Theater Basel
«Rigolettos» Premiere: Im Strudel der Gefühle

Giuseppe Verdis Oper «Rigoletto» feiert am Theater eine umjubelte Premiere. Das Bühnenbild von Pierre Yovanovitch verdichtet Vincent Huguets Inszenierung zu einem packenden Drama.

Georg Rudiger
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Eifersuchtsdrama in einer Welt der Äusserlichkeiten: Am Hof von Mantua herrscht eine üble Macho-Gesellschaft.

Eifersuchtsdrama in einer Welt der Äusserlichkeiten: Am Hof von Mantua herrscht eine üble Macho-Gesellschaft.

Bild: zvg/Matthias Baus

Scharfe Punktierungen, die in spannungsgeladenen Akkorden münden. Immer lauter wird das Orchester, ehe die Musik im dreimaligen Fluchmotiv kulminiert – so düster wie Giuseppe Verdis «Rigoletto» beginnt kaum eine Oper. Das kurze Vorspiel ist eine dunkle Prophezeiung. Der Komponist wollte seine Oper ursprünglich «La Maledizione» (Der Fluch) nennen – so wichtig war ihm dieses Leitmotiv, das wie ein Damoklesschwert über dem Geschehen schwebt.

Nach anfänglicher Mühe fängt sich das Orchester auf

Das Sinfonieorchester Basel hat unter der Leitung von Michele Spotti zwar Mühe, in den Abend zu finden. Die Trompeten verwackeln den ersten Einsatz, die Konturen sind noch nicht klar genug. Aber das Orchester hat sich bald gefangen. Und trägt seinen Teil dazu bei, dass dieser gefeierte «Rigoletto» am Theater Basel enorme dramatische Wucht entfaltet.

Der französische Regisseur Vincent Huguet hat ziemlich genau vor einem Jahr am Haus bereits Verdis «Don Carlos» inszeniert, allerdings auf seltsam undifferenzierte, abstrakt-kühle Weise. Bei «Rigoletto» macht er alles besser. Vor allem hat er mit dem Designer und Innenarchitekten Pierre Yovanovitch einen klugen Partner dabei, der zum ersten Mal überhaupt ein Bühnenbild entworfen hat. Und was für eines! Kühl und abstrakt ist es auch, aber die geschwungene Treppe und die wie eine Welle erscheinende halbrunde Wand um den zentralen Kreis entwerfen ein Setting, das die Spannungskurve der Oper verstärkt.

Im zweiten Akt kommt eine zweite Wand dazu, im dritten noch eine weitere. Die Spielfläche wird immer kleiner, der Druck im Innern immer grösser. Wie Jahresringe erzählen diese Schalen auch vom Fortschreiten der Zeit und der Entwicklung der Figuren. Schliesslich sind die mobilen Wände auch ein bewegliches Labyrinth, indem man sich täuschen lässt – wie Gilda von ihrem geliebten Herzog, wie Rigoletto von seinen Rachegelüsten.

Rigolettos harte Schale und weicher Kern

Nikoloz Lagvilava ist als Rigoletto ein tief empfindender Aussenseiter, der eine harte Schale um seinen weichen Kern gebildet hat. Den schwarzen Bass von Artyom Wasnetsov als Graf von Monterone kann der Hofnarr locker imitieren, als dieser seinen Fluch ausspricht. Lagvilava besitzt genügend Metall in der Stimme, um die Höflinge auf Distanz zu halten (szenisch und musikalisch präsent: der Herrenchor des Theaters Basel/Michael Clark) und sich auch mit dem Killer Sparafucile (stark: David Shipley) zu verbrüdern.

Aber er ist auch liebender Vater mit kantablen Linien und einem wunderbaren Legato. Die Beziehung zu seiner Tochter Gilda, die er im Haus einsperrt, ist zwar problematisch, aber nicht inzestuös.

Regula Mühlemann schenkt dieser Gilda in ihrem Rollendebüt Fragilität und ein reiches Innenleben. Sie entwickelt sich vom schwärmenden Mädchen zur liebenden Frau. Ihre grosse Arie «Caro nome» im ersten Akt beginnt sie ganz oben auf der Treppe, ehe sie mit berührenden Spitzentönen und schwerelosen Koloraturen Schritt für Schritt hinabschreitet – als sei ihr Weg schon vorgezeichnet, als spüre Gilda schon, dass ihr emotionaler Höhenflug tragisch enden wird.

Dass man sich in diesen von Pavel Valuzhin mit betörendem Tenorschmelz gesungen und strahlender Höhe gesungenen Herzog von Mantua verlieben kann, ist durchaus verständlich, zumal er auch sportlich eine gute Figur macht und im zweiten Akt eine Gymnastikgruppe anleitet (Kostüme: Clémence Pernoud). Das ist jetzt nicht die beste Idee der Regie an diesem Abend, aber ein wenig Humor schadet auch nicht, zumal dadurch die Kontraste auch szenisch schärfer werden.

Ein Opfer aus Liebe

Musikalisch ist dieser häufige Wechsel von Licht und Schatten, von Tempo und Erstarren schon von Verdi angelegt. Dirigent Michele Spotti bringt nach Anlaufschwierigkeiten das Sinfonieorchester Basel immer mehr zum Glänzen. Ob atemlose Nachschläge in den Streichern, federnde Akkorde im Blech, innige Melodien in den Holzbläsern – das Orchester wird zum Kraftwerk und Gefühlsverstärker dieses Dramas. Und erzielt eine Sogwirkung, die alles mit sich reisst.

Die Untreue des Herzogs bei der schön geschmetterten Kanzone «La donna è mobile» in dem in Rotlicht getauchten Bühnenzentrum (Licht: Cornelius Hunziker) erlebt Gilda in der erhellenden Regie von Vincent Huguet aus nächster Nähe. Sie lässt sich trotzdem anstelle des Herzogs von Sparafucile ermorden. Ein Opfer aus Liebe.

Wie auf einem Altar liegt Regula Mühlemann am Ende auf dem samtroten Bett und schenkt der sterbenden Gilda zur sensiblen, ganz freien Orchesterbegleitung ein letztes Mal wunderbar entrückte Linien. Nach einer langen Pause kehrt der Fluch zurück. Und Nikoloz Lagvilava schreit mit weit aufgerissenen Augen Rigolettos Verzweiflung heraus.

Nächste Vorstellungen: 27./29. Januar, 4./12./16./24. Februar 2023.
www.theater-basel.ch