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Mit George Petean (Simon Boccanegra), Liang Li (Jacopo Fiesco), Michael Bachtadze (Paolo), Attilio Glaser (Gabriele Adorno), Maria Motolygina (Maria/Amelia) u.a. Premiere am 29. Januar 2023 Deutsche Oper Berlin. Foto: Bettina Stöß
Mit George Petean (Simon Boccanegra), Liang Li (Jacopo Fiesco), Michael Bachtadze (Paolo), Attilio Glaser (Gabriele Adorno), Maria Motolygina (Maria/Amelia) u.a. Premiere am 29. Januar 2023 Deutsche Oper Berlin. Foto: Bettina Stöß
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Sternstunde des Musiktheaters: Giuseppe Verdis „Simon Boccanegra“ an der Deutschen Oper Berlin

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Giuseppe Verdi hatte die Oper „Simon Boccanegra“ für das Teatro La Fenice komponiert, wo sie 1857 uraufgeführt wurde. Am 29.01 2023 ging an der Deut­schen Oper Berlin die Premiere einer Neuinszenierung über die Bühne, die der international gefragte, junge Regisseur Vasily Barkhatov (er wurde 1983 in Moskau geboren) und der italienische Dirigent Jader Bignamini (der 47-Jährige ist Chefdirigent des Detroit Symphony Orchestra) verantworten. Die Produktion des jungen Teams wurde zu einer Sternstunde des Musiktheaters.

Das Stück spielt im spätmittelalterlichen Genua. Der Plot um den Korsaren Simon Boccanegra ist außergewöhnlich: Zwischen Prolog und erstem Akt liegt fast ein Dritteljahrhundert. Der Plebejer Boccanegra hat mit der Patriziertochter Maria ein gemeinsames, verheimlichtes Kind, das geraubt wird und erst 25 Jahre später wieder auftaucht. Auf dem Meer hat sich Boccanegra um die Seerepublik Genua verdient gemacht und wird deshalb zum Dogen gewählt. So wie seine Karriere auf dem Meer beginnt, endet sie nach vielfachen Intrigen, Konflikten, Enthüllungen und finaler Vergiftung am Meer, dem er in seiner ergreifenden Sterbearie noch einmal huldigt. Verdi schreibt nicht ohne Grund seine schönsten maritimen Naturschilderungen in dieser Meeres-Oper.

Die bleiben allerdings in der Inszenierung des international als Star gehandelten Regisseurs Vasily Barkhatov außen vor, wie überhaupt alles historische Dekor. Er inszeniert stattdessen ein politisches Lehrstück, eine urbane Metapher über fragwürdige messianische Hoffnungen, verratene Ideale, über den rücksichts­losen Ehrgeiz der Mächtigen, aber auch über die Ohnmacht der Macht.

Handwerklich präzise und psychologisch einleuchtend präpariert Barkhatov die Konflikte zwischen menschlichem Gefühl und Realpolitik, Utopie und Desillu­sionierung heraus. Die Auseinandersetzungen zwischen den aristokratischen Stadteliten und dem nichtaristokratischen Dogen, aber auch die Liebesge­schichte zwischen seiner tot geglaubten Tochter und dem Adligen Adriano, dem Todfeind ihres Vaters inszeniert er glasklar, streng, ohne jeden Schnörkel, ohne Regiemätzchen aktuell wie ein Stück (einschließlich Krankenstation) von heute, ohne dass mit dem regielichen Holzhammer aktualisiert wird. Gelegentliche filmische Rückblenden und Krawallszenen im TV der Dogensuite entsprechen heutiger Realität.

Die Inszenierung Barkhatovs ist eine eindrucksvoll Parabel über die private Suche nach Glück im politischen Leben von Heute, auf der großen Drehbühne der Deutschehen Oper Berlin hölzerne Vor- und Rückwand des Palazzo Ducale, einer heutigen, gehobenen, modern eingerichteten Politiker-Wohnstatt. Die Drehbühne macht Außen- und Innen zugleich sichtbar, für öffentliche und private Szenen. Die geschmackvolle Kostümierung der in Leningrad geborenen Olga Shaishmelashvili zeigt absolut korrekt italienischen Standard der Gegenwart, wie sie ist im politischen Raum, einschließlich Abendgarderobe der Damen und Herren, militärischen Uniformen, Priester in der Soutane und Carabinieri in Galauniform.

Im Programmheft bekennt der Regisseur: „Die Botschaft des Stückes ist für mich ganz radikal die: Um ein guter Politiker zu sein, muss man sich selbst mit all seinen privaten Plänen, Wünschen und Ambitionen aufopfern. Der Beruf des Politikers ist mit dem eines Mönchs vergleichbar. Es ist letztlich so etwas wie eine religiöse Berufung, zumindest, wenn man es wirklich ehrlich meint und ernsthaft betreibt. Natürlich gibt es auch korrupte Politiker, so wie es korrupte Priester gibt, die nicht aus einem solchen Idealismus heraus handeln. Aber im Idealfall bedeutet, Politiker zu sein, alles dem Amt als Diener des Staates zu opfern.“

Die Botschaft wird verstanden in der einleuchtenden, glaubwürdigen Inszenie­rung von heute im Heute, einer Inszenierung, der man Ausnahmecharakter bescheinigen muss.

Die zweite Sensation des Abends war neben dem Regisseur der Dirigent Jader Bignamini. Wie er diesen musikalisch anspruchsvollen „Simon Boccanegra“ mit einer elementaren Wucht zum Klingen bringt und die düstere Grundfarbe, von der Verdi im Zusammenhang dieses Stücks spricht, in ein nicht weniger tragisch-abendglühendes Rotgold verwandelt, ist eindrucksvoll. Bignamini setzt einerseits auf gnadenlos Partiturtreue, auf Schärfe, Tempo und auf erschütternde Dramatik des Stücks, aber er scheut sich andererseits auch nicht, die romantischen, melodischen Schönheiten auszukosten und die Feinheiten und Kostbarkeiten der Partitur zum Klingen zu bringen. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielt präzise und klangprächtig. Bignaminis Dirigat besticht durch eine analytisch scharfe Durchsichtigkeit der musikalischen Struktur, wie man sie, seit der junge Claudio Abbado das Stück 1971 an der Scala wiederentdeckt hat, nur noch in Myung-Whun Chungs Lesart im Teatro La Fenice 2014 gehört hat. Eine Sternstunde.

Auch sängerisch ist die Produktion eine solche. Ein ausnahmslos erstklassiges Ensemble, immerhin drei tiefe Männerstimmen in den Hauptpartien, im Mittel­punkt George Petean als nobler, berührender Boccanegra, aber auch die betö­rend schön singende Sopranistin Maria Motolygina und der wirklich sen­sationelle Tenor Attilio Glaser als ihr Geliebter Gabriele Adorno sind mehr als nur überzeugend. Auch das Übrige Ensemble – wie auch der von Jeremy Bines einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin – ist vorzüglich. Ein wahres Sängerfest. Eine Aufführung, die man gesehen und gehört haben muss!

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