Daphne von Strauss an der Berliner Staatsoper

Arkadien ist eingeschneit

An der Berliner Staatsoper dirigiert Thomas Guggeis eine trostlose „Daphne“ in der Inszenierung von Romeo Castellucci

Von Bernd Feuchtner

(Berlin, 19. Februar 2023) Ach, warum müssen die Opern Texte haben! Die dann auch noch projiziert werden! Dort ist von Herden und Weiden die Rede, vom Sommerfest des Fischers, von der blühenden Natur und dem Bruder Baum, der zu Daphnes Geburt gepflanzt wurde. Auf der Bühne der Lindenoper aber liegt tiefer Schnee und der Abend dämmert an einem dunklen Wintertag. Unentwegt fällt Schnee. Das hindert das seltsame Mädchen Daphne nicht, sich auszuziehen und im Schnee zu wälzen, bevor sie halb erfroren hinausgetragen wird. Vera-Lotte Becker hat da schon alle Herzen des Publikums gewonnen, so warm und farbenreich, so intensiv und schwelgend ist ihr Gesang. Was sie singt, widerspricht diametral dem, was man sieht.

Daphne liebt die Natur. Viel hat sie mit dem Nachbarsjungen Leukippos darin gespielt. Doch mit dem Begehren des herangewachsenen Leukippos ist sie überfordert. Magnus Dietrich wirbt mit virilem Tenor um sie, doch so herrlich die Töne auch aus seiner Kehle strömen, Daphne will ihn nicht erhören. Vater Peneios, von René Papes Bass in stoischer Ruhe hingestellt, hat eher ordnende Funktion, Mutter Gaea, von Anna Kissjudit in sanftem Alt als stille Mahnerin gesungen, beide sind umso ratloser, als sich noch ein zweiter Freier einstellt, der Gott Apollo. Auch ihn weist das seltsame Mädchen Daphne ab.

Ach, warum müssen die Opern eine Handlung haben? Für Romeo Castellucci, Regisseur, Bühnenbildner, Kostümbildner und Lichtdesigner in einem, ist das Bild genug. Der alte Rampengesang auch; die Sänger stehen herum wie zu Omas Zeiten. Mimik ist in dieser Dunkelheit ohnehin nicht zu erkennen und gestenreiche Beziehungen zwischen den Personen gibt es nicht. Es herrscht einzig der Strauss-Klang. Der Chor, einstudiert von Martin Wright, kommt aus der Gasse heraus, wenn er singen muss, und verschwindet ebendort, wenn er fertig ist. Aus der Gasse kommen auch die Sänger, denn die Seiten sind von Spiegelwänden begrenzt, die die Bühne bei heruntergezogenem Portal breit erscheinen lassen wie Cinemascope.

Der Apollo von Pavel Černoch verströmt göttlichen Tenorlaut und tötet doch Leukippos. Gegenüber Daphnes Ablehnung bleibt er ohnmächtig. So buddelt sie sich in den Schnee ein, während Apollo erklärt, sie werde als Lorbeer die ewige Liebe verkörpern. Im Orchester beginnt da die Metamorphose, wie Ovid sie beschrieben hat: Daphne verwandelt sich in einen Lorbeerbaum. Thomas Guggeis lässt das Orchester geheimnisvoll schimmern – der Schluss gehört dem Orchester beinahe allein. Bei Abwesenheit von Drama geschieht an diesem Abend etwas Unerwartetes. Man hört das ganze Verführungsarsenal, über das Richard Strauss so souverän gebot. Doch es zerfällt.

Das ruhige Tempo, das beinahe den ganzen Abend dominiert, lässt die Musik hoffnungslos melancholisch wirken. Wie Richard Strauss in den Jahren 1935 bis 37. Ach ja, es gab einmal Götter – aber sie sind machtlos. Ach ja, es gab einmal Liebe – aber Arkadien ist vereist. Ach ja, es gab einmal Oper – aber Inszenierungen haben nichts mehr mit dem Stück zu tun. Alles verloren. Alles eitel: Das Publikum in der Lindenoper schwelgt in diesem trostlosen Vanitas-Menetekel. Sehr teuer, sehr reaktionär, sehr langweilig. Der Beifall war ungeteilt stürmisch.

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