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Aus stürmischer See gerettet, aber weiterhin in Seelennot: Andrew Staples als König Idomeneo

© Bernd Uhlig

Rattle dirigiert Mozart an der Berliner Lindenoper: Kreta für Kenner

Wer des grellen Eurotrash-Regietheaters müde ist, dem könnte David McVicars Neuinszenierung von Mozarts Oper „Idomeneo“ in Berlin gefallen. Simon Rattle dirigiert die Partitur mit größter Liebe.

Leopold Mozart war besorgt: Sein Sohn hatte einen lukrativen Auftrag der Münchner Hofoper für die Saison 1781 an Land gezogen – doch warum legte der Filius so eine übertriebene Experimentierfreudigkeit an den Tag? Anstatt eine ordentliche Opera Seria zu schreiben, also eine ernste Oper auf einen antiken Stoff nach allen Regeln der Konvention, will er mit seiner Partitur dem künstlerisch bereits ziemlich ausgereizten Genre neue Impulse geben!

Er möge doch bitte die Erwartungshaltung des adligen Publikums bedenken, schreibt Leopold mahnend: „Du weißt, es sind 100 Ohnwissende gegen zehn wahre Kenner – vergiss also das so genannte Populäre nicht, das auch die langen Ohren kitzelt.“ Doch der renitente Herr Sohn denkt gar nicht daran – und schafft mit „Idomeneo“ ein Meisterwerk für Kenner und Liebhaber.

Die Handlung geht so: Idomeneo, der König von Kreta, gerät in Seenot, vermag Neptun aber dadurch zu besänftigen, dass er verspricht, ihm den ersten Menschen opfern, den er am Strand trifft. Es wird sein eigner Sohn Idamante sein. Nach drei dramatischen Akten aber siegt dann doch die Liebe: die von Idamante zu seinem Vater wie auch die zur trojanischen Prinzessin Ilia.

Ein Meisterwerk

Simon Rattle liebt diese Oper, in seiner Zeit bei den Berliner Philharmonikern hat er sie natürlich aufs Programm gesetzt, im Dezember wird er sie – als neuer Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters – am Uraufführungsort München interpretieren. An der Staatsoper Unter den Linden zelebriert und ziseliert er jetzt diese Musik mit größter Hingabe, will jedes harmonische Detail, jede überraschende Wendung, jede instrumentale Raffinesse wie einen Edelstein funkeln lassen – und streckt damit die Aufführungsdauer auf fast vier Stunden.

So sehr ist man mittlerweile bei den Mozart-Opern an den ruppigen Klang der Alte-Musik-Spezialensembles gewöhnt, an ihre Art der überartikulierten musikalischen Rhetorik, dass der samtige Klang der Staatskapelle bei der Premiere fast verwirrt. So schön die Holzbläsersoli auch leuchten über dem weichen Streicherklang - alles wirkt hier sehr rundgeschliffen, nobel, aber, ja, auch ein wenig zu harmlos.

Samtiger Orchesterklang

Die Emotionen, von denen die Protagonisten hier unablässig geschüttelt werden, arbeitet Rattle präzise heraus, doch sie bleiben dabei stets wohltemperiert, gezügelte Seelenbewegungen hochgestellter Persönlichkeiten. Keine, keiner gerät hier wirklich außer sich, selbst wenn es um Liebe und Leben geht.

Dazu passt die äußerst dekorative Inszenierung: Bühne, Kostüme, Lightdesign, alles präsentiert sich tadellos geschmackvoll. Ockerfarben ist die abstrakte Spielfläche, darüber schwebt ein gigantischer Totenschädel, es gibt viel Schattenwurf und Bühnennebel, dazu üppig wallenden Stoff, halb in der Antike, halb in der Mozartzeit zu verorten, gewürzt mit einem Schuss japanischen No-Theater.  

Alles sehr geschmackvoll

Das erinnert an Wieland Wagners Ästhetik der 1960er Jahre, an Nikolaus Lehnhoffs geschmackvolle Szenerien der Neunziger. Was der 1966 geborene schottische Regisseur David McVicar jetzt Unter den Linden anbietet, ist eine Opernoptik für alle, die des grellen Eurotrash-Regietheaters müde sind – und bereit, dafür auch so manche Passage der gepflegten Langeweile hinzunehmen.

Für szenische Aktion ist eine 13-köpfige „Movement Group“ zuständig, mal tanzend, mal schreitend, in ritualisierten Bewegungsabläufen Samurai-Schwerter schwingend oder auch mal mit einer Trapez-Einlage. Der erstklassig von Martin Wright einstudierte Chor wandelt gemessenen Schrittes, für die Solistinnen und Solisten muss eine minimale Personenführung ausreichen.

Vater und Sohn in Not: Andrew Staples als Idomeneo und Magdalena Kozena als Idamante (rechts).

© Bernd Uhlig

Umso wichtiger wird die Aussagekraft des Gesangs. Linard Vrielink gelingt es, die Nebenrolle des Königsberaters Arbace enorm aufzuwerten, weil er sein Herz auf den Lippen trägt, weil er auch dann menschlich wirkt, wenn er Pathos wagt, wenn er die hohen Tenortöne zum Seelenschrei sublimiert.

Ein Beben in der Stimme hat Magdalena Kozena, die die Hosenrolle des Idamante singt. Die Feinnervigkeit, mit der sie den altmodischen, verklausulierten Versen emotionale Tiefe ablauscht, beeindruckt, macht ihre Figur vokal glaubhaft.

Die übrigen Solisten dagegen bleiben überraschend blass an diesem langen Abend. Anna Prohaska, in ihren eigenen Projekten stets umwerfend abenteuerlustig, gestaltet die Ilia brav, allein auf Schönklang bedacht. Sehr prinzessinnenhaft wirkt auch die sonst so flamboyante Olga Peretyatko als eifersüchtige Elettra: Ihre Rachearien künden vom konventionellen Furor.

Und Andrew Staples in der Titelrolle? Liefert die Koloraturen souverän ab, gestaltet seinen Part mit sicherem Mozart-Stilgefühl, bleibt aber eine Marionette im Spiel des Lebens, vermag seine Figur nicht zum Charakter formen. Ein schwacher König, ganz librettogemäß.  

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