Oper Köln: Verdis „Luisa Miller“ frenetisch bejubelt

Oper Köln/LUISA MILLER/Rodrigo Porras Garulo, Mané Galoyan/Foto © Thomas Aurin

Sternstunde im Kölner Staatenhaus: Verdis „Luisa Miller“ frenetisch bejubelt

Das Verhängnis kündigt sich schon in der Ouvertüre an: Luisa und Rodolfo werden von den  Machtansprüchen der adeligen Familie Rodolfos vernichtet. Verdi komponiert in facettenreichen Tonfarben große Emotionen. Christof Loy fokussiert im kargen Bühnenbild den Blick auf die Personenkonstellation. Mané Galoyan ist eine hinreißende Luisa Miller. (Rezension der Vorstellung vom 8.3.2023)

 

 

Es ist Verdis dritte Bearbeitung eines Dramas von Schiller, das dieser ursprünglich „Louisa Millerin“ betitelte. Der Titel „Kabale und Liebe“ wurde dem Stück erst von August Wilhelm Iffland verliehen und charakterisiert die Handlung: die Liebe zwischen der bürgerlichen Luisa Miller und dem Adelssproß Ferdinand (Rodolfo) von Walter wird durch niederträchtige Kabalen (Intrigen) zerstört. Die damals unüberwindliche Trennung zwischen Adel und Bürgertum spielt eine große Rolle. Am Ende beweinen beide Väter ihre toten Kinder. Verdi erkannte in Schillers Sturm-und-Drang-Drama den griffigen Opernstoff. In drei Akten, betitelt „Die Liebe“, „Die Intrige“ und „Das Gift“ entfaltet sich die dramatische Vernichtung Luisas vom höchsten Liebesglück bis zum Tod, der auch Rodolfo und den Intriganten Wurm mitreißt.

Der Librettist Salvatore Cammarano musste ein fünfaktiges „bürgerliches Trauerspiel“ zu einer den damaligen Konventionen entsprechenden Opernlibretto umformen. Das bedeutet, er hat Chöre ergänzt, die Handlung gestrafft und die Besetzung reduziert. Wichtig war Verdi der Generationenkonflikt und die Reflektion der Möglichkeiten des einzelnen, sich in der Gesellschaft zu verwirklichen. Dieses Thema ist zeitlos, was die modernen Kostüme von Ursula Renzenbrink zeigen, die die soziale Stellung der Personen durch ihre Kleidung ausdrücken.

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker wurde von der zuerst 2021 in Glyndebourne gezeigten Produktion übernommen. Es ist ein auf einen Fluchtpunkt im Hintergrund zulaufender trapezförmiger Kasten, der hinten in einer Tür endet. Das wirkt wie ein großer Schalltrichter, der den Gesang verstärkt. Einzige Requisiten sind ein Tisch mit drei Stühlen und ein Kruzifix, das in der Dramaturgie eine große Rolle spielt. Es deutet auf die hierarchische Struktur des Patriarchats hin, die durch den Katholizismus legitimiert ist, aber auch auf die Erlösung im Tod, die Luisa und Rodolfo erwarten. Im zweiten Akt wird die Bühne durch eine Art Flur mit Spiegel auf der rechten Seite zum Schloss erweitert, im dritten Akt öffnet sich die rechte Seite in die Schwärze des Todes.

Das Orchester ist neben dem Publikum auf der linken Seite platziert, so dass die Sänger den Dirigenten nur auf den Monitoren sehen können. Trotzdem klappt die Koordination, nur die Akustik ist gewöhnungsbedürftig, weil sich der Orchesterklang nicht direkt mit den Stimmen mischt.

Oper Köln/LUISA MILLER/Ólafur Sigurdarson, Mané Galoyan/Foto © Thomas Aurin

Unterschiedliche Stimmungen werden durch die sehr vielfältige Beleuchtung von Olaf Winter erzeugt. Das geht von strahlendem Sommerlicht in der ersten Szene bis zum fahlen Todeslicht am Schluss. Schon während des Vorspiels bewegen sich die Figuren wie bei einer Familienaufstellung. Christof Loy beschreibt durch die Positionierung der Figuren auf der Bühne ihre Beziehung zueinander. Das gleißende Licht auf dem weißen Hintergrund verstärkt die Aktionen wie unter einem Brennglas. Mitunter ist man direkt geblendet, so hell ist das sezierende Licht, wie bei einer Operation. Flora Wilson schreibt im Guardian über die Vorstellung in Glyndebourne: „50 Shades of white“.

Am Anfang wird die schlafende Luisa über und über mit Blumen bedeckt, dazu singt der Chor aus dem Off. Man ahnt bereits ihren bevorstehenden Tod. Es ist Lucias siebzehnter Geburtstag, und das Duett mit Rodolfo nimmt das Publikum sofort für das Liebespaar ein. Aber Lucias Vater hat Vorbehalte gegen Rodolfo, vor allem, nachdem sich herausgestellt hat, dass er der Sohn des Grafen Walter ist. Man ahnt bereits den Rigoletto! Und Graf Walter hat, ehrgeizig wie er ist, andere Heiratspläne für seinen Sohn. Der soll die verwitwete Gräfin Federica heiraten und so Einfluss am Hof gewinnen. In seiner Naivität offenbart Rodolfo Federica seine Liebe zu einer anderen. Sie zeigt kein Verständnis sondern besteht auf einer Verbindung mit dem attraktiven Rodolfo.

Graf Walter und sein Kastellan Wurm schmieden den Plan einer Intrige: Das Verschwörerduett der beiden Bässe Walter und Wurm lässt schon das große Duett Philipp – Großinquisitor ahnen. Unter einem Vorwand wird Luisas Vater verhaftet, und Wurm erpresst von Lucia einen Brief, in dem sie bekennt, sie liebe nur ihn, Wurm, und habe sich nur aus Berechnung an Rodolfo herangemacht. Das Briefduett ist mit dem Entsagungsmotiv Violettas aus „La Traviata“ illustriert und ist einzigartig: der abgewiesene Verehrer diktiert der Begehrten ein falsches Liebesgeständnis zu seinen Gunsten. Dieser Brief wird Rodolfo zugespielt, der seine Enttäuschung in der großen Arie: „Quando le sere al placido“, ergreifend zum Ausdruck bringt. Sie wird häufig als Paradestück für Tenöre aufgenommen, denn in dieser Arie trauert Rodolfo einerseits seiner verlorenen Liebe nach, entwickelt aber auch Rachegefühle und Zorn. Walter hat es sich angeblich anders überlegt, weil Rodolfo ihm gedroht hat, zu verraten, dass er mit Wurm zusammen seinen Vorgänger umgebracht hat, aber jetzt ist Rodolfo düpiert und fordert Wurm zum Duell. Der entzieht sich durch Flucht. Die Hochzeit Rodolfos mit Federica wird vorbereitet.

Luisa will sich das Leben nehmen, aber ihr Vater hält sie davon ab. Man beschließt, am nächsten Tag zu fliehen. Da kommt Rodolfo ins Zimmer und verlangt Klarheit. Verabredungsgemäß leugnet Luisa ihre Liebe zu ihm. Rodolfo vergiftet das Wasser, von dem beide trinken. Erst angesichts ihres nahenden Todes erlaubt sich Luisa, Rodolfo von der Erpressung durch Wurm zu berichten. Aber es ist für beide zu spät. Vor den Augen ihrer Väter brechen sie tot zusammen, und es gelingt Rodolfo noch, Wurm mit seinem Messer zu erwischen.

Naturgemäß konzentriert sich die Oper auf die großen Gefühle der Protagonisten, die bereits von Schiller sehr vielschichtig angelegt sind. Salvatore Cammarano, ein erfahrener  Librettist, hat die Handlung konzentriert und die in ihrer formalen Anlage verkürzten Arien zu Wendepunkten des Dramas ausgebaut. Die Arien reflektieren nicht mehr die Handlung, die Handlung setzt sich in den Umschwüngen der Arien fort. Zwischen Cabaletta und Arie packt er Choreinwürfe und Dialoge, so dass die Oper sehr dicht ist. Diese Kunst hat Verdi in den folgenden Opern zur absoluten Meisterschaft entwickelt. Was bei „Luisa Miller“ noch fehlt sind die großen Tableaus wie die Autodafé-Szene aus „Don Carlo“ oder der Triumphmarsch aus „Aida“, aber das liegt am kammerspielartigen Charakter des Stücks, das sich auf die Zerstörung des Glücks des Liebespaars durch die Intrige einzelner Personen bezieht. Der Chor trägt hier nur etwas zur pastoralen Atmosphäre als Dorfbewohner, die die Szenen kommentieren, bei und ist kein echter Handlungsträger.

Oper Köln/LUISA MILLER/Mané Galoyan, Krzysztof Bączyk/Foto © Thomas Aurin

Die Armenierin Mané Galoyan hat bereits in Glyndebourne das Publikum bezaubert. Sie ist eine hinreißende Luisa, deren Gesang technisch perfekt ist und deren Darstellung der Luisa zu Tränen rührt. Ihre Stimme hat die kristallene Klarheit, sich über jedes Orchester zu erheben, die extremsten Koloraturen zu meistern, und eine wundervoll weiche Mittellage, die großen Gefühle der Liebe und Entsagung auszudrücken. Dabei strahlt sie mädchenhaften Charme aus. Rodrigo Porras Garulo ist ein kongenialer Rodolfo, auch er sehr jugendlich und naiv wirkend, der mit prachtvollem Wohlklang seine Liebe zu Lucia  zeigt, aber auch Enttäuschung und Rachsucht und, ja, Sturm und Drang gegen die maßlosen Ansprüche seines Vaters. Olafur Sigurdarson als Miller gibt mit noblem Bassbariton den vorsichtigen Vater, der dem adeligen Bewerber nicht über den Weg traut, der aber immerhin Luisa die Freiheit zugestanden hat, Wurms Werbung abzulehnen. Verdi lotet in diesem Werk aus, wie weit die individuelle Freiheit des Einzelnen geht, sich den Ansprüchen ihrer Eltern und der Gesellschaft zu widersetzen, und kommt zu einem vernichtenden Ergebnis. Das drückt Loy dadurch aus, dass Rodolfo wutentbrannt das Kruzifix von der Wand nimmt und in die Ecke schleudert, denn letzten Endes leiten alle ihre Machtansprüche von Gott her. Miller will immerhin ein gütiger Vater sein, während Walter ein herrschsüchtiger Despot ist, der vor Mord und Kuppelei nicht zurückschreckt, um seine Macht zu vergrößern. Dario Russo als Walter gibt den smarten Grafen mit dem aalglatten Charme eines Mafia-Bosses. Er zeigt die routinierte Autorität eines Despoten, der vor Mord nicht zurückscheut, um seine Macht zu sichern, aber immer korrekt im Maßanzug auftritt. Es ist es gewöhnt, sich durchzusetzen und seine Umgebung zu manipulieren.

Krzystof Bączyk ist ein darstellerisch und stimmlich absolut überzeugender Wurm mit Mut zur Hässlichkeit. Bleich geschminkt mit strähnigen Haaren und grauer Kleidung ist er der Intrigant, der seinem Herrn die Drecksarbeit abnimmt. Das Briefduett mit Luisa, in dem er ihr ihre Liebe zu sich selbst diktiert, ist ein Kristallisationspunkt des Dramas, ebenso das Verschwörerduett mit Walter. Es läuft einem kalt den Rücken runter, wenn dieser Bass auftritt. Gerade noch mit opulentem balsamischem Bass als Oroveso in „Norma“, jetzt als fieser Intrigant in „Luisa Miller“! Der wird mal ein guter Mephisto! Er spielte und sang den Wurm auch schon in Glyndebourne. Adriana Bastidas-Gamboa, Star des Kölner Ensembles, verleiht der düpierten Gräfin Federica mit durchschlagendem Mezzo eindrucksvolle Kontur: sie will Rodolfo, koste es, was es wolle, und denkt nicht daran, auf seine Hand, die Walter ihr versprochen hat, zu verzichten.

Maria Koroleva als Laura und Namil Kim als Compgno di Rodolfo komplettierten das hochkarätige Ensemble. Der präzise einstudierte Chor der Oper Köln unter der Leitung von Rustam Samedow trug Couleur locale und ein paar kurze Szenen bei. Das Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Roberto Rizzi Brignoli, der übrigens jedes Wort mitsprach, agierte mit perfekter Italianità. Besonders hervorheben möchte ich die Klarinette, die das Liebesmotiv spielte.

Ein rundum gelungener Opernabend der betroffen machte und zum Nachdenken über den Generationenkonflikt, aber auch über die Freiheit des Individuums anregte. Man fragte sich, warum dieses Stück aus dem Jahr 1849, kurz vor „Rigoletto“, der Verdi den Durchbruch brachte, so selten gespielt wird. Das Publikum applaudierte endlos und bedachte vor allem Mané Galoyan mit frenetischem Jubel. Ein neuer Stern am Opernhimmel! Ein Besucher verglich sie mit der jungen Margaret Price. Man kann dem Intendanten Hein Mulders nur dankbar sein, dass er diese Produktion von Glyndebourne nach Köln geholt hat. Hier stimmte einfach alles.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Köln/LUISA MILLER/Mané Galoyan, Krzysztof Bączyk/Foto © Thomas Aurin
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