schließlich Haraschta, der sich nach der Ehe mit Terynka sehnt. Und bei den Tieren? Sie sind domestiziert und liegen wie der Dackel an Ketten oder werden als Hühner auf Produktion getrimmt. Da kommt Füchslein Schlaukopf, ein unbekümmertes Naturwesen, das seine Freiheit in vollen Zügen genießt, ganz im Hier und Jetzt lebt, ohne Fesseln, ohne Fremdbestimmtheit. Und vor allem ohne das einengende Gefühl, alles „im Griff“ haben zu müssen, das Leben akribisch zu planen und damit jede Spontaneität zu ersticken. Im Gegenteil: Füchslein findet seinen Partner fürs Leben. Beide genießen es in vollen Zügen und sorgen für reichlichen Nachwuchs.

Das ist die Botschaft dieser wundervollen Geschichte, der Sinn dieser Parabel: genieße den Augenblick, sei dir bewusst, „nur“ ein Mosaiksteinchen im Kreislauf der Natur zu sein, in der das Sterben ganz natürlich zum Leben dazu gehört.

Michael Schulz‘ Lesart ist nicht nur des Bühnenbildes und der Kostüme wegen ein wirklich großer Wurf. Sie überzeugt durch eine perfekte Personenführung, die noch jeder vermeintlichen Nebensache Aufmerksamkeit schenkt und beispielsweise für herrliche Waldszenen mit Schnecken, Fröschen, Eulen und auch einer beeindruckenden Heuschrecke sorgt. Sehr genau charakterisiert er die menschlichen Wesen, die in jedem Augenblick glaubwürdig und eben auch oft bemitleidenswert wirken.

Auch sängerisch bleiben in Gelsenkirchen keinerlei Wünsche offen, die großen wie die kleineren Partien sind ausgezeichnet besetzt (Bele Kumberger als Füchslein, Johannes Martin Kränzle als Förster, Khanyiso Gwenxane als Dackel, Yancheng Chen als Haraschta und andere mehr). Der hauseigene Opernchor wird ergänzt durch den fabelhaften Opernkinderchor der Chorakademie Dortmund, dazu Dirigent Rasmus Baumann am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen – ein rundum musikalisches Fest! Baumann lässt Janáčeks Farben subtil und detailverliebt funkeln. Keine Frage: diese Klänge haben auch knapp 100 Jahre nach ihrer Uraufführung nichts an Suggestionskraft verloren, im Gegenteil. Schulz‘ Füchslein gehört zu dem Schönsten, was die laufende Spielzeit in den nordrhein-westfälischen Opernhäusern bislang zu bieten hat.

Weitere Termine: 7., 22., 27. und 29. Januar 2023; 18. und 24. Februar und 5. März.

 

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