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Ein bisschen Frieden: Verdis „Aida“ an der Bayerischen Staatsoper

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Elena Stikhina
Spielchen zum Zeitvertreib, während draußen der Krieg tobt: Elena Stikhina als Aida ist ganz stückgemäß das Zentrum der Aufführung. © Wilfried Hösl

Draußen tobt der Krieg, drinnen brüten alle einer ungewissen Zukunft entgegen. Damiano Michieletto holt „Aida“ in ein nicht näher definiertes Heute. Die Münchner Premiere lässt einen merkwürdig kalt.

Der erste Verdacht: Man ist zu abgestumpft. Durch tägliche Berichte über Frontverläufe, über abgefangene Raketen, Einschläge und Todeszahlen. Aber vielleicht ist Krieg wirklich nicht nur Panik, sondern auch Zermürbung, stille Verzweiflung, Ausweglosigkeit. So wie in diesem Ägypten auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper, das Pyramiden, Glanz und Gloria schon lange nicht mehr kennt. Dafür eine zerschossene Turnhalle und nach der Pause einen Asche-Berg, auf dem alle der ungewissen Zukunft entgegenbrüten. So sehen Sieger aus? Die Invalidenparade im „Triumphbild“, hier ein Beinamputierter, dort ein Rollstuhlfahrer, dafür viele Orden an grauen Ausgehuniformen, sagt anderes.

Mit seiner „Aida“ ohne Repräsentationszauber liegt Damiano Michieletto ganz auf allgemeiner Regie-Linie. Was andere dabei zum blutigen, pazifistischen Fanal nutzen, wird bei ihm zum Dauer-Nihilismus, als sei’s von Beckett. Vor allem aber: Nach fünf, sechs Minuten beginnt die Aufführung, sich immer mehr um sich selbst zu drehen. Man ahnt, worauf die drei Stunden hinauslaufen. Um sich nach dem letzten Pianissimo-Ton bestätigt zu sehen: Bis aufs Schlussbild, wo in einer utopischen Vision eine kleine Dorfgesellschaft mit Luftballons und in Zeitlupe hereintanzt, um die Hochzeit von Aida und Radamès zu feiern, kommt da nicht mehr viel.

Klare Regie-Erzählung mit modernistischem Mix

Dabei ist Michieletto ein klarer Erzähler. Keiner, der thesenschwer verrätselt. Man versteht, bleibt dran – und doch kaltgelassen zurück. Michieletto wäre zu gern kritisch, auch das sagt der Abend, verfängt sich aber in einem modernistischen Mix. Aktualisierung, Herholung zu uns, das äußert sich vor allem in der monumentalen Einheitsszenerie von Paolo Fantin und den Alltagsklamotten von Carla Teti. Und doch kommt das kaum über die Verkleidung von Konvention hinaus. Ein paar Hektoliter Goldfarbe plus entsprechende Prachtgewänder, und wir wären bei Zeffirelli.

Was man sieht: spielende Kinder, Hoffnung und Opfer des Krieges zugleich, einmal wird ein kleiner Sarg herausgetragen. Die Frauen kochen Suppe, einige Männer reißen sich die Blech-Auszeichnung von der Brust. Und immer wieder Spielchen, mit denen man sich die Zeit vertreibt. Ein bisschen Frieden, während draußen ein nicht näher bestimmter Krieg tobt. Doch sind das bei Michieletto Zutaten, bloß „gemachte“, nicht entwickelte Einfälle. Auch weil er sein Konzept an Nebenfiguren und die Statisterie delegiert. Was dieser auslaugende Krieg mit den Protagonisten macht, man erfährt es kaum.

Selbst Daniele Rustioni, als Erster Gastdirigent des Hauses sonst ganz Chefdirigent der Herzen, hat keine rechte Idee von der Partitur. Vieles ist zügig und zugespitzt. Ein später Verdi, den sich Rustioni vom Frühwerk her denkt. Doch der Überdruck, mit dem der Italiener sonst packt, verpufft weitgehend. Offenbar möchte er mehr Schärfe, das Bayerische Staatsorchester setzt dem seine gute Klangerziehung entgegen. Vieles ist nur Augenblickskunst, kapellmeisterlich kundig abgerufen und passagenweise wie spontan erzeugt. Ein paar Momente geraten sogar ins Schlingern.

Elena Stikhina als Aida mit Seelentönen

Dabei hat Rustioni mit Elena Stikhina eine Aida vor sich, mit der so viel mehr möglich wäre im partnerschaftlichen Austausch. Die Russin verfügt über eine genuin lyrische, feinherbe Stimme. Die kann sich weiten und dabei noch immer jene Seelentöne produzieren, die Aida so dringend braucht. Eine Filigranmechanikerin, die zuweilen gegen das Orchester kämpft – und dabei als Klügere nachgibt.

Brian Jagde muss das nicht. Als Radamès führt er ein Großkaliber ins Feld. Das tönt durchaus attraktiv. Und keiner muss das hohe B am Ende von „Celeste Aida“ wie vorgeschrieben ins Piano dimmen. Aber ein wenig mehr Differenzierung, und der US-Amerikaner wäre mehr als nur imponierender Stimmbesitzer.

Für Anita Rachvelishvili liegen Teile der Amneris-Partie (eine Indisposition?) inzwischen außerhalb ihrer Mezzo-Üppigkeit. Alexandros Stavrakakis singt einen zurückhaltenden König, George Petean einen ungewohnt nuancierten Amonasro. Der Staatsopernchor, oft zur Phalanx verdammt, geht konditionsstark und flexibel mit. Dieses Mal besorgte Johannes Knecht als Gast die Einstudierung, am Ende der Saison soll der neue Chef feststehen.

Zu Elena Stikhina kann eigentlich nur Alexander Köpeczi aufschließen. Ein Ramfis von nachtschwarzer Sonorität, auch mit erotischer Klangbeimischung. Vor 50 Jahren hätte man, unangekränkelt von der historischen Aufführungspraxis, eine solche Stimme als Don Giovanni besetzt.

Michieletto denkt sich Ramfis als Strippenzieher und Bösewicht. Das ist nicht neu, wohl aber die Beziehung zu Amneris. Am Ende drückt dieser Hohepriester in einem Gewaltakt der Königstochter einen Ring auf den Finger. Vorbereitet ist diese Lüsternheit von der Regie kaum und daher Behauptung. So wie die Inszenierung nur aktualisierende Folie bleibt hinter Hauptfiguren, die zu Stereotypen gerinnen. Ein paar geschmerzte Blicke, kraftloses Kauern, dazwischen Posieren für Arien und Duette: Diese Produktion taugt problemlos fürs durchreisende Starvolk. Und das ist doch auch schon was.

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