Der Auftakt zu Thielemans Abschied: „Das Rheingold“ an der Semperoper Dresden

Christian Thielemann/ Foto © Semperoper Dresden/Matthias Creutziger

Die Sächsische Staatskapelle Dresden gilt nicht erst seit dem Amtsantritt von Christian Thielemann vor zehn Jahren als eines der führenden Opernorchester für die Werke Richard Wagners. Thielemann selbst gilt als mitunter bedeutendster Wagner-Dirigent der Gegenwart — und passt damit ideal zur Staatskapelle. Denn gerade in ihrer Historie begründet sich eine große Wagner-Tradition: Der Komponist selbst war Hofkapellmeister und leitete in Dresden die Uraufführungen des Fliegenden Holländers und des Tannhäusers. Es mutet dabei sonderbar an, dass in Dresden nach dem Ende des zweiten Weltkrieges Der Ring des Nibelungen als das Opus magnum Wagners zunächst etwas aus dem Fokus geraten ist. Während der Ring-Zyklus an der Wiener Staatsoper als auch der Bayerischen Staatsoper München seit jeher regelmäßig auf dem Spielplan stand, erklangen die vier Werke durch die Staatskapelle Dresden erst wieder in den frühen 1980er Jahren. Konzertante Wagner-Aufführungen im Kulturpalast der Stadt ergänzten die zur selben Zeit eingespielte und auch bis heute hoch geschätzte Dresdner Studioproduktion des Ring-Zyklus unter der musikalischen Leitung von Marek Janowski. (Rezension der Vorstellung v. 5. Februar 2023 – Zweite zyklische Aufführung im Februar 2023)

 

Aber selbst nach der Eröffnung der wiederaufgebauten Semperoper im Jahr 1985 sollte es noch über 16 Jahre dauern, bis in Dresden mit dem Schmieden des ersten szenischen Ring-Zyklus der Nachkriegszeit begonnen wurde. Aufgrund der Zerstörungen des Jahrhunderthochwassers 2002 drohte die Ring-Konzeption des Regisseurs Willy Decker gar zu scheitern, mit der verspäteten Premiere seiner Götterdämmerung im August 2003 konnte der Zyklus schlussendlich doch noch komplettiert werden. Der Dirigent Peter Schneider leitete im April 2004 schließlich die erste zyklische Aufführung des Decker-Rings, welcher seitdem immer wieder auf dem Spielplan der Semperoper steht. Welch Zufall, dass in dieser Spielzeit 2022/23 neben Thielemann ausgerechnet auch Marek Janowski die vier Ring-Werke in Dresden zyklisch aufführt, erneut konzertant im Kulturpalast, dieses Mal jedoch mit dem Konzertorchester der Stadt, der Dresdner Philharmonie.

Semperoper/DAS RHEINGOLD/Jennifer Davis (Freia), Daniel Behle (Loge)/© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Christian Thielemann wird noch diese und kommende Saison an der Spitze der Sächsischen Staatskapelle stehen. Er leitete in diesem Februar jedoch seinen (nach eigenen Aussagen) definitiv letzten Ring-Zyklus in Dresden. Und bei allem Respekt vor der musikalischen Arbeit von Peter Schneider, Marek Janowski und auch Fabio Luisi (der im Jahr 2006 drei Ring-Zyklen als Chefdirigent leitete) stellt sich die Frage: Wird an der Semperoper jemals wieder ein Dirigent derart die musikalische Tiefe von Wagners Nibelungen-Ring ausloten, wie es Christian Thielemann derweil getan hat?

Denn sein hiesiges Dirigat, dazu das außerordentlich exzellente Spiel der Staatskapelle, sollte nicht nur Thielemanns eigenen, früheren Ring-Zyklen in den Schatten stellen.

Semperoper/DAS RHEINGOLD/John Lundgren (Wotan), Christa Mayer (Fricka), im Hintergrund: Markus Marquardt (Alberich)/© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Die Besetzung des Rheingolds konnte sich hören lassen: John Lundgren hat mit seiner Paraderolle des Wotans in den Ring-Aufführungen der Vorwoche wieder zu altbewährter stimmlicher Größe zurückgefunden. Er machte im vergangenen Sommer eine Stimmkrise durch und musste diese Partie bei den Bayreuther Festspielen zurückgeben. Umso bedauerlicher für ihn, dass er sich nach dem gelungenen Comeback direkt eine Erkältung zuzog und nun durch Thomas J. Mayer ersetzt wurde. Mit langem Bart und wilder Haarespracht weckte dieser als kurzfristiger Einspringer auch ohne Kostüm — von der Seitenbühne mit Partitur singend —hinlängliche Assoziationen an den Göttervater Wotan. Mayer ging mit runder, wohlklingender Bariton-Stimme und exemplarischer Diktion in seiner Partie vollends auf. Insbesondere das Deklamatorische im Zwiegespräch zu Fricka geriet ihm besonders stark. Markus Marquardt, Ensemblemitglied der Semperoper und vor fünf Jahren auch als Wotan zu erleben, debütierte mit garstig-markanter (das ist positiv zu verstehen!) Stimme und eindrücklich grimmigem Spiel in der Partie des bösartigem Nachtalben Alberich. Daniel Behle gilt es besonders mit Lob zu bedenken. Denn seine Interpretation des Loge hob den Abend auch dank seiner natürlichen Bühnenpräsenz auf ein außerordentlich hohes Niveau: Mit ausdrucksreicher, vielseitiger Darstellung und intelligenter Phrasierung durchdrang er den zwielichtigen Charakter seiner Figur vollends, ohne diesen zu überzeichnen. Zur Luxusbesetzung für die kleine Partie der Freia geriet Jennifer Davis. In UK ist sie mit ihrem hell-leuchtendem, raumausfüllendem Sopran normalerweise für die dramatischen Partien einer Leonore und Elsa geschätzt. Als langjährige musikalische Partnerin Thielemanns gestaltete Christa Mayer eine naturgemäß pointiert und bissige Fricka mit ihrem knackig-intensivem Mezzosopran. Zu guter Letzt noch zwei idealbesetzte Riesen, wie es sie nur selten gibt: Georg Zeppenfeld stand mit seinem natürlich unprätentiösem Vortrag als sentimental anmutender Fasolt neben Stephen Milling, der mit voluminöser, brutal-brachial gestaltender Bass-Stimme als imposanter Fafner auftrat. Abgerundet wurde das Ensemble durch Michal Doron, die eine Erda von großer Klarheit, Kraft und Ruhe gestaltete.

Es wurde gemunkelt, dass die bis heute zeitlos und sehenswert gebliebene Inszenierung von Willy Decker auch aufgrund Thielemanns eingeläutetem Abschied nun zum letzten Mal wiederaufgenommen ward. Vielleicht ist es auch besser so, denn Thielemanns Ring-Dirigat wird als absolute Glanzzeit in die Geschichte der Staatskapelle Dresden eingehen. Es stellt sich die Frage, ob man Richard Wagners Ring des Nibelungen erneut einige Jahrzehnte vom Spielplan der Semperoper fernhalten sollte! Denn solch orchestral spannungsgeladenes Musikdrama wird kein anderer Dirigent in diesem Orchestergraben so schnell erreichen können.

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Semperoper / Stückeseite
  • Titelfoto: Semperoper/DAS RHEINGOLD/Foto © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

 

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