In Claudio Monteverdis Oper Il ritorno d´Ulisse in patria, um 1640 vom 74-jährigen Komponisten geschrieben, wartet Penelope 20 Jahre lang auf die Rückkehr ihres in den Trojanischen Krieg gezogenen Gatten Ulisse, auch wenn alle gutmeinenden Ratgeber um sie herum ihr raten, Mut zu neuer Liebe zu haben. Die amerikanische Schriftstellerin Joan Didion erlebt dagegen den Tod ihres Mannes: John Gregory Dunne, mit dem Didion 39 Jahre verheiratet war, sackt in Folge eines Herzstillstands plötzlich beim Abendessen zusammen. Ein Jahr von magischem, ja hypnotischem Denken, an Stelle von logisch realistischem Handeln, schreibt sie sich in ihrem Buch von der Seele. Zwei Schicksale, mehr als 2000 Jahre voneinander getrennt. Und doch eint sie das unerschütterte Standvermögen starker Frauen, die nicht aufhören wollen, an das Wunder einer Rückkehr ihrer Partner ins Leben zu glauben: tragischer Tenor des neuen kleinen Festivals „Ja, Mai“ für frühes und zeitgenössisches Musiktheater, das nun zum zweiten Mal an der Bayerischen Staatsoper München zu bewundern ist.

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Charles Daniels (Ulisse) und Kristina Hammarström (Penelope)
© Wilfried Hösl

Hier hat Regisseur Christopher Rüping, bis 2019 an den Kammerspielen München aktiv und inzwischen am Zürcher Schauspielhaus tätig, Kräfte von Staatsoper und Residenztheater zusammengeführt, Monteverdis Antikendrama mit einem fast alltäglichen Schicksalsschlag unserer Tage in eine neue Aktualität geholt: Il ritorno / Das Jahr des magischen Denkens, in der das Experiment glückt, Oper und Schauspiel in sich gegenseitig aufladender Spannung auf der Bühne zu überzeugender Balance zu bringen.

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Kristina Hammarström (Penelope) und Charles Daniels (Ulisse)
© Wilfried Hösl

Dazu hatte der musikalische Leiter Christopher Moulds Monteverdis Oper gekürzt, aus der Götterfamilie nur Minerva behalten, den Kern der Opernhandlung auf Penelope konzentriert. Joan Didion spricht aus ihrem Werk, rückblickend als Ehefrau, Schriftstellerin, aus den Augen eines Freunds von John: verteilt auf mehrere Rollen, die von Sibylle Canonica, Wiebke Mollenhauer und Damian Rebgetz mit faszinierender Dramatik dargestellt wurden. Johns Tod ist der Schock der eröffnenden Szene; der karge Bühnenraum des Cuvilliés-Theaters konzentriert den Blick auf den schmucklosen Tisch mit Abendessen und Whiskyglas. Johns Körper, mit weißem Laken zugedeckt, bleibt auf dem Bühnenboden zurück. Szenenwechsel: wie im barocken Theater werden Bühnenbild-Teile von den Seiten hereingeschoben, dazu eine moderne Videoleinwand aus dem Schnürboden herabgesenkt. John wird Ulisse, kommt nach dem Verlust des Bewusstseins beim Schiffbruch zu sich, ringt im Spiel um Orientierung. Er singt bruchlos von dem, was an Erinnerungen wach wird: ein erster von vielen starken Momenten dieses Abends, die an die Nerven der Zuschauer gehen. Charles Daniels, Monteverdi-erfahrener englischer Tenor, spielte den ebenso scheuen wie wachen Ulisse mit Hingabe, imponierte beim Bestehen der Bogenprobe, die hier ein markerschütternder Schlag des Donnerblechs war, begeisterte mit reichem Spektrum vokaler Färbungen: ein aufwühlendes Rollenportrait!

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Wiebke Mollenhauer, Damian Rebgetz, Sibylle Canonica und Kristina Hammarström
© Wilfried Hösl

Eigentlich hätte es Penelope, vom schwarzen Trauerschleier gezeichnet, so einfach, ihre Freundin Melanto macht es ihr ja vor: „Liebe doch von neuem! Amors süße Gefährtin ist die Schönheit!“ Standhaft wie stur weist das die lebenserfahrene Penelope zurück: „Amor ist ein herumstreifender Gott, dessen Unbeständigkeit bekannt ist!“ Die schwedische Mezzosopranistin Kristina Hammarström ist der Fels in Monteverdis Gefühlsbrandung; sie machte mit herrlich abgedunkelter Stimme, mit feinen Nuancen von Schmerz, Anklage und Verzweiflung, ihre Auftritte zu raumgreifenden Ereignissen. Die stupende Videotechnik (Susanne Steinmassl), die fast penetrant an die Figuren heranrückte und Tropfen von Tränen oder feines Fiebern von Falten bewegend auf den großen Screen holte, verstärkte bravourös dieses selten gehörte Erlebnis.

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Sibylle Canonica
© Wilfried Hösl

Hervorragende Solisten kamen aus dem Opernstudio der Staatsoper in die Inszenierung: Xenia Puskarz Thomas und Liam Bonthrone als jugendlich unbekümmertes Liebespaar Melanto und Eurimaco, die stimmlich wie spielerisch auch für Laune und Lacher sorgten. Als Hirt Eumete, der als erster Ulisse wahrnimmt, überzeugte Aleksey Kursanov. Dem Sohn Telemaco, der seinerseits Ulisse suchte, gab Granit Musliu packendes Profil. Herrlich schräg auch die unterlegenen Liebhaber der Penelope, famos gesungen von Roman Chabaranok und Cameron Shahbazi.

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Wiebke Mollenhauer, Sibylle Canonica, Damian Rebgetz und Charles Daniels
© Wilfried Hösl

Emotionen in Musik darstellen: Theorben, Barockharfe und Lirone, Cembalo und Regal, Zinken und Streicher vom Bayerischen Staatsorchester sowie dem Monteverdi Continuo Ensemble zauberten in Christopher Moulds konturierter Deutung einen Klang voll zarter Gefühle, beim seelischem Kampf mit perkussiver Schärfe und rhythmischem Furor. Dass dies auch fragende Gedankenspiele evoziert, macht am Erfolg der Produktion keine Abstriche. So wird im Verlauf spürbar, wie intensiv ein einzelner gebrochener Akkord Monteverdis einen ganzen seelischen Zustand ausdrücken kann und wie viele Worte eines Schauspielers dazu nötig sind. Seine konzentrierte Musiksprache steht da im Gegensatz zu einem zeitweiligen Zerfasern des Schwalls von Didions Gedanken. Gesprochene Dialoge können als zu lang empfunden werden, etwa wenn Johns Freund fast mechanistisch hämmernd „er ist doch tot“ wiederholt.

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Charles Daniels, Wiebke Mollenhauer und Kristina Hammarström
© Wilfried Hösl

Klangbild und Szene passten gut in Münchens schmucken Saal des Cuvilliés-Theaters, zu Penelopes insistierendem „Torna“: zurückkommen, die Zeit anhalten, wenn schon nicht zurückdrehen. Und ein wenig von Monteverdis Happy End fand auch Joan Didion, die nach einem Jahr magischen Denkens die Schuhe von John endlich wegwerfen will – logisch!

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