Korngolds Die tote Stadt in Düsseldorf

Eine Traum(a)therapie

Axel Kober und Daniel Kramer machen an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf aus  Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ einen grandioses Opernereignis

Von Joachim Lange

(Düsseldorf, 16. April 2023) Spätestens am Ende packt Korngold einen dann doch. Mit einem der beiden Hits, die diesem genialen Werk im kollektiven Gedächtnis das Überleben sicherten. Wer wollte schon dem „Glück, das mir verblieb…..“ widerstehen. 1920 war die Uraufführung dieser Oper des gerade mal 23-Jährigen – zeitgleich in Hamburg und Köln, ein doppelter Opernpaukenschlag! Der konnte es einer offensichtlich mit dem orchestral schwelgerischen Pomp eines Richard Strauss aufnehmen!

Von heute aus gesehen konnte man da schon den späteren Oscar-Preisträger für Filmmusik, der er im erzwungenen US-Exil wurde, erahnen. Auch diesen Komponisten behielt zu Lebzeiten die Tragik des Jahrhunderts im Griff: Erst wurde er von den Nazis aus dem deutschen Kulturraum ins amerikanische Exil vertrieben, weil er Jude war. Nach dem Krieg wurde er nicht mehr gespielt, weil er nicht „modern“ genug war. Als er 1957 in Los Angeles starb, lag die Korngold-Renaissance, vor allem aber die Rückkehr seiner „Toten Stadt“ ins Repertoire, noch in weiter Ferne.

Zu der trug neben der betörenden Musik natürlich auch das mit seinem psychologisierenden Ehrgeiz und dem morbiden Reiz repertoireaffine Sujet bei. Obwohl die Anforderungen an die Sänger und das Orchester enorm sind, haben sich in den letzten Jahren nicht nur Flaggschiffe der Opernbranche wie die Salzburger Festspiele oder die Opernhäuser in München, Dresden, Hamburg oder Berlin ins düstere Opernbrügge aufgemacht, sondern auch Gera-Altenburg oder vor kurzem gerade Meiningen.

Anders als Köln, das in der Lockdownzeit mit Tatjana Gürbacas Inszenierung ins Netz ausweichen musste, fügt die Deutsche Oper am Rhein dem jetzt ein musikalisch grandioses und szenisch schlüssiges Beispiel vor vollbesetzten Haus in Düsseldorf hinzu. Szenisch ohne Überschreibungsehrgeiz, aber mit Sinn fürs Atmosphärische.

In dem von Korngolds Vater Julius unter dem Pseudonym Paul Schott aus dem Roman von George Rodenbach „Bruges-la-Morte“ von 1892 destillierten Libretto ist Brügge für Paul die Stadt des Todes. Hier vergräbt er sich in die Trauer um seine verstorbene geliebte Marie. Hier schottet er sich in der Erinnerung vom Leben und der Welt ab, lebt nur mit der Erinnerung an sie, bis ihm die lebensfrohe Marietta begegnet, die seiner Marie aus Haar gleicht. Was in dem Falle nicht nur eine Redewendung ist, denn die Haare seiner geliebten Frau sind für ihn eine zentrale Reliquie für seinen Totenkult.

Beim amerikanischen Regisseur Daniel Kramer und seiner australischen Ausstatterin Marg Horwell sind es nicht nur die Haare und Bilder von Marie, die die Erinnerung wach halten, sondern lebensgroße Puppen mit üppigen Langhaarperücken, mit denen er zusammenlebt und dabei das eigentliche Leben umgeht. Als seine treue Haushälterin Brigitta wirkt Anna Harvey, die mit ihren kurzen Auftritten gewaltigen vokalen Eindruck macht, in den verhangenen und verkramten Räumen Pauls wie eine Besucherin. Wie sie ist auch der smarte Emmett O’Hanlon als Pauls Freund Frank ein Besucher aus einer anderen Welt, der schon auf den ersten Blick über den Zustand des dauertrauernden Freundes und dessen Lebensumstände besorgt ist. O’Hanlon kann natürlich mit „Mein Sehnen, mein Wähnen, es träumt sich zurück…“ einem der beiden Superhits der Oper glänzen.

Pauls Lebenskrise bricht auf, als er der lebenslustigen Tänzerin Marietta begegnet und sie zu sich einlädt. Von ihr geht ein Ansturm des Lebens aus, was sowohl seine Erstarrung in der Liebe zur Toten erschüttert, als auch gewaltsame Abwehrreaktionen provoziert. In diesem Falle sind Marie und Marietta nicht – wie so oft – mit psychologischem Interpretationsehrgeiz ein und dieselbe Person, die eine Interpretin verkörpert. Hier sind Marietta (Nadja Stefanoff mit diesseitiger Verve und durchschlagender Dramatik ohne Überdruck) und Marie (wie eine Untote, die nur für Paul und uns sichtbar ist und ihre vermeintlichen „Rechte“ einfordert und für die Mara Guseynova den rechten transparent kühlen Jenseitsklang findet) zwei verschiedene Frauen, die beide um ihn ringen.

Bei Kramer ist es auch nicht so, dass Paul Marietta (vermeintlich) umbringt. Hier drischt er „nur“ im Wahn es zu tun, auf einige der herumliegenden Puppen ein, während sich Marietta diesem Exzess entziehen kann. Verglichen mit anderen auf den Subtext zielenden Inszenierungen ist Kramer klarer, gradliniger. Die Bühne, die sich auf das Innere von Pauls Behausung und einen ins düster Allgemeine abdriftenden Platz davor beschränkt, die große Prozession in die Phantasie der Zuschauer verlegt und den Zwischenspielen durch den geschlossenen Vorhang die Wirkung ihrer rein musikalischen Wucht überlässt, liefert dennoch maßvoll jene morbide Opulenz, die dieses Stück über den Tod zum Leben braucht…. Anders als die Ensembleszene der Prozession ist die mit der Schauspieltruppe ausinszeniert. Mit gespenstischen Marie-Alter-Egos als Zuschauer und einem erotisch aufgeladenen Spiel am, auf und in einem Sarg, bei dem Marietta das Objekt der Begierde für Victorin (Stefan Cifolelli), Gaston (Chidozie Nzerem) und Graf Albert (Florian Simons) ist.

Das vokale Zentrum in diesem durchweg starken Ensemble (zu dem auch Anna Spohia Theil als Juliette und Alexandra Yangel als Lucienne gehören) ist freilich Corby Welch als Paul. Den Mann in der Lebenskrise spielt er wie einen etwas leicht verwahrlosten Künstler. Aber er singt ihn mit einer überwältigend trompetenhaften Strahlkraft – ohne Ermüdung und mit genug Differenzierung, um zumindest auf den Erfolg seiner Traum-Selbsttherapie („Ein Traum hat mir den Traum zerstört, ein Traum der bitteren Wirklichkeit den Traum der Phantasie“) zu hoffen. Anders als bei Gürbaca in Köln, wo Paul den Rückweg ins Leben nicht schafft und sich selbst umbringt.

Der Beifall in Düsseldorf wurde schnell zum Jubel! Vor allem auch für Axel Kober und die Düsseldorfer Symphoniker, die weder den süffigen Sound und das sinnliche Schimmern, noch die Transparenz dieser Musik schuldig blieben. Und er galt wohl auch dem Anfangzwanzig-Jährigen, gerade erwachsen gewordenen Komponisten-Wunderkind, das es mit Richard Strauss und Giacomo Puccini hätte aufnehmen können, wenn man ihn denn gelassen hätte…..

Musikalische Leitung: Axel Kober

Inszenierung: Daniel Kramer

Bühne und Kostüme: Marg Horwell

Licht: Peter Mumford

Chorleitung: Gerhard Michalski

Einstudierung Kinderchor: Ricardo Navas Valbuena

Dramaturgie: Anna Grundmeier

Paul:Corby Welch

Marietta:Nadja Stefanoff

Marie: Mara Guseynova

Frank/Fritz:Emmett O’Hanlon/Richard Šveda

Brigitta:Anna Harvey

Juliette:Anna Sophia Theil/

Lucienne:Alexandra Yangel

Victorin: Stefan Cifolelli

Graf Albert: Florian Simson

Gaston: Chidozie Nzerem

Chor der Deutschen Oper am Rhein

Kinderchor (Aufnahme): Düsseldorfer Mädchen- und Jungenchor

Orchester Düsseldorfer Symphoniker/

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