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Zum Sterben schön: Massenets „Werther“ am Gärtnerplatztheater

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Sophie Rennert und Lucian Krasznec
Eine verbotene, letztlich tödliche Liebe verbindet Charlotte (Sophie Rennert) und Werther (Lucian Krasznec). © Jean-Marc Turmes

Manche mögen das konventionell nennen, doch Massenets „Werther“ am Gärtnerplatz ist bestes altes Theaterhandwerk. Eine zu Recht umjubelte Premiere.

Zwei Kerle, eine Frau – in der Oper ist das Alltag. Manchmal fahren sie Kampfgeschütze auf, ob Lanze oder Stimme, hier sitzen sie nebeneinander. Eine Aussprache, so denkt man. Doch dann nimmt Albert die Hand des liebeswaidwunden Werther, und man begreift binnen Sekunden: Das ist kein Trösten, hier steckt der rechtmäßige Gatte sein Terrain ab, sehr subtil, doch umso entschiedener.

Viele solcher Mini-Momente gibt es in dieser Premiere am Gärtnerplatztheater. Zum Beispiel die Auftrittsarie des Titelhelden, der dabei von Charlotte und ihrer Schwester Sophie beobachtet wird – sofort wird doppeltes Begehren augenfällig. Und manchmal ist es nur der Hemdzipfel, den Werther sich wieder in die Hose steckt, wenn er von draußen kommt – wer weiß, was er im Off mit Charlotte riskiert hat.

Nichts Besseres kann also der Goethe-Veroperung von Jules Massenet passieren, wenn wie hier ein so abgebrühter bis scharfsichtiger Meister im Regiestuhl sitzt. Herbert Föttinger, Direktor des Wiener Josefstadt-Theaters, hat schon aus eigener Schauspieler-Erfahrung begriffen, was das Bühnenpersonal braucht. Jedenfalls keine szenischen Krücken, keinen krampfigen Gedanken-Überbau, sondern ein tief lotendes Verständnis der Charaktere, das sich in jeder Geste, jeder Körperdrehung, in jedem Blick offenbart (Handlung am Ende des Artikels).

Eine zutiefst musikalische Regie

Jeder weiß hier, was er zu tun hat, und doch sind diese zweieinhalb Opernstunden nie Figurendressur. Man kann das konventionell nennen, in Wahrheit ist es bestes altes Theaterhandwerk. Und außerdem ziemlich musikalisch: Die Auftritte, manchmal sind sie nur stumm und wie kommentierend, erfolgen zum perfekten Partitur-Zeitpunkt. Emotionen sind genau dosiert. Die Aufführung entwickelt eine Präzision, Logik und Stringenz, die einen nicht aus der Aufmerksamkeit entlässt – zumal das Regie-Team (auch so eine Seltenheit) ästhetischen Geschmack beweist.

Föttinger, Walter Vogelweider (Bühne) und Alfred Mayerhofer (Kostüme) verlegen die Handlung aus Goethes 1770er-Jahren in die Entstehungszeit von Massenets Oper. Auch wenn es in der Garderobe noch biedermeiert: Um 1890 gab es schon ein Telefon, so wie es in Werthers Kammer hängt. Und einmal trägt Charlotte weit geschnittene Hose statt züchtigem Rock. Der Aufbruch zur selbstbestimmten Frau manifestiert sich da mit dem Griff in den Kleiderschrank.

Sogar die opernübliche, sehr lange Sterbeszene Werthers driftet nicht ins Peinliche. Das hat auch zu tun mit dem Geschehen im Graben. Dort steht Anthony Bramall, und der hat keine Lust auf Parfümiertes. Die kleine Besetzung des Gärtnerplatzorchesters tut ihr Übriges: Das Klangbild ist herb, direkt und schmucklos, die Phrasen tönen geschärft. Massenets Härten werden hörbar, weniger, dass es manchmal auch Süffiges gerade aus dem Streicherapparat bräuchte.

Glücksfall Gärtnerplatz-Ensemble

Traditionell sind am Gärtnerplatz die Rollen doppelt besetzt. Und dass Münchens Volksoper für ein so kniffliges Stück zweimal Hausgemachtes bereithält, ist per se schon bemerkenswert. In der Premiere hat Lucian Krasznec als Werther eine neue Innigkeit für sich entdeckt. Er, der sonst gern mit hemdaufreißender Emotion unterwegs ist, singt die manchmal heiklen Passagen äußerst geschmackvoll, mit intelligent geführtem Tenor. Und wenn es notwendig ist, kann er sich problemlos ins Heldische hochpegeln.

Auf Augenhöhe begegnet ihm Sophie Rennert, eine ungewöhnlich hell timbrierte Charlotte. Für intime Passagen hat sie das Mezzo-Feinbesteck parat, zugleich kann sie die schlanke Stimme öffnen zur raumgreifenden, unverspannten Dramatik. Dass Ilia Staple als Sophie mühelos und stilistisch musterhaft mithält, ist ein weiterer Glücksfall. Daniel Gutmann gibt den Albert – ganz im Sinne von Massenet/Goethe – mit biegsamem, virilem Bariton nie als gehörnten Wüterich. Der Kuss mit Charlotte deutet an: Da ist nicht nur Liebesverrat, sondern noch immer echte Zuneigung, auf beiden Seiten.

Auch dies also eine Hintergründigkeit der Regie, die (wieder alte Schule) keine Einheitsbühne, sondern tatsächlich mehrere Räume anbietet. Vom Gemälde-Zimmer des Amtmanns über das Gartenmöbel-Arrangement vor Rollladen-Wänden bis zum Salon mit den fast deckenhohen Fenstern verströmt das eine Atmosphäre, als sei’s vertonter Ibsen oder Tschechow. Und eröffnet nicht nur Raum fürs Filigranspiel, sondern auch fürs eigene Hirn: Ob sich bei Werther blanker Egoismus mit Empfindsamkeit nur tarnt? Und ob er mit tödlichem Selbstmitleid nicht auch das Leben der Angebeteten endgültig zerstört? Das Publikum bejubelt die Aufführung wie ein ausgehungertes Kollektiv. Was Wunder: An diesem Abend ist der Gärtnerplatz (nicht nur für München) eine kleine, rettende Musiktheater-Insel.

Die Handlung: Werther verliebt sich in Charlotte, Tochter des Amtmanns. Sie weist ihn auf den Schwur hin, den sie der sterbenden Mutter geleistet hat: Albert, ihren Verlobten, zu heiraten. Monate nach der Hochzeit von Albert und Charlotte kommt es zur Aussprache zwischen den Rivalen. Doch Werther geht Charlotte nicht mehr aus dem Kopf. Charlottes Schwester Sophie hat sich in ihn verliebt. Werther bittet Albert um seine Pistole, die dieser ihm schicken lässt. Charlotte findet den sterbenden Werther. Sie bekennt ihm ihre Liebe. 

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