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„Götterdämmerung“ in Stuttgart: Wie Hagen dann auch noch Winnetou ermordete

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Hagen in Schwarz inmitten seiner bacchantischen Mannen. Hinten an der Wand: der durchbohrte Winnetou.
Hagen in Schwarz inmitten seiner bacchantischen Mannen. Hinten an der Wand: der durchbohrte Winnetou. © Matthias Baus

Die Oper Stuttgart beschließt ihre zweite gemixte Ring-Tetralogie mit einer bilderreichen und trotzdem lahmenden „Götterdämmerung“.

Aus Stuttgart stammt das vor 20 Jahren erstmals und direkt spektakulär umgesetzte Modell, Richard Wagners Ring-Tetralogie auf vier Regieteams zu verteilen. Etliche Kopien im Anschluss misslangen oder überzeugten buchstäblich nur in Teilen. Profiliert war beispielsweise der von vier Regisseurinnen gestaltete Ring in Chemnitz oder zum Abschluss des gemixten Karlsruher Rings Tobias Kratzers „Götterdämmerung“, die – und das muss ja wohl die Idee sein – als in sich geschlossenes Unikum auftrat. Aber insgesamt erweist sich das Disparate von vier Ansätzen nicht als Qualitätsmerkmal, sondern als Anzeichen einer bedenklichen Kurzatmigkeit. Ein Theater wird widersprechen, denn der Aufwand – angefangen bei vier Bühnenbildern – ist gewiss immens, aber: Es wirkt oft einfach ein bisschen bequem.

Im zweiten, 2021 gestarteten Stuttgarter Mischring kulminierte das Konzept in der „Walküre“, in der jeder Akt aus anderer Hand kam. Das klingt so aufregend und war eine so läppische Verwechslung von Ausstattung und Interpretation. Nach Stephan Kimmigs „Rheingold“ im trübsinnigen Zirkusambiente, der zerteilten „Walküre“ und dem wiederbelebten „Siegfried“ von Jossi Wieler und Sergio Morabito nun also Marco Štormans „Götterdämmerung“. Auch Štorman, dessen Stuttgarter „Nixon in China“ ein Hammer war, treibt das Versatzstückhafte weiter voran, Unruhe, Uneinheitlichkeit und eine Wiederberümpelung der Bühne sind die Losung. Glänzende Ideen zeigen sich neben Tändelei.

Demian Wohler zeigt auf drehbarer Bühne architektonische Überreste, teils sakral, teils amtlich wirkend. Zwei Elemente werden sich ins Gedächtnis setzen: die zerstörte Weltesche, die wie ein zusammengeklappter, knochiger, verletzter, halbverwester Körper von oben herabgelassen wird und als Raumskulptur mehr Ernst ausstrahlt als alles andere an diesem Abend. Dazu hat sich das Team in die Karl-May-Illustrationen und andere Bilder von Sascha Schneider (1870-1927) verguckt, deren männliche Nacktheit seinerzeit den Verlag in Verlegenheit brachte. Schneiders Homosexualität störte Karl May auf die sympathischste Weise überhaupt nicht, ihm gefiel an den Bildern wohl nicht zuletzt, dass sie Winnetous Geschichte transzendierten – Salbe auf den Wunden eines Schriftstellers, der doch viel mehr wollte, als Kinder zu unterhalten.

Jedenfalls tauchen sie nun, zu Schinken hochgejazzt und gerahmt, aus einer Funduskiste auf. Die allwissenden Nornen wie die ebenfalls gut informierten Rheintöchter – optisch sind die beiden agilen Trios ohnehin nicht voneinander zu unterscheiden – stellen und hängen sie hier und da auf. Wohler hat kräftig retuschiert: Winnetous gen Himmel strebender Astralkörper ist nun von einem (Hagens) Speer durchbohrt. Aus dem geflügelten Teufel, der sich (freilich nicht bei Karl May, sondern in anderem Zusammenhang) über den momentan toten Leib Jesu beugt, wird Wotan über Wohlers Eschen-Leiche.

In diese ganze Schneider-Idee wurde viel Liebe und Kraft gesteckt. Auch wenn Richard Wagner mit Sascha Schneiders Kunst vermutlich nichts hätte anfangen können, so passt sie doch schillernd genug in die Zeit und die Welt von Wagnerverehrung und Wagnerkitsch, um auf der Bühne in Fahrt zu kommen.

Bloß will die Inszenierung dann gar nichts weiter damit anfangen. Hier flitzt stattdessen ein hyperaktiver, bisschen trashiger, völlig argloser Siegfried im rosafarbenen Trainings- oder Hausanzug (Kostüme: Sara Schwartz) umher. Es mag Štorman sogar um diesen Kontrast oder dieses Gefälle gehen, aber das kann oder will er uns nicht interessant machen. Daniel Kirch spielt Siegfried wie im Rausch (nach einem Wasserfläschchen scheint er süchtig zu sein, ungewöhnlich), und weil er die mörderische Partie auch gut und kultiviert singt, ist das eine Bank. Aber wohin soll es führen? Seine Brünnhilde, Christiane Libor, auch sie stimmlich äußerst solide, bleibt als Figur im Statuarischen, dazu passt ihr togaartiges Gewand.

Beim Personal scheint die kreative Regiekraft ganz in die Ausgestaltung des Schuftes Hagen geflossen zu sein. Patrick Zielke ist ohnehin ein Mann mit Bühnenpräsenz. In einer dollen Szene lassen Štorman und der in eine so krasse Entscheidung natürlich einbezogene Dirigent Cornelius Meister den Alberich einfach weg: Sein grausliger Vater erscheint dem schlafenden Hagen als Alpdruck und Kopfgeburt, Zielke singt den einen wie den anderen, wechselt fabelhaft Gestus und Klangfarbe. Eindrucksvoll.

Wunderbar, aber ebenfalls aus einem Nichts von Zusammenhang heraus, gestaltet sich Stine Marie Fischers Waltraute, Fischers Stimme unwagnerisch weich, rund, hinreißend in den Tiefen. Sie spielt groß, sehnsuchtsvoll und mit Blumenkranz wie eine Wagner-Sängerin um 1900. Dass der Chor (von Manuel Pujol einstudiert) ähnlich gekleidet ist, wie zum Bacchanal, verblüfft. Hier geht es vermutlich darum, allemal eine Zivilgesellschaft zu zeigen, nicht die üblichen waffenstrotzenden Schergen. König Gunther, Shigeo Ishino, und seine Schwester Gutrune, Esther Dierkes, gewinnen gleichwohl als Figuren wenig Profil. Das ist ihr Schicksal. Aber auch sie singen mit Anstand und Stehvermögen, wie auch das Orchester unter Meister manchmal etwas übergroß wirkt, aber im Einzelnen voller Schönheiten. Das Inkonsistente des Bühnengeschehens hindert vielleicht auch den langen Fluss der Musik immer wieder. Es ist keine fruchtbare Hinderung, falls das jemand hofft.

Vieles bleibt rätselhaft, aber es ist nicht die Art von Rätsel, bei der man auf eine Lösung hofft und ihr entgegenbebt. Es gibt auch keine Lösung, aber ein schräges Happyend, bei dem zur nicht übermäßig zündenden Schlussmusik Siegfried und Brünnhilde auf einem Einhorn davonrollen. Hagen wird von der Weltesche erschlagen. Die obligatorischen niedlichen Kinder kommen auf die Bühne, suchen und finden den Ring, finden möglicherweise sogar viele Ringe, so dass wir noch kurz an der Ring-Parabel entlangstreifen könnten.

Das klingt vielleicht übertrieben, aber selbst Hartgesottene können allmählich auf den Gedanken kommen, dass die „Ring“-Produktion in die Krise geraten ist und dringend einen Impuls bräuchte.

Staatstheater Stuttgart: 19. Februar. Vom 3. bis 12. März und 5. bis 10. April die ersten Komplett-Ringe. www.staatstheater-stuttgart.de

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