David T. Littles Oper Dog Days in Braunschweig

Ein Endspiel

„Dog Days“ von David T. Little fesselt in Braunschweig das Publikum

Von Bernd Feuchtner

(Braunschweig, 11. Februar 2023) Vater Howard hält die Knarre auf den Hund, die beiden Jungs hinter ihm feuern ihn an: „Der stinkt! Und hat Flöhe!“ Er drückt aber nicht ab. Wie noch häufig an diesem Abend kommt er nicht zum Zug. Und der Hund ist gar kein Hund. Der Streuner, der ums Haus schleicht, ist ein Mann im Hundekostüm.
Es sind die Hundstage – aber heiß ist es nicht nur wettermäßig. Es herrscht Krieg in David T. Littles Oper „Dog Days“, die im Staatstheater Braunschweig ein aufmerksames Publikum fand. Ein letztes Mal wirft ein Regierungs-Hubschrauber Konserven ab. Die Läden sind zu, Strom und Benzin gibt es nicht mehr. Der verdreckte Mann hofft darauf, für einen bettelnden Hund würde vielleicht Futter abfallen.

Das sagt er natürlich nicht, denn ein Hund kann ja nur bellen. Der junge Schauspieler Steffen Recks ist der erste Pluspunkt der Produktion, ein gelenkiger blonder Schlacks, der durch die ganze verschachtelte Betonkonstruktion turnt, die Stephan Manteuffel auf die Bühne gestellt hat. Er bettelt treuherzig, macht Männchen, legt sich auf den Rücken zum Kraulen und gewinnt dadurch das Publikum für sich. Aber sein Lecken kann auch gefährlich werden, wenn der Vater ihn herausfordert – und auch dieses Duell verliert. Nicht zuletzt das hundehaft Sexuelle bringt hier manche Fassade zum Einsturz. Bariton Michael Mrosek baut das tragische Portrait eines arbeitslosen Macho auf, der vergeblich alles zusammenzuhalten versucht und doch dem Auseinanderfallen seiner Familie ohnmächtig zusehen muss.

Die Tenöre Matthew Peña und Fritz Steinbacher verkörpern lautstark und überzeugend die Söhne – ihre Musik ist rockig und schlagzeugdominiert. Sie verwildern, kiffen zu viel und beginnen in fremde Häuser einzubrechen, die Toten anzuschauen und zu plündern. Bis sie vom Militär aufgegriffen werden. Der weibliche Captain, aalglatt gespielt und schneidend gesungen von Ensemblemitglied Milda Tubelyte, macht Howard klar, dass die beiden Rowdys das nächste Mal im Trainingscamp landen werden.

Das kleine Instrumentalensemble mit Klarinette (auch Bassklarinette), Geige, Bratsche, Cello und Kontrabass, elektrischer Gitarre und etlichem Schlagwerk kann aber nicht nur die Dramatik hochpeitschen, sondern auch ganz sanfte Töne erzeugen oder einen lähmenden Klangteppich unterlegen. Alexis Agrafiotis hat die Combo bestens im Griff, heizt ein bei den hochdramatischen Momenten und sorgt für Empfindsamkeit und Klangschönheit, wenn der Fokus auf die inneren Konflikte gelenkt wird. Wie schon in der Erzählung von Judy Budnitz sind die Frauen die interessantesten Charaktere. Besonders die erschöpfte Mutter von Ivi Karnezi singt tief emotional und in langsamerem Tempo von ihrer Verzweiflung. Auch in ihren Bewegungen zeichnet das ehemalige Ensemblemitglied die Verlorenheit einer Hausfrau, die am Ende nur noch Löwenzahn aus dem Garten auf den Tisch bringen kann.

Die Sopranistin Veronika Schäfer singt sich als Tochter Lisa gleich zu Anfang mit einer langen Szene ins Zentrum des Interesses. Arien mag man das nicht nennen, was der Komponist schreibt, aber Gesanglichkeit steht im Mittelpunkt seines Interesses. Lisa ist die erste, die sich dem Hund nähert und ihn auch füttert. Der Hund weckt ihre brachliegende Emotionalität, und allein ihr gelingt es im Lauf des Abends, sich zu emanzipieren. Dieser spannende Prozess macht den ohnehin atemlosen Ablauf des zweistündigen, pausenlosen Aufführung noch aufregender.

Regisseur Balász Kovalik hat die Figuren dieses Kammerspiels in ihrem Kern gepackt und sie in packende Interaktionen gestürzt. Am Ende singt Ivi Karnezi ein letztes ergreifendes Lamento, während sie den nackten Hund wäscht. So wie sie einst ihre Kinder stehend in der Wanne gewaschen hat, bevor sie dann erwachsen wurden und ihr entglitten. Oder bereits so, wie man eine Leiche wäscht. Danach legt sie sich zum Sterben hin. Der Vater trifft unterdessen unter dem Gejohle seiner hungrigen Söhne eine fatale Entscheidung: Es ist ja nur ein Hund, also ein Tier, also jagdbar. Essen sie in China nicht auch Hunde? Das, und der Tod ihrer Mutter, löst in Lisa die Entscheidung zum Aufbruch aus. Der Schuss fällt zwar hinter der Bühne, doch wie der nackte Steffen Recks als tödlich getroffener Hund ins Haus zurückkriecht und unter einem gewaltigen Crescendo verreckt, geht unter die Haut. Starker Beifall. Keine Braunschweiger Schulklasse sollte dieses vielschichtige Musiktheater verpassen.

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