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„Die Großherzogin von Gerolstein“ am Staatstheater Nürnberg: Ordnung muss sein

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 Großherzogin (Eleonore Marguerre, Mi.),  Fritz (Martin Platz) und Wanda (Chloë Morgan).
In wen sie sich verknallt, den befördert sie zum General: Szene mit der Großherzogin (Eleonore Marguerre, Mi.), dem umschwärmten Fritz (Martin Platz) und seiner eigentlichen Braut Wanda (Chloë Morgan). Foto: Bettina stöss © Bettina stöss

Es scheint das Stück der Stunde: Nach dem Münchner Gärtnerplatztheater huldigt auch das Staatstheater Nürnberg Offenbachs Kriegssatire „Die Großherzogin von Gerolstein“. Schlachten gibt es keine zu sehen, dafür einen Trupp von Archivaren.

Nur mal auf den Schreibtisch schauen. Oder in die Speisekammer, ins Kellerabteil oder in die Garage: Von der größten Herausforderung unserer Zeit ist in der „Tagesschau“ nie die Rede – obwohl die ständige private Entropie weltweite Verheerungen anrichtet. Man könnte es auch Unordnung nennen, Schlamperei oder einfach Saustall. Vor allem dagegen wird in diesem Gerolstein in die Schlacht gezogen. Mittels eines Riesenarchivs, einer Orgie aus Schubladen und Ablagen. Eine „letzte Oase der Pünktlichkeit“, wie es einmal an diesem Abend heißt. Dieser Ministaat führt Krieg, und zwar gegen das Chaos.

Es ist ein aparter Zufall, dass wenige Wochen nach dem Münchner Gärtnerplatztheater auch das Schwesterstaatstheater aus Nürnberg Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ huldigt. Ebenso vielsagend ist, dass in beiden Versionen dieser Kriegssatire echte Schlachten ausgeblendet werden – obwohl die Zeit gerade reif dafür ist und der Komponist sein Meisterstück in ein Frankreich hineinschrieb, das in eine gefährliche europäische Krise geraten war.

Absurdes, Slapstick und ein Aktenordner-Ballett

In Nürnberg, bei Regisseur Andreas Kriegenburg, Harald Thor (Bühne) und Andrea Schraad (Kostüme) bleibt alles Bizarrerie. Der Hofstaat der Herzogin sind graumäusige Archivare („und Archivarinnen!“), die zum selben Friseur mit Mireille-Mathieu-Fetisch gehen und aufs Fielmann-Gratisgestell vertrauen. Die uniformierte Staffage führt dazu, das Fritz seine angebetete Wanda verwechselt. Zu Offenbachs Rhythmen lässt das Volk die Stehpulte rotieren. Einzig die Chefin leistet sich schicken Hosenanzug, später einen Monster-Reifrock und einen Ein-Mann-Geheimdienst: Schauspieler Pius Maria Cüppers gibt mit umständlicher Ansprache während der Ouvertüre den Ton des Abends vor.

Den Krieg, der bei Offenbach während der Pause stattfindet, erahnt man als wüstes Betriebsfest mit anschließendem Kater. Zum späteren Ballett lässt der ausnehmend spielwütige Chor die Aktenordner im Takt klappern. Ob im Ensemble oder in den Zweiermomenten: Kriegenburgs Regie ist hochpräzise, eine Choreografie der kleinen und großen Absurditäten, eine Slapstick-Folge mit Karikaturen-Alarm, immer zwei, drei Eichstriche über Normalnull. Weniger nach plüschiger Operette sieht das aus, auch nicht nach moussierender Satire à la française, eher nach teutonischer Monty-Python-Variante.

Eleonore Marguerre ist als Titelheldin eine leicht angeschickerte Chefin, kein Vamp, sondern eine Charakter-Uhr, die irgendjemand zu stark aufgezogen haben muss. Erstaunlich, wie sie das Spieltempo hält, auch mit dem großen Tonumfang der Partie hat sie keine Probleme. Hans Gröning ist als augenrollender General Bumm aus dem Musterbuch der Operette, Chloë Morgan keine liebliche, sondern eine aufgekratzte Wanda, die dank Wutanfall in die englische Muttersprache wechselt. Und Martin Platz ist als Fritz eine hübsche Querbesetzung: ein Charaktertenor, der linkisch, mit geweiteten Augen und ebensolchem Tenor nicht alles einordnen kann, was ihm da zwischen den Schubladen-Wänden widerfährt.

Erotik gibt es nur in Spurenelementen

Mit die beste Pointe ereignet sich ungewollt. In der Zweitaufführung musste der Sänger des Baron Puck krankheitsbedingt passen. Für ihn singt Ivan Oreščanin aus der Seitenloge, während Schauspieler Yascha Finn Nolting mit Textblock und Turbo spielt und spricht, als sei’s von Kriegenburg so geplant. Aus dem Orchestergraben drängt dazu Gepflegtes und gut Koordiniertes; Dirigent Lutz de Veer und die Staatsphilharmonie könnten sich durchaus mehr Grell- und Frechheiten erlauben.

Dass manche Regie-Volte bei Kriegenburg ins Leere läuft, ist ein Problem. Zwischendurch wirken die ständigen Überreizungen eher bemüht statt begründet. Außerdem ist der Abend zu lang, Dialogstrecken und Musik halten sich nicht die Waage. Und wie es um die Erotik steht, erfahren wir auch nur in Spurenelementen: Diese Aufführung, so gern die Titelheldin auch nach den Kerlen greift, prickelt nicht. Man muss es ja nicht gleich ins Rosarote treiben wie Josef E. Köpplinger. Aber an seinem Gärtnerplatz ist von steigenden Säften deutlich mehr zu erfahren. Nürnberg verzichtet auf Schaumwein, dafür gibt’s Gerolsteiner mit Gas.

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