Hollywood statt Comédie-Française: Innovative Regie gepaart mit Gespür für die Italianatà nach Verdi

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Adriana Lecouvreur Francesco Cilea Besuch am 14. Januar 2023 Premiere am 14. Mai 2022 Opernhaus Düsseldorf

Theater Duisburg

Hollywood statt Comédie- Française: Innovative Regie gepaart mit Gespür für die Italianatà nach Verdi

In Johann Wolfgang von Goethes Gedicht Das Veilchen hat es das „herzige“ Pflänzchen nicht leicht. Es wird von der achtlosen jungen Schäferin zertreten. Wie das Veilchen allerdings dieses jähe Sterben annimmt, lässt sich besonders berührend in der gleichnamigen Vertonung von Wolfgang Amadeus Mozart erleben, etwa in der Interpretation der Sopranistin Arleen Auger oder des BaritonsHermann Prey. Damit ist die Kunstgeschichte der Viole freilich noch nicht zu Ende erzählt. Jetzt übernimmt im Theater Duisburg gar ein ganzer Veilchenstrauß eine wichtige Rolle, als Bote des Todes.

In Francesco Cileas Commedia-dramma in vier AktenAdriana Lecouvreur bereitet es giftgetränkt der Titelheldin und Theaterdiva ein qualvolles Ende. Ihr Bühnentod ist das so schaurige wie konsequente Finale der Inszenierung des Regisseurs und Bühnenausstatters Gianluca Falaschi, die über die Kolportage des ursprünglichen Bühnenstücks hinausgeht und auf Vertiefung und Milieuschilderung zielt. Zu erleben noch mit Aufführungsterminen bis Ende März.

Das Opus auf einen Text von Eugène Scribe undErnest Wilfried Legouvé in der Bühnenbearbeitung von Arturo Colautti ist das bekannteste Werk des aus Kalabrien stammenden Komponisten, das fünf Schöpfungen für das Musiktheater umfasst. Adriana Lecouvreur, 1902 in Mailand uraufgeführt, steht zwischen L’Arlesiana von 1897 undGloria von 1907. Cilea wird der lyrischen Variante des Verismo zugeordnet, der von seinem Zeitgenossen Giacomo Puccini geprägt ist.

Im Stil der Zeit verwendet Cilea Leitthemen und Motive zur Kennzeichnung von Personen und Gefühlszuständen. Eine eigene Handschrift verraten die Orchestrierung seiner Opern und die mannigfaltige Instrumentation. Das um 1730 in Paris spielende Drama kreist um die Schauspielerin Adriana, die wie die Fürstin von Bouillon Mauricio, den Grafen Moritz von Sachsen, liebt und von ihrer Rivalin durch besagtes Gift aus dem Weg geräumt wird.

Für den Regisseur ist Adriana Lecouvreur die Hommage des Komponisten an das Theater. Aus heutiger Sicht durchaus nachvollziehbar an die Welt des Broadway und des großen Hollywoodkinos des 20. Jahrhunderts, in die Falaschi seine Inszenierung transponiert. Beginnend mit einer Szene in der Maske am Set, baut sich die Handlung in verschiedenen Filmkulissen auf, die den Stil der Goldenen Ära Hollywoods heraufbeschwören sollen. Zum Finale des Machtkampfs zwischen den beiden Frauen wie in der Oper lockt eine goldgelbe Leuchtreklame in ein Revuetheater. Mit Paillettenkleidern, Federbüschen, gewagtem Kopfschmuck und phantasievollen Morgenmänteln, Glamour und Glitzer wird dieses Milieu weidlich konturiert. Dabei profitiert der Regisseur von seiner profunden Erfahrung als Kostümbildner, dem die Stimmigkeit des Gesamtbildes über alles geht.

In dieser pittoresken Traumwelt, die Stars wie Adriana als eigentliche Realität gilt, ereignet sich für Falaschi das Drama der Diva per se. Jener Primadonnen, die wir in der Oper mit Maria Callas, im Film mitMarylin Monroe und im Theater mitSarah Bernardt verbinden. In dieser Welt vollendet und zerstört sich, wie der Regisseur im Programmheft darlegt, die „künstliche Natur eines Theaterschaffenden, der seinen Körper und sein Denken der Kunst gewidmet hat, aber ohne die Bühne einfach nicht mehr existiert“. Nur vordergründig geschieht in dieser Sichtweise das Sterben Adrianas durch das Gift der Erzrivalin. Tatsächlich ist ihr Tod das Ende der Künstlerin zum Abschluss ihrer Karriere, nach dem Verlust der Bühne als einziger Grundlage ihrer Existenz.

So sehr Falaschi sich in das Szenario der realen Träume und der falschen Verheißungen geradezu hineinsteigert, so unheimlich dürfte es ihm phasenweise erschienen sein. Blendet er doch keineswegs die Erkenntnisse aus, die im Zuge der Me too-Bewegung offenbar geworden sind. Im dritten Akt, in dem in einem Festspiel die historische Verleihung des goldenen Apfels durch Paris nachgestellt wird, deutet er einen Fall von sexuellem Missbrauch durch den Fürsten an, der keine Hemmungen hat, sich die Schönste des Tages zu greifen. Adrianas totales Liebesverlangen lässt sich so als Eskapismus aus der realen Erfahrung deuten.

Zu sehen ist dies in der Inszenierung leider nicht. Falaschi legt großen Wert auf die Statisterie, die in der Choreographie von Madeline Harms das Duisburger Revuetheater bevölkert, häufig staksig, manchmal an der Schwelle zur Karikatur. Tempo und Bewegung sind die Maximen der Aufführung. Kommen Servicekräfte von rechts auf die Bühne, passieren sie sie unweigerlich danach von links. Die Personenregie ist offenkundig nicht die Stärke Falaschis. Die Sängerdarsteller werden häufig, so sie nicht solistisch oder im Ensemble gefordert sind, irgendwo im Raum sich selbst überlassen oder auf einer Couch platziert. Wird es dramatisch, setzt der Regisseur auf die Lichteffekte von Tim Hübner, um den jeweils Agierenden Profil zu verschaffen.

In der Schlussszene geht Maurizio nach dem Tod der Adriana, die er vorgeblich abgrundtief liebt, wie teilnahmslos ab. Auch zuvor benimmt er sich schon befremdlich distanziert. Wirklich menschlich reagiert einzig Michonnet, der Stage-Manager der Comédie-Française, hier der Regisseur, den Anooshah Golesorkhi mit samtigem Bariton und intensivem Spiel glaubhaft verkörpert.

Die Sopranistin Liana Aleksanyan gibt der Titelheldin im Spiel wie im Gesang mit aufopferungsvoller Hingabe Feuer und Format. Sie atmet die Leidenschaft für das Theater und deklamiert – gegen ihre Rivalin gerichtet – berührend die Verse aus Jean Racines Phädra, in denen sich die Heldin des Stücks Vorwürfe ihrer Untreue wegen macht. Schon mit ihrer Auftrittsarie Io son l’umile ancella, in der sie sich als Dienerin der Kunst beschreibt, hat sie das Publikum auf ihrer Seite. Die Kantilene ist einer der schönsten melodischen Einfälle Cileas.

Die Mezzosopranistin Ramona Zaharia in der Partie der Fürstin überzeugt als eifersüchtige Rivalin. Unnahbarkeit und Infamie verbreitet sie als Abbild der Monroe oder Dietrich im langen weißen Paillettenkleid. Zaharia singt rauh, bis schroff an der Abbruchkante zur tiefen Mezzo-Lage, was der Charakterisierung der Rolle vorzüglich bekommt. Ihr Hass-Aufschrei Acerba volutta, in dem sie die ganze Palette ihrer Empfindungen herausschleudert, avanciert zu einem der Höhepunkte des Abends. Genuss, Qual, Schmerz und erlittene Beleidigung dürften in der italienischen Oper nach Giuseppe Verdi selten so prägnant in Töne gesetzt worden sein.

Bei der Uraufführung im Teatro Lirico ist Enrico Caruso die Besetzung des Maurizio. Welcher Tenor auch immer die Partie des Kriegshelden, Macho und Opportunisten übernimmt – er bewegt sich mithin in den Fußstapfen eines großen Vorbilds. Eduardo Aladrén entledigt sich dieser Aufgabe mit seiner kräftigen höhensicheren Stimme respektabel. Allerdings fehlen ihr Melos und Differenzierungsvermögen. Immerhin steigert er sich nach dem Bekenntnis La dolcissima effegie sorridente, in dem er das Feuer der Liebe mit der Flamme des Krieges vergleicht, deutlich.

Beniamin Popist mit Stock und Samtsakko ein bemüht stattlicher Fürst von Bouillon, der allerdings das Aristokratische seiner Rolle nicht wirklich ausstrahlt. Eine erfreuliche Überraschung bietet Tae-Hwan Yun in der Doppelrolle des Abbé von Chazeuil und des Maggiordomo mit seinem schlanken, lyrisch grundierten Tenor. Der von Patrick Francis Chestnut einstudierte Chor hat keine herausragenden Auftritte, absolviert diese indes vorzüglich. Die Duisburger Philharmoniker spielen unter der musikalischen Leitung von Péter Halász mit großem Gespür für die Italianatà Cileas und die verzwickte, manchmal unorganisch wirkende Partitur.

Die Duisburger Aufführungsserie ist nach dem Staatstheater Mainz (2021) und dem Opernhaus Düsseldorf (2022) die dritte Station einer Reise, die Cileas verismo lirico noch in weitere Spielpläne der Musiktheater bringen könnte. Dem anhaltenden lebhaften, mit Bravi!-Rufen durchsetzen Beifall des Publikums zufolge sollte diese Reise nicht am Rhein enden, ihre Fortsetzungen finden.

Dr. Ralf Siepmann 

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