Strauss „Elektra“ in Wien: Packendes, archaisches Psychodrama

Xl_elektra-wien-1-23-2 © Michael Pöhn

Das Aufatmen war groß und geradezu stark hörbar, als 2020 der Direktor der Wiener Staatsoper Bogdan Roscic am Beginn seiner Amtszeit verkündigte, bei Richard Strauss „Elektra“ wieder zur Inszenierung von Harry Kupfer aus dem Jahr 1989 zurückzukehren. Sie löste nun die ungeliebte, bei der Premiere 2015 heftig ausgebuhte Sichtweise von Uwe-Eric Laufenberg ab, die ja bekanntlich im „Kohlenkeller“ spielte und einen Pater-Noster-Lift miteinbezog, in dem der arg zugrichtete Leichnam von Klytämnestra zur Schau gestellt wurde.

Jetzt kann man auf der weitläufigen Bühne wieder den unteren, sichtbaren Teil der Riesenstatue des Agamemnon, dessen abgeschlagener Kopf auf dem Boden liegt, bewundern. Von dieser Figur hängen Seile herunter, die Familienbande symbolisierend, in welcher sich die Protagonisten immer wieder verstricken. Das Bühnenbild stammt von Hans Schavernoch. Unter dieser spielt sich das Psychodrama von Gatten- und Muttermord nach dem kongenialen Text von Hugo von Hofmannsthal ab. Packend bei dieser Regie vom leider schon verstorbenen, deutschen Regiemeister ist vor allem der Auftritt der Klytämnestra mit ihrer überdimensionalen Schleppe, an der ihre Untertanen wie ein Insektenschwarm kleben; sowie die finale Idee, dass sich Elektra während ihres ekstatischen Freudentanzes in den herabhängenden Seilen von der Figur des Agamemnon verheddert und so zu Tode kommt.

Die musikalische Leitung wurde Alexander Soddy anvertraut, der sich seine ersten musikalischen „Opernsporen“ am Stadttheater Klagenfurt verdiente und dann bis 2022 GMD in Mannheim war. Mittlerweile war er jetzt schon öfters hier am Haus am Ring zu erleben gewesen, zuletzt mit Mozarts „Zauberflöte“ aber auch schon mit einer exzellent interpretierten „Salome“. Der gebürtige Brite dirigiert das komplexe Werk ungemein souverän: Mit packendem Zugriff und exakten Gesten gelingt es ihm, im Orchester der Wiener Staatsoper die vom Komponisten gewünschte mitreißende Spannung und archaische Mystik zu erzeugen. Die Musiker entfalten eine luxuriöse Klangpracht, kosten Klangballungen ekstatisch aus, bleiben aber in den von zärtlichen Regungen erfüllten Episoden immer sensibel und auch sonst sängerfreundlich!

Diese danken es ihm mit tollen Leistungen:  Allen voran kann Nina Stemme ihren Ruf, eine der besten Interpretinnen dieser extrem anspruchsvollen, kräfteraubenden Titelrolle zu sein, festigen. Sie singt die Elektra mit gleißender Kraft, reichen Nuancen und schier unerschöpflichem Durchhaltevermögen. Simone Schneider ist eine höhensichere, wortdeutliche Chrysothemis mit leuchtendem Sopran. Violeta Urmana als Klytämnestra besticht mit ungemeiner Präsenz, messerscharfer Autorität und ebenfalls Wortdeutlichkeit. Genauso versteht man bei Christof Fischesser bei seinem Rollendebüt als Orest in Wien jedes Wort. Er singt ihn mit einem ausgesprochen schönen, warmtimbrierten Bariton. Thomas Ebenstein ist ein idealer Aegisth. Auch die vielen, kleineren Rollen gefallen, bei denen etliche  junge Nachwuchskräfte hervorstechen, ganz besonders Miriam Kutrowatz, die als kürzliches Mitglied des Opernstudios vielseitig schon in zahlreichen anderen Partien an der Staatsoper zu erleben war, als Vertraute der Klytämnestra, sowie Alma Neuhaus als Schleppenträgerin.

Riesiger Jubel!

Dr. Helmut Christian Mayer

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