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Mozart-Delikatessen: Simon Rattle dirigiert an der Berliner Staatsoper „Idomeneo“

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idomeneo
Premiere aus dem Edel-Asiamarkt: Szene mit Andrew Staples als Idomeneo (Mi.) unter dem Totenschädel Neptuns in der Inszenierung von David McVicar. © Bernd Uhlig

Es ist eines seiner Lieblingsstücke, und das hört man auch: Sir Simon Rattle dirigiert an der Berliner Staatsoper Unter den Linden Mozarts „Idomeneo“ - mit dreijähriger Verspätung.

Schon ab Takt zwei die erste Verunsicherung. Die Ouvertüre zu Mozarts „Idomeneo“, das ist meist ein gravitätischer Show-Start. Zu Musik geronnene Bedeutsamkeit, ein Klangbild des Kreter-Königs. Bei Sir Simon Rattle ist das anders, und das liegt an den ständigen, ungewohnten Doppelpunktierungen. Auch wer kein Partitur-Nerd ist: Ein bisschen frivol tönt das, widerhakig, ein Kunstgriff, der die monarchische Würde unterläuft.

Und so geht das weiter an diesem Abend in der Staatsoper Unter den Linden. Der Mann da vorn, dessen Noch-immer-Mähne effektvoll beleuchtet wird, ist Ausdrucksextremist, gerade bei diesem Stück, Mozarts reichstem, revolutionärstem. Kein Wunder, bei der Münchner Uraufführung anno 1781 stand dem jungen Wolfgang Amadé das damals weltbeste Orchester zur Verfügung.

Für Rattle ist das eine Einladung zum lustvollen Detailfummeln. Der „Idomeneo“ zählt zu seinen Lieblingen und begleitet ihn schon lange. 1987 zum Debüt beim Orchestra of the Age of Enlightenment hat er eine Aufführung für die Ensemble-Annalen dirigiert. Auch während seiner Chefzeit bei den Berliner Philharmonikern. Und beim BR-Symphonieorchester, das er im Herbst übernimmt, ist ebenfalls eine konzertante Version geplant. Nach Haydns „Schöpfung“ zu Beginn dieser neuen Ära und, kurz nach der Hochzeitsnacht, Mahlers Sechster, der „Tragischen“ – der Brite hat Humor.

Simon Rattle
Simon Rattle wird im Herbst Chef des BR-Symphonieorchesters und auch dort einen „Idomeneo“ dirigieren. © Astrid Ackermann

In Berlin mussten Rattle und die Staatsoper drei Jahre auf ihren „Idomeneo“ warten. Corona verhinderte die Premiere, umso flitzebogengespannt sind nun alle am Werk. Am Pult der klein besetzten Staatskapelle ist Rattle ganz Maximalist. Vor allem führt er vor, wie Mozart scheinbar Unvereinbares zusammenzwingt. Hier eine weit gespannte, atmende Kantilene, darunter konterkarierendes Begleitgrummeln oder eine wie gegenläufige Farbmixtur. Man hört überdeutlich heraus, wie Mozart verschiedene Gesten und Aggregatszustände überlagert, gegeneinander führt und alles ins spannungsreiche Miteinander mündet. Keine Sekunde oberlehrerhaft ist das, Rattles Mozart macht Spaß.

Auch in den lyrischen Momenten wie in der zweiten Ilia-Aria, ein duftiges Etwas mit herrlichen Bläser-Korrespondenzen. Für die Chorszenen oder Elettras Wahnwitz hat Rattle die passende Portion Furor. Und wenn einmal Idomeneos Truppen aufmarschieren, schreibt Mozart einen kleinen Marsch. Der wird bei Rattle und der Staatskapelle zum wunderfeinen Filigrangeklöppel. Hört man da etwa Antimilitaristisches heraus?

Angesichts der Regie von David McVicar hat Rattle leichtes Spiel

Die Wahrheit ist aber auch: Manchmal fallen die Arien etwas auseinander. Ein einheitliches Grundtempo gibt es nicht immer. Die Sache wird dann prätentiös. Mit zunehmender Dauer verliert der sehr lange Abend an Schwung. Und an das Musikbeben, das Constantinos Carydis 2021 im Münchner Prinzregententheater auslöste, darf man nicht denken. Wenn schon Sturm und Drang, so dirigiert Rattle, dann als Delikatesse.

In Berlin hat er leichtes Spiel. Ungehindert dringt seine Deutung in die Leerstellen der Regie vor. David McVicar macht auf große Oper. Über allen und allem wacht ein Totenschädel, der Kopf Neptuns. Ansonsten gibt es viel Symmetrie und Ritual. Wenn das Meer stürmt, bauscht eine Stoffwand. Wenn die Seele wütet, ringen stumme Maskenmenschen die Hände. Als das Ungeheuer über Kreta tobt, werden in Tücher gewickelte Leichen in einer Öffnung versenkt, in der am Ende auch der abgesetzte Idomeneo verschwindet. Sehr clean, sehr fernöstlich. Wo Mozart Personen von innen nach außen stülpt, setzt McVicar auf stereotype Gesten. Mit Vicki Mortimer (Bühne) und Gabriella Dalton (Kostüme) gerinnt die Aufführung zur Ästhetik aus dem Asia-Edelmarkt.

Besetzt ist sie durchschnittlich bis hochachtbar, nicht herausragend. Andrew Staples ist ein hell timbrierter Titelheld, der seinen Tenor locker auf dem Atem durch die Partie segeln lässt. Was fehlt, ist dramatische Vehemenz. Letzteres gaukelt Olga Peretyatko als Elettra mit Diven-Gebärden auch nur vor. Anna Prohaska hat als Ilia ihre Sopran-Verhärtungen relativ gut im Griff. Magdalena Kozena wirkt als eindringlicher Idamante unterfordert – sie dürfte, bekanntlich ist sie Rattles Frau, auch bei der Münchner Aufführung dabei sein. In der darf die eine oder andere Arie gern gestrichen werden zugunsten der abschließenden Ballettmusik: Eine der aufregendsten Instrumentalnummern Mozarts wird Berlin vorenthalten.

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