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Blind Date mit dem Helden: Peter Konwitschny inszeniert „Siegfried“ in Dortmund

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Daniel Frank, Matthias Wohlbrecht und Alina Wunderlin
Tolles Schwert, gell? Siegfried (Daniel Frank, re.) hat gerade Mime (Matthias Wohlbrecht) erledigt, der Waldvogel (Alina Wunderlin) findet’s suboptimal. Foto: Thomas M. Jauk © Thomas M. Jauk

Krawallfrei, mit feinem Humor und im Finale als höchste Schule der Regie: Peter Konwitschny setzt am Opernhaus Dortmund Wagners „Ring“ mit dem „Siegfried“ fort.

Ein tödlicher Flammenring, ja gut. Auch Walkürenfelsen, Dornröschenschlaf einer Gottestochter, ein sie wachküssender Superheld, das alles gehört zur Abteilung Mythos und Märchen. Doch eigentlich ist das, was Richard Wagner im Finale seines „Siegfried“ schildert, nichts anderes als ein Blind Date, aufgeputscht mit grandioser Musik. Und so erzählt das Peter Konwitschny auch. Auf fast leerer Bühne, nur Brünnhildes Ross Grane liegt als Skelett herum – das Tier hat den jahrelangen Schlaf von Frauchen logischerweise nicht überlebt.

Was dann anhebt im Dortmunder Opernhaus, ist die hohe, nein: höchste Schule der Regie. Keine szenischen Krücken, kein Konzeptgewese. Einfach „nur“ zwei Menschen, die sich misstrauen, unschlüssig, gehemmt, schutzlos, und allmählich begreifen, dass sie für den anderen ihr bisheriges Leben über Bord werfen müssen. Kennt man ja. Wie Daniel Frank als Siegfried und Stéphanie Müther als Brünnhilde das singspielend vorführen, in jeder Sekunde glaubhaft und wie neu erlebt, obwohl man über diese Oper längst alles weiß, das ist so bestechend wie berührend. Und wenn beide zum brünstigen Aufbäumen des Orchesters rückwärts und nach hinten verschwinden, weiß man auch: Das geht nicht gut aus.

Der Dortmunder „Ring“ wird bis 2025 vervollständigt

Für den „Ring des Nibelungen“ hat sich Dortmund den Altmeister des Regietheaters gesichert. Peter Konwitschny hat bislang nur eine legendäre „Götterdämmerung“ in Stuttgart inszeniert, die wandert in zwei Jahren auch weiter in den Ruhrpott. 2022 startete er dort mit „Walküre“, 2024 wird „Rheingold“, eigentlich Teil eins, nachgereicht. Der Clou ist, dass Konwitschny in den vier „Ring“-Opern mit vier Ausstattungsteams arbeitet, im „Siegfried“ mit Johannes Leiacker. Um jede Premiere strickt das Haus ein Symposium („Wagner-Kosmos“). Man weiß, welchen Regie-Fang man da gemacht hat und wuchert entsprechend damit.

Nach einer Formkrise vor einigen Jahren ist Konwitschny wieder da und vielleicht besser denn je. Bedingungslos werktreu war er in seinen überrumpelnden Tiefenbohrungen schon immer. Doch den Krawallmoment hat der 78-Jährige nicht mehr nötig. „Siegfried“ erzählt er mit Leiacker als Abfolge von Container-Szenen. Mimes Schmiede befindet sich in einem, in Akt zwei umschleichen Wotan, Mime und Alberich einen hermetisch verschlossenen Kasten, aus dem Fafners Stimme dröhnt. Als die Vorderwand umfällt, sieht man den Riesen, wie er mit dem Waldvogel, ein Papagena-Wesen, in einer Goldwanne sitzt, drum herum Goldbarren, Goldwände, eine Orgie des schlechten Geschmacks. Russischen Oligarchen dürfte das gefallen – was man sich eben so leistet, wenn ein Nibelungenring alles möglich macht.

Hart am Text, an der Musik und an den Figuren

Und doch bleibt der Abend reduziert und balanciert im Einsatz der szenischen Mittel. Es ist ein feiner Humor mit Mini-Zeichen samt großer Wirkung, der die fünf Stunden durchzieht. Einen herrlichen Gag gibt es auch: Wenn Siegfried vergeblich versucht, sich Flöte und Horn zu schnitzen, tritt plötzlich der leibhaftige Hornist der Dortmunder Philharmoniker auf, um sich mit dem Helden ein musikalisches Gefecht zu liefern: Gelächter und Szenenapplaus – wann passierte das je in einer „Ring“-Aufführung?

Konwitschny bleibt hart am Text, an der Musik, vor allem an den Figuren. Niemand wird denunziert, Alberich und Mime sind zwar Freaks, aber keine Karikaturen. Und dazu liefert Gabriel Feltz mit den Philharmonikern ein extrem elaboriertes Dirigat. Das spannt sich vom flotten Swing der Schmiedelieder über detailreichen Naturlaut bis zur großen, konzise geformten Pathos-Geste. Im dritten Akt sitzen rechts und links im Proszenium je drei Harfenistinnen, die Musik wird nun auch sichtbar zur Protagonistin.

Man spürt, wie sehr sich alle mit dieser Regie identifiziert. Thomas Johannes Mayer ist ein cooler Wotan/Wanderer mit Baseball-Cap im (zu) späten Frühling und dieses Mal mit weniger diffusem Klang unterwegs. Daniel Frank teilt sich den Siegfried mit schlanker, flexibler Stimme gut ein, kleine Timing-Probleme gibt’s auch. Matthias Wohlbrecht muss sich als Mime nicht in die Überzeichnung flüchten, weil seine Stimme in Extremlagen gehorcht. Stéphanie Müther mit gehaltreichen Brünnhilden-Tönen, Morgan Moody (Alberich) und Aude Extrémo (Erda) runden das hochklassige Ensemble ab. Sekunden nach den letzten Tönen schon Standing Ovations. Eine Modell-Aufführung.

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