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AIDA 2023 | Musikalische Leitung Daniele Rustioni. Foto: © Wilfried Hösl
AIDA 2023 | Musikalische Leitung Daniele Rustioni. Foto: © Wilfried Hösl
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Anti-Kriegs-Aida – Verdis Exotismus-Kostüm kommt in München im Hier und Heute an

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Wo spielt die Handlung? In Bangladesch? In Malaysia? Am Hindukusch zwischen Pakistan und Indien und den Sikhs? Im Jemen oder im Sudan oder in Libyen oder Kurdistan? Und natürlich in der Ukraine! Ganz aktuell von dort kommt die Bühne des Münchner Nationaltheaters – durchweg mit dem unsichtbaren Diktum Leo Tolstois „Einen Krieg verliert man immer“ überschrieben. Das mochte ein Teil des Premierenpublikums „nicht noch einmal“ und buhte – ehe dann der Beifall doch überwog.

Regisseur Damiano Michieletto und sein Bühnenbildner Paolo Fantin zeigten unumgänglich und einige Male phantastisch geweitet die leider zeitlose Gültigkeit von Verdis Werk und Tolstois bitterer Feststellung. Die große Halle auf der Bühne hat vielerlei aufgenommen: Schulmöbel, Tische, Turngeräte bis hin zu einem hereinragenden Schwebebalken; Türen und Fenster sind längst zerstört ausgebaut; die Decke ist von Granattreffern durchlöchert – und immer wieder rieseln Ruß und schwarzer Brandmüll herein, so zur Siegesvision in Radames’ „Celeste Aida“. Zum Bericht vom Überfall der Äthiopier trägt der Bote ein totes Kind herein, das in einen weißen Sarg gelegt, von der Mutter betrauert und mit seinem Lieblingsspielzeug darauf davongetragen wird. Ruß-Geriesel abermals zur Waffen-Weihe, dem Kriegsaufbruch des zur Kriegshygiene kahl geschorenen Feldherren und seiner erschöpften Truppe; prompt „marschieren“ auch zur Triumph-Feier invalide, amputierte oder traumatisierte Kämpfer auf und werden mit Orden behängt; wieder rieselt „verbrannte Erde“ herein, Radames flieht auf die Vorderbühne und – wie in seinem Bewusstsein – fällt ein Schleier-Film-Vorhang, auf dem die von Kampf und Blut gezeichneten Gesichter von Soldaten aufflackern (Video rocafilm). Dieser verstörend gebrochenen Heroik entspricht, dass im zweiten Teil kein Nil-Ufer mit nächtlicher Palmen-Romantik folgt: es ist der gleiche Hallenraum, in dessen rechter Hälfte der schwarze Kriegsschutt schon schräg bis zur Decke reicht; ein Turn-Pferd ragt noch hervor; zur Erinnerung an die verlorene Heimat gräbt Aida ihr verschüttetes Kinderbett aus – und wie schon zuvor weitet Regisseur Michieletto den realen Raum zur bitteren Seelenlandschaft: die Mutter Aidas kommt herein und bringt das schlichte Brautkleid für die Tochter.

Diese „Träume vom normalen Leben“ beginnen früh in der Inszenierung: Aida sieht sich als kleines Mädchen mit Ball und Reifen spielen; Vater Amonasro gibt ihr Sicherheit und führt sie auf dem Schwebebalken; wohl ihre Mutter erzählt vom Pferd aus ihr und anderen Kindern eine Geschichte. Für das erneut bittere Ende sitzt Radames isoliert auf dem Schuttberg, während vorne ein banales Schnellgericht tagt und der Geheimdienst-Chef Ramphis das Todesurteil unterzeichnet. Amneris bricht auf dem Proszenium zusammen, während die Hauptbühne hoch-, die Bühnenbrücke herabfährt und so die Todeskammer der Liebenden zeigt. Auch hier weitet das Regie-Team die Realität: ganz entsprechend der ätherisch zarten Final-Musik Verdis kommen „Gefährten von Einst“ als fahle Imagination herein, eine kleine (stumme) „banda“, Luftballons, eine kleine Hochzeitsfeier – Verstummen der Musik – Blackout. Natürlich kann man diese Interpretation als „eindimensional“ niederbuhen, den frühen Auftritt von Amonasro bei Radames’ Geheimnisverrat befremdlich und den Verlobungsring von Ramphis für Amneris am Ende aufgesetzt finden. Aber ist das alles nicht „eine Aida für 2023“ oder „Theater als Spiegel unserer Welt“?

Gesungen wurde das alles sehr gut: voran die Amneris von Anita Rachvelishvili mit mächtigen Alt-Tönen; der alle überragende Radames-Tenor von Brian Jagde; die passend nicht sopran-süße, sondern manchmal fast herb klingende Aida von Elena Stikhina; die durchweg eindrucksvoll dunklen Stimmen von George Petean (Amonasro), Alexander Köpeczi (Ramphis) und Alexandros Stavrakakis (König) – weiter bis in die kleineren Rollen. Der von Leid und Not gezeichnete Chor (Einstudierung Johannes Knecht) samt Statisterie rundete den Anti-Kriegs-Eindruck unüberhör- und sichtbar ab. Was das Bayerische Staatsorchester an Nebenstimmen-Feinzeichnung, dominant aber in der Fülle kann, ließ einen „Ach, Verdi!“ denken und fühlen – nur tat Daniele Rustioni des Guten, sprich: des Temperaments zu viel: als Erster Gastdirigent sollte er „sein“ Haus und die Akustik besser kennen – das Meiste war zu laut und zwar herrlich volltönend – verleitete aber die Sänger zu „forte bis … issimo“ – schade, denn Verdis Leid kennt auch vieles Leise … wie so vieles Elend unserer Erde.

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