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Der goldene Drache am Theater an der Wien. Foto: © Herwig Prammer
Der goldene Drache am Theater an der Wien. Foto: © Herwig Prammer
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Mit scharf? „Der goldene Drache“ von Peter Eötvös am Theater an der Wien

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Wenn wir beim Essen im Restaurant sitzen, haben wir meist ein (hoffentlich) schmackhaftes Ergebnis aus der Küche vor uns, doch viel mehr wissen wir über die Verhältnisse hinter dem Vorhang am Tresen nicht und das wollen wir ja auch gar nicht: „Schmecken lassen!“ heißt es, und somit wäre dieser Artikel an dieser Stelle auch schon wieder zu Ende. Wäre da nicht der ungarische Komponist Peter Eötvös, der uns in seinem 2014 entstandenen Musiktheater in die Küche des asiatischen Restaurants „Der goldene Drache“ entführt, das am Dienstag in der Kammeroper Wien am Theater an der Wien Premiere feierte. In diesem Restaurant, aber auch im Rest des Hauses und nebenan, spielen sich menschliche Schicksale ab, die uns sonst verborgen bleiben:

Eine chinesische Küchenhilfe („der Kleine“) hat entsetzliche Zahnschmerzen, die mangels Papieren nicht via Arzt, sondern nur per Brachialoperation bekämpft werden können, was leider misslingt. Eine Frau wird schwanger und ihr Freund trennt sich von ihr, zwei Stewardessen speisen im Lokal, und dann sind da noch eine Grille und eine Ameise, die man eigentlich aus der Fabel kennt …

Eötvös spielt in kurzen Szenen brillant mit dem Tragisch-Komischen, so dass man beim Zuhören zwischen Horror, Mitleid und Vergnügen changiert und damit einen emotionalen Cocktail serviert bekommt, den man sich vermutlich im Lokal nicht freiwillig zu bestellen wagen würde. „Der goldene Drache“ ist nicht umsonst eine von Eötvös erfolgreichsten Musiktheaterschöpfungen. Bislang gab es 12 Inszenierungen in aller Welt, fast zeitgleich läuft das Stück gerade in Halle/Saale. In Wien läuft das Stück übrigens erstmals – funfact: in der Porzellangasse 93 residiert ein „Goldener Drache“ tatsächlich und ist das älteste chinesische Restaurant in Wien…

Die Verschränkung der klar definierten Szenen mit 18 Personen bei nur 5 Darstellern und dem auch im Libretto tragendem Text von Roland Schimmelpfennig erzeugt aber nicht etwa eine Überforderung, sondern eher eine besondere Identifikation und Nähe. Dazu „hilft“ Eötvös mit einer behutsam unterstützenden Musik, die mal die Küchengeräusche imitiert, aber vor allem auch die zahlreichen Charaktere farbig ausstattet. So erzeugt das erzählte Theater zu Beginn in Eötvös‘ permanenter Verdichtung bis hin zur wirklich stark auskomponierten und hier auch wunderbar interpretierten Heimkehr-Arie des Chinesen am Schluss einen großen Spannungsfaden. Camilla Saba Davies (der „Kleine“ Chinese und weitere Rollen) und Felix Heuser (Der junge Mann) spielen und singen sich ausdrucksstark und souverän durch die anspruchsvolle Partitur – sie sind junge Studierende der CAMPUS-Kooperation mit der Kunstuniversität Graz und der Theaterakademie August Everding München. Dazu ist es eine helle Freude, Christa Ratzenböck (Die Frau über sechzig), Hans-Jürgen Lazar (Der Mann über sechzig, spielte bereits in der Uraufführung des Werkes mit) und Peter Schöne (Der Mann) solistisch wie im Verbund agierend zuzuhören und zuzusehen.

Offensichtlich vertraute Regisseur Jan Eßinger, der sein Debüt am Theater an der Wien mit dieser Arbeit gab, diesem großartigen Ensemble so sehr, dass seine Zutaten – um im Menü-Jargon zu bleiben – recht mild ausfielen. Drastik und Überzeichnung werden als Mittel selten angewandt, so dass man zwar das Prekariat und die Gesellschaftskritik wahrnimmt, doch sie sind dem ausdrucksvollen Spiel des Ensembles, das sich – wie auch das Orchester – im ganzen Raum der Wiener Kammeroper ausbreitet, vorbehalten. Selbst die Konsumkritik mit stummen Gestalten auf den Theaterstühlen auf der Bühne (ein doch recht sehr alter Hut) und einer nur am Ende kurz geöffneten Wand aus Postpaketen (Bühne: Sonja Füsti) bleibt Staffage. Und auch die Umleitung der Berufe in Reinigungskräfte statt Küchenpersonal mag zwar ein theatralischer Kniff sein, aber erscheint seltsam wirkungslos.

Besser, weil plötzlich erhellend, war da die Schale mit den Glückskeksen am Eingang, die beim Öffnen zu Hause noch einmal für Nachdenklichkeit sorgte, weil mir da eben nicht der übliche konfuzianische Hoffnungsspruch entgegensprang, sondern die Frage „Welche Nationalität hat der Wirt in ihrem Beisl am Eck?“

Das Orchester vereint „alte Hasen“ und junge Studierende in der Klangforum Wien PPCM Academy. Dirigent Walter Kobéra sorgt am Premierenabend für einen flüssigen Klangstrom und gute Balance für die Sängerverständlichkeit, wobei ich mir manche instrumentale Passagen noch saftiger und direkter vorstellen kann, sozusagen „mit scharf“. Am Ende gibt es großen Jubel für das gesamte Ensemble und die Erkenntnis, dass gutes, zeitgenössisches (Kammer-)Musiktheater aufgrund seiner zeitrelevanten Themen, aber auch seiner Qualitäten der Unterhaltung unbedingt einen Spiel- Platz in den Plänen der Theater haben muss – das Theater an der Wien ist auch dafür eine gute Anlaufstelle.

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