1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

„Elektra“ an der Oper Frankfurt: Der Komplex Elektra

KommentareDrucken

Elektra (l.) und Chrysothemis, Aile Asszonyi und Jennifer Holloway. Foto: Monika Rittershaus
Elektra (l.) und Chrysothemis, Aile Asszonyi und Jennifer Holloway. Foto: Monika Rittershaus © Monika Rittershaus

Die Musik, die aus ihr kommt: Claus Guth und Sebastian Weigle widmen sich in Frankfurt der rauschhaften Oper „Elektra“ von Richard Strauss mit Sinn und Verstand.

Die letzte Frankfurter „Elektra“ troff von Theaterblut. Falk Richter konnte sich auf den Gang der Handlung in Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals Oper berufen, die Bluttat der Vergangenheit zieht die Bluttat der Zukunft nach sich, und Folterknechte sowie gemarterte Leiber auf der Bühne verdeutlichten die allerdings ohnehin unbestreitbare Tatsache, dass auch die Gegenwart zwischen solchen Extremen wohl stets ihre gewaltsamen Seiten haben wird. 2004 dienten die damals neuen und schockierenden Nachrichten von Misshandlungen im US-Gefangenenlager in Guantánamo als Folie. Auch 2023 wäre man um Beispiele gewiss nicht verlegen.

Der Komplex Elektra, ein 110-minütiger Racherausch für die Protagonistin und Musikrausch für das Publikum, wird von Claus Guth nun aber in seelische Abgründe verlagert. Die übergroße Musik tritt nicht in Konkurrenz zur Bebilderung, diese weicht quasi zurück, was sich nicht von selbst versteht. Strauss’ Musik ist zwar übergroß, sie ist aber auch fürchterlich filigran – nun erst recht in Frankfurt, wo Sebastian Weigle und das Opern- und Museumsorchester ein Zauberwerk an disziplinierter Losgelassenheit veranstalten, die anspruchsvolle Kultur des Außer-sich-Seins bis in die Spitzen der Holzbläser feiern, und da ist sie wieder, die von Strauss angeforderte „Elfenmusik“ (Elfen sind Rowdies, aber wendig und von kaltem Feinsinn). Krasse Illustrationen können da, sagen wir einmal, eine steigernde Wirkung bieten. Aber nichts davon für diesen Abend. Auch interessant, auch packend. Dabei gänzlich unantik. Claus Guths Elektra wird in extremem, immer offensichtlicher auch klinischem Ausmaß von einer fixen Idee verfolgt. Es ist nicht auszuschließen, es ist sogar einzuschließen, dass sie sich das alles bloß einbildet. Aber was heißt hier: bloß?

Es ist für unsereinen trotzdem ein großer Unterschied, ob am Ende wirklich getötet und gestorben wird. Dann wieder: Für Elektra ist das keine Frage. Sie erlebt, was sie erlebt. Was sie erlebt, ist zu viel für einen Menschen.

Das Bühnenbild von Katrin Lea Tag erinnert über die Maßen an Thomas Demands Installation „Saal“ im Metzlersaal des Städel, ein purpur- und durchaus auch fleischfarbener Vorhang, dessen feine Falten sich als glatte Fläche erweisen, alles gedruckt und als Tapete aufgeklebt. Die Anwesenheit der Farbe Rot ist dabei zunächst ganz unbedrohlich, ein öffentlicher Raum, die Saaltüren mit Notausgangsschildern markiert. Alles in Ordnung. Es gibt neben Vielzweckstühlen allerdings einen einzigen Sessel, der wie von Geisterhand an der Wand emporfahren kann. Das Kind Orest, Elektras Bruder, der mit seinen Geschwistern hier gelegentlich vor unseren und Elektras Augen einen Geisterringelreihen tanzt, wird einmal hier Platz nehmen. Vielleicht der kraftvollste Beweis dafür, dass Elektra sich in eine schreckliche Fantasterei verstrickt hat. Kein ernstzunehmender Königsthron weit und breit. Auch der freundliche Beifall des Chors (Tilman Michael) für ihre Mutter Klytämnestra muss sich nicht an eine Königin richten, er könnte ebenso gut einem Star gelten, einem Star wie Susan Bullock zum Beispiel.

Die Dienerinnen, deren weitgehend herzloses Geschnatter die Oper eröffnet, sind passend dazu die von Theresa Wilson reinlich und schlicht gekleideten Angestellten eines Kurhotels, in dem die Überlebenden der bisherigen Atriden-Clan-Dramen untergekommen sind. Die drei Frauen zeigen sich in schönem Geschmeide, Bullock in Divenpracht, die ebenso zu ihrem Schutz gedacht zu sein scheint wie ihre Steinkette, Jennifer Holloways Chrysothemis im seidenen Hauskittel – den zugehörigen Schal knüllt sie sich allenthalben zum Babyersatz zurecht, ihre ganze Bedürftigkeit wird markant ausgestellt, nichts Liebes und Angepasstes ist an dieser angespannten, von eigenen Sehnsüchten gejagten Frau. Elektra selbst, Frankfurt-Debütantin Aile Asszonyi aus Estland, trägt eine Art Reformkleid, schwarz natürlich. Guth stellt sie aber nicht als Verwüstete vor, eher als in sich versponnene junge Frau, die so am Rande noch mitläuft, bis es nicht mehr geht.

Asszonyis Lächeln ist nicht nur bitter, ihre Lippen sind rot. Ihr gehört ein Platz dicht an der Rampe, und ihre mächtige Stimme, die es nie nötig hat zu schreien, kann sich von hier aus beherrschend auswirken. Holloways ebenfalls schlagkräftiger Sopran ist ein ganz unsanftes Pendant und doppelt Elektra eher, als sie zu kontrastieren. Bullock, die Elektra von 2004, ist auch in ihrer Bühnenpräsenz eine überzeugende Klytämnestra, als Gattenmörderin so einleuchtend wie als resolute Mutter, die sich müht, ihre schwierige Tochter zu bändigen. Die große Szene, in der sie sich von Elektra Tipps geben lassen will – die auf ihren, Klytämnestras eigenen Opfertod hinausliefen, grausig, grausig –, läuft eine Spur lapidar ab. Es geht um ein Figurengefüge, aber immer von Elektras Perspektive aus gesehen.

Zusätzliche Wandelemente können die Bühne immer wieder neu einteilen. Und der Eindruck wächst, dass es Elektras Hirngespinste sind, die ins Bild kommen. Das Grüppchen tanzender Bedienungen zum Beispiel, die eine mal neckische, mal unheimliche Irritation bringen. Sie beschleunigen die Zeit, sie dehnen die Zeit, sie lassen die Zeit für eine Sekunde rückwärts laufen. Dazu passt der Fadenvorhang, der – selbstverständlich ebenfalls in den Tapetenfarben – wie ein Regen auf Elektra rieselt. Sparsame Sinnlichkeit ist das Gebot der Stunde.

Die Geschwister von einst gehen vorüber, tanzen vorüber. Der Vater Agamemnon geistert umher, ein Knecht-Ruprecht-Typ, um den man Elektra nicht beneidet, aber sie hat sich auf ihn festgelegt. Dann: Orest, der in vielfältiger Ausfertigung, die Kapuze über den Kopf gezogen, aus dem Dunkel zwischen der Vorhangtapete tritt, um dort auch immer wieder zu verschwinden. Simon Bailey sprang in der Premiere für den erkrankten Kihwan Sim ein, stimmlich vermutlich nicht ganz so sonor wie der Koreaner, aber ohnehin bleibt er bei Guth eine schemenhafte und eben auch auswechselbare Gestalt: der ersehnte Exekutor (Mutter- und Aegisth-Mörder), der Mann, der einfach her muss, und es ist an dieser Stelle besonders stark anzunehmen, dass es Elektras fixe Idee ist, die ihn auf die Bühne zwingt, nicht die Realität. Franz Mayer als „Pfleger des Orest“ ist hier auch ein fideler Alter mit Party-Hütchen und Tröte – bildet sich Elektra überhaupt nur ein, dass er etwas über Orest gesagt hat?

Am Ende lässt Claus Guth uns tüchtig allein. Genialisch zappelt der durch die Nachricht vom angeblichen Tod Orests noch ganz aufgekratzte Zylinder-Träger Aegisth, Peter Marsh, am Boden und erwürgt sich gewissermaßen selbst, um dann doch fidel zu entspringen. Die Bühne wird aber für einige Momente in das Blutrot getaucht, das der Abend sonst so ostentativ meidet und das dadurch umso greller leuchtet (Licht: Olaf Winter).

Auch das Orchester wird von Weigle am Ende energisch auf die Bühne gewunken, es spielt bei Strauss hörbar eine, wenn nicht die Hauptrolle. Es ist die vorletzte Premiere für den scheidenden GMD, der hier, ganz in seinem Kernrepertoire, noch einmal besonders gefeiert wurde.

Oper Frankfurt: 24. März, 1., 7., 16., 21. April, 1., 5. Mai. www.oper-frankfurt.de

Auch interessant

Kommentare