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„Siegfried“ an der Oper Dortmund – Lachender Tod

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In Fafners goldenem Appartement: Waldvogel, Siegfried (r.) und am Boden Mime. Foto: Thomas M. Jauk
In Fafners goldenem Appartement: Waldvogel, Siegfried (r.) und am Boden Mime. Foto: Thomas M. Jauk © thomas.m.jauk

Altmeister Peter Konwitschny setzt seinen Dortmunder Ring fort und nimmt „Siegfried“ von der leichten, der ganz leichten Seite.

Der Bär im „Siegfried“ ist nicht das einzige Problem dieser Oper, aber sein früher Auftritt hat einen hohen Symbolwert. Das wilde Tier, von dem ungezogenen Titelhelden aus dem Wald mitgebracht, erschreckt Mime zu Tode und präsentiert Siegfried und leider auch Richard Wagner direkt als Freunde eines gemeingefährlichen Brachialhumors. Je nach Drastik kann die Regie hier schon einmal andeuten, wohin die Reise geht – direkt zu den Nazihorden oder zu einer Zivilisierung mithilfe Brünnhildes, weil der arme Junge einfach noch nicht weiß, was sich gehört. Ganz abgesehen von der Schwierigkeit, ein Tier auf einer Opernbühne zu präsentieren. Oft ist es doch eher ein Fell, mit dem Siegfried ein bisschen herumwedelt, bei Peter Konwitschny aber trampelt ein Karnelvalsbär im lustigen Plüschanzug herein. Hat man gleich etwas zu lachen, und es wird nicht die einzige Gelegenheit an diesem Abend bleiben. Wenn Siegfried nachher versucht mit dem Waldvöglein zu kommunizieren und die „wonnige Weise“ nicht gelingen will, mault das Orchester lautstark, und dann, Potzdonner, kommt der Hornist persönlich auf die Bühne, um hier nervenstark sein Solo abzuliefern.

Um den 210. Geburtstag von Richard Wagner am 22. Mai herum hat die Oper Dortmund zum vierten Mal zu ihrem Festival „Wagner-Kosmos“ eingeladen, eine mit einem jeweils angeschlossenen Symposium auch wissenschaftlich ehrgeizige Reihe, die durch Corona zunächst fast im Keim erstickt wurde. Aber in Dortmund ist man beharrlich.

Im Mittelpunkt diesmal also „Siegfried“, die schwierigste Oper der Ring-Tetralogie, Wagners Humor geht auf Kosten eines körperlich dramatisch unterlegenen Bösewichts, Siegfried selbst, dessen „instinktive“ Aversion Mime gegenüber ein Graus für die Regie sein muss, muss sich dabei vom Landei zum Liebhaber im Tristan-Format wandeln. Der 78-jährige Konwitschny aber, dessen neuer Ring im vergangenen Jahr mit der „Walküre“ begann, nimmt es weiterhin sehr leicht und menschlich. So viel Entmythologisierung ist selten. Das ist von einer entwaffnenden Voraussetzungslosigkeit – gerade im Zusammenhang mit Siegfried also gewissermaßen in Wagners Sinne –, aber es birgt auch Risiken. Nicht so sehr wegen der Unbedarftheit, die eng an der Musik bleibt und ebenso am Dirigat von Gabriel Feltz, der seinerseits für Bodenhaftung sorgt und gepflegte Oper hören lässt. Schwierig ist eher die Frage: Was bleibt, wenn das alles nur irgendwelche, ganz nette Leutchen sind?

Im ersten Akt bleibt tatsächlich nicht viel. Konwitschny bebildert hier so direkt – wie im Weihnachtsmärchen flattern Stoffstreifen als Feuer, wenn es gilt, Nothung zu schmieden –, dass man unsicher werden kann, ob er uns nicht doch verschaukeln will. Siegfried, der kernige und fitte Tenor Daniel Frank, erinnert womöglich an einen Piraten aus der Karibik, Wanderer Wotan, Thomas Johannes Mayer, ist stimmlich und optisch ein recht friedfertiger Gangsta. Mime, der stimmlich dafür idealtypische Matthias Wohlbrecht mit Kittelschürze, wird nicht vorgeführt, das ist sympathisch, aber es ist dann auch wieder nicht allzu viel. Das kommt dann im zweiten Akt.

Der zweite Akt ist verblüffend, und den Wurm Fafner hat man so vermutlich noch nie gesehen. Gangsta Wotan trifft zunächst auf einen coolen Alberich, Morgan Moody zwischen Taschenspieler und Herrenreiter. Das rote Haar und die cyranohaft verlängerte Nase hat er mit seinem Bruder gemeinsam. Ein Scharlatan, kein Finsterling und schon gar kein mythologischer Möchtegern-Weltbeherrscher. Der neureiche Fafner, Denis Velev, hat sich protzig in Gold eingerichtet und lässt sich in der goldenen Badewanne vom über diese Situation nicht glücklichen Waldvöglein bedienen. Die zerbinettahafte Alina Wunderlin ist nachher Siegfried behilflich, das beiseite gelegte, für einen Vogel an sich viel zu schwere Schwert beizuschaffen, um auch Mime abzumurksen. Es darf gelächelt und gelacht werden. Konwitschny misst den Akt auf seine Lebhaftigkeit aus, nicht auf seine Abgründe. Die Möglichkeit, Fafner zu bemitleiden und sei es bloß für ein paar Noten, entfällt vollständig.

Die Ausstattung ist anders als bei der „Walküre“ nun von Johannes Leiacker, der mit einer Reihe quasi vorüberziehender Container arbeitet. Mime und Siegfried haben sich in einem eingerichtet, als nächster tut sich Fafners goldene Höhle auf, in einem weiteren steht die Tiefkühltruhe, in der Wotan Erda im Abendkleid aufhebt, Aude Extrémo, deren Stimme eine Tiefe aus einem anderen Film anbietet – insofern doppelt logisch, dass Wotan nach der Begegnung den Stecker zieht. Dass Nothung den als Speer dienenden Stock nicht zerbrechen konnte – Tücke des Objekts oder geheimnisvolle Absicht?

Erst der Walkürefelsen dann eine weitgehend geräumte Bühne. Grane ist tot und skelettiert. Nur die Liebe zählte, wäre nicht Siegfried ein dummer Junge, der sich beleidigt auf den Bauch legt und auf den Boden haut, wenn Brünnhilde, Stéphanie Müther, die mit jugendlich frischer Stimme den kurzen Kraftakt bewältigt, nicht will, wie er will. Sie will dann auch, aber ein stilles Rückwärtsgehen nimmt am Ende vielleicht den finsteren Ausgang voraus, den man sich hier überhaupt nicht vorstellen kann. Es dauert auch noch, 2024 wird erst einmal das „Rheingold“ nachgezogen.

Opernhaus Dortmund: 29. Mai, 4., 10. Juni. www.theaterdo.de

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