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22. April 2023, 19:30 Uhr, ‹Die Schöpfung› – Oratorium von Joseph Haydn. Oper. Photo: Judith Schlosser
22. April 2023, 19:30 Uhr, ‹Die Schöpfung› – Oratorium von Joseph Haydn. Oper. Photo: Judith Schlosser
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Cornflakes mit Hafermilch – Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ in Basel

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Ein grinsender Wal (Jan Soder) mit Fontäne auf dem Kopf und beträchtlichem Bauchumfang singt: „Seid fruchtbar alle, mehret euch!“ Ob blökendes Schaf (Maurice Weisskopf), schwankender Baum (Azad Ibrahim Gökbas) oder zuckender Blitz (Laurin Born) – alle von Gott geschaffenen Elemente aus Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ (Kostüme: Sietske Van Aerde) sind in dem kleinen Barocktheater zu sehen, das im Foyer des Theater Basels aufgestellt ist.

Man steht an der Bar, sitzt auf der Treppe oder wie Intendant Benedikt von Peter auch auf dem Boden, um sich von rund hundert Schülerinnen und Schüler der Gymnasien von Muttenz und Oberwil verzaubern zu lassen. Sie stellen nicht nur die Solistinnen und Solisten, das Kammerorchester (Leitung: Samuel Strub, Arrangements: Daniel Brenner) und den Engels- und Schlusschor, sondern schieben auch Kulissen. Der belgische Regisseur Thomas Verstraeten vertraut die gesamte erste Hälfte dieses hochambitionierten Partizipationsprojekts vollständig den Jugendlichen an. Die stark gekürzten ersten beiden Teile von Haydns „Schöpfung“ gehen als reizende, kindliche Schultheateraufführung über die Bühne – mit glockenhell singenden Engeln, tanzenden Vögeln und Konfetti als Schneeersatz. Das klanglich etwas klavierlastige Orchester hat mit Gitarre, Saxophon, Marimba und Akkordeon für Haydn ungewöhnliche Instrumente zu bieten. Am Ende ist die Begeisterung groß. Selfies werden geschossen. Die Welt ist noch in Ordnung.

Zur zweiten Hälfte zieht das Publikum um in den normalen Zuschauerraum. Nun steht das komplette Oratorium auf dem Programm – dargeboten vom La Cetra Barockorchester Basel und Chor und Extrachor des Theaters Basel unter der Leitung von Jörg Halubek. Auf der Bühne ist ein Regieraum mit zahlreichen Bildschirmen aufgebaut. Auf der großen Leinwand sind Livevideos der Jugendlichen zu sehen, die sich selbst in der Garderobe filmen. Es wird gekichert und posiert, gequatscht und geblödelt. Erst nach etlichen Minuten beginnt das Orchester mit der Ouvertüre „Die Vorstellung des Chaos“ – harte Paukenschläge treffen auf einen schneidenden Streicherklang. Alex Rosen beginnt als Raphael die Schöpfungsgeschichte mit dunklem Timbre. Der helle, flexible Tenor von Ronan Caillet verleiht Uriel schwebende Leichtigkeit. Zu den Zeilen des Chores „Und eine neue Welt entspringt auf Gottes Wort“ verlassen die Teenies das Theater und gehen in die echte Welt. Auch hier filmen sie sich selbst, wenn sie im Supermarkt einkaufen, Wodka trinken oder Skateboard fahren. Party ist angesagt. Die wackligen Live-Videos haben streckenweise provozierend wenig mit Haydns „Schöpfung“ zu tun und manche Übergänge sind mit der Brechstange inszeniert, so dass einige Zuschauerinnen und Zuschauer das Theater früher verlassen. Aber die Regie schafft auch dezente Verbindungen, wenn zwitschernde Vögel im Park echte Naturtöne beisteuern oder die Technomusik im Club plötzlich einen Akkordwechsel aus dem Oratorium aufgreift. Haydns Musik selbst ist in der Interpretation von Jörg Halubek auch schon tänzerisch und kraftvoll, kontrastreich und äußerst vital. Das La Cetra Barockorchester und der Chor zeigen das pralle Leben. Und Alfheiour Erla Guomundsdóttir (Uriel/Eva) beglückt mit kristallinem Sopran und feinen Koloraturen.

Die Bilder des nächtlichen Basel werden ruhiger und persönlicher. Zwei Mädchen entdecken ihre Liebe. „Die Schöpfung“ wird zur Coming-of-Age-Geschichte. Noémi Müller (Adam) verführt Natalia Kujawa (Eva), lädt sie zu sich nach Hause ein, verbringt die Nacht mit ihr. Die traditionelle Schöpfungsgeschichte wird doppelt gebrochen. Und zum strahlenden Lobpreis Gottes im Chor löffeln die beiden Cornflakes mit Hafermilch. Ehe sich der Abend in Banalitäten verliert, schafft es der Regisseur, mit einem magischen Theatermoment die mediale Welt der Jugendlichen und die analoge im Theater miteinander zu vereinen. Wie überhaupt die mutige, innovative, handwerklich perfekt umgesetzte Produktion am Ende eine Sogwirkung entwickelt, der man sich nicht entziehen kann, auch wenn die eigentliche Botschaft unklar bleibt. Das Smartphone, das alle am Ende emporrecken, als Mittel zur Schöpfung der eigenen Welt? Virtualität schlägt Realität? Das wäre doch eine recht platte Antwort auf die Frage nach dem Ursprung von allem.

  • Weitere Vorstellungen: 26./28./30. April, 2./4./24. Mai, 5./13./15./17. Juni 2023. www.theater-basel.ch

 

 

 

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