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Verstörend gut: „Rusalka“ mit Asmik Grigorian an der Bayerischen Staatsoper

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Asmik Grigorian und Günther Groissböck
Opernthriller, der auf reale Missbrauchsfälle anspielt: Asmik Grigorian als Rusalka und Günther Groissböck als Wassermann. © Wilfried Hösl

Erstmals singt Asmik Grigorian an der Bayerischen Staatsoper die Rusalka. Ein Energiesprung für die beste Produktion des Hauses. Doch auch auf allen anderen Positionen bietet die Wiederaufnahme von Martin Kušejs Inszenierung Außerordentliches.

Der beste Gradmesser sind die Nebengeräusche. Dort, wo sonst Taschentuchknistern, Hüsteln, wahlweise leises Röcheln zu vernehmen ist, herrscht Totenstille. Weitestgehend jedenfalls. 2000 Menschen haben, so scheint’s, für drei Stunden bis aufs Schauen und Hören ihre Körperfunktionen eingestellt: weil die Bayerische Staatsoper das Beste herzeigt, was sie Stand Sonntagabend zu bieten hat.

13 Jahre hat Martin Kušejs Missbrauchsstudie, die er Antonín Dvořáks „Rusalka“ ohne Reibungsverluste abgewann, auf dem Buckel. Eine Regie, in die er die österreichischen Kinderschändungsfälle um Josef Fritzl und Natascha Kampusch widerhallen ließ, die aber so viel mehr ist als „Tagesschau“-Oper. Tatsächlich legt die Produktion in einer Mixtur aus Reality-Theater und Verfremdung das dunkle Potenzial des Nixen-Märchens frei. Und weil Setting und Konzept stimmen, bewegen sich Sängerinnen und Sänger mit einer selbstverständlichen, nie äußerlichen Intensität durch den Abend, die sich minütlich steigert – obgleich fast alle Rollen neu besetzt sind. Ein Thriller, eine verstörend gute Psychostudie. Die manchmal kaum auszuhalten ist, weil sich Gut und Böse, wie Kušej vorführt, auch überlappen können.

Ein so beunruhigender wie fordernder Abend

Asmik Grigorian, erstmals hier in der Titelrolle, beschert dem Ganzen einen Energiesprung. Das ist kein Votum gegen ihre grandiose Vorgängerin Kristine Opolais. Aber Grigorian führt auf frappierende Weise vor, wie ein Charakter implodiert – und dies, ein Paradox, bei einem Höchstmaß an Expression. Es sind die präzise gesetzten kleinen Gesten, hier ein Blick, dort das unschlüssige Schulterzucken einer Verratenen, mit denen diese Wunderdarstellerin das Publikum zu sich auf die Bühne holt.

Dazu passt ein Gesang, der nicht die Kulinarik sucht, sondern stets (oft leise) Seelenentäußerung ist. Die metallische Färbung, der gut kanalisierte Zartbitterton sichern Asmik Grigorian auch vokal eine Überpräsenz – selbst wenn Henrik Nánási das Staatsorchester heißlaufen lässt. Der Neue am Pult hat den Dvořák-Swing und ein Gefühl für die oft kräftigen Farbaufträge. Nicht immer ist er mit den Augen beim Bühnenpersonal. Doch dafür gibt’s ja den Maestro suggeritore im Souffleurkasten.

Dmytro Popov bringt für die Prinzen-Partie einen verschwenderischen, belastbaren Tenor mit. Er nähert sich dem Wahrhaftigkeitskern der Aufführung von der konventionellen Seite – was perfekt zum Rollenkonzept passt. Ewa Plonka bietet dazu als fremde Fürstin das so biestige wie klangüppige Kontrastmittel. Okka von der Damerau, relativ kurzfristig eingesprungen, ist eine Hexe zwischen Coolness und stiller Resignation.

Aus der Premierenbesetzung ist Günther Groissböck dabei, neben Asmik Grigorian das zweite Gravitationszentrum. Den Wassermann donnert er wieder mit viriler Bass-Schwärze auf. Doch ist da nicht nur die notgeile Vaterfigur, sondern ein Charakter, in dem (auch vokal) immer wieder Verzweiflung, vielleicht sogar Reue aufglimmt. Und damit im Publikum ein Quantum Sympathie. Nicht nur deshalb ist der Abend so beunruhigend wie fordernd – mehr kann Oper nicht leisten.

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