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Der Bariton Florian Boesch führt die Puppe in der szenischen Version der „Schönen Müllerin“ nach Franz Schubert an der Berliner Staatsoper. 

© Bernd uhlig

Szenischer Liederabend an der Berliner Staatsoper: Ich klage, ach, mein Leid dem Bach

Der Bariton Florian Boesch, der Puppenspieler Nikolaus Habjan und die Musicabanda Franui stellen an der Staatsoper ihre Sicht auf Schuberts Liederzyklus von der „Schönen Müllerin“ vor.

Alles begann mit einer italienischen Buffo-Oper. Mit Giovanni Paisiellos „La Molinara“ nämlich, uraufgeführt 1788 in Neapel, die zu einem europäischen Bühnenhit wurde. Nach einer Aufführung der „Schönen Müllerin“, wie die Musikkomödie in der deutschen Übersetzung hieß, nimmt der 21-jährige Student Wilhelm Müller 1821 in Berlin an einem Salon-Gesellschaftsspiel teil, bei dem die Geschichte weitergesponnen wird: Jeder erhält eine Rolle und soll spontan Gedichte beisteuern.

Der junge Mann aus Dessau wird, wenig erstaunlich, zum Müllerburschen erkoren, der bei der Tochter seines Arbeitgebers abblitzt. Später ersetzt er die Texte der Mitspieler durch eigene Verse und veröffentlicht den Gedicht-Zyklus 1821. Der fällt Franz Schubert in die Hände - und so entsteht der erste erzählende Liederzyklus der Romantik.

Liebeskummer lohnt sich nicht

Für Männerstimme und Klavier hat Schubert seine „Schöne Müllerin“ konzipiert, alle großen Interpreten haben den Zyklus ganz selbstverständlich im Repertoire. Der österreichische Bariton Florian Boesch allerdings haderte lange mit dem Werk. Weil er sich partout nicht mit der langläufigen Interpretation abfinden wollte, dass der unglücklich verliebte Protagonist am Ende Suizid begeht.

Nikolaus Habjan (links) und Florian Boesch mit der Müller-Puppe in der Inszenierung der „Schönen Müllerin“ nach Franz Schubert. 
Nikolaus Habjan (links) und Florian Boesch mit der Müller-Puppe in der Inszenierung der „Schönen Müllerin“ nach Franz Schubert. 

© Bernd uhlig

Das finale Lied, in dem der Bach, an dessen Ufer der Müller wandert, mit ihm zu sprechen beginnt, deutet er anders: Das Murmeln des Wassers ist für Boesch die Stimme der Vernunft und nicht der Todesverlockung. Der Bach macht dem Jüngling klar, dass er mit seinem Schmerz nicht allein ist, dass Liebeskummer unzählige andere auch betrifft – und hilft ihm so, sich wieder fürs Leben zu öffnen.

Als Florian Boesch in der Musicabanda Franui und dem Puppenspieler Nikolaus Habjan Gleichgesinnte findet, die seine außergewöhnliche Werkdeutung teilen, ist klar: Gemeinsam soll daraus ein szenischer Liederabend entstehen. Matthias Schulz, der Berliner Staatsopernintendant, hat dem kreativen Kollektiv nun ermöglicht, ihre Lesart Unter den Linden auf die Bühne zu bringen.

Alpenländische Atmosphäre

Bereichernd ist dabei vor allem die musikalische Seite: Die 1993 gegründete, in den Tiroler Bergen verwurzelte Musicabanda Franui, die sich als „Umspannwerk zwischen Klassik, Volksmusik, Jazz und zeitgenössischer Kammermusik“ versteht, verleiht Schuberts Musik eine alpenländische Atmosphäre, die absolut organisch wirkt. Mal tönen die sieben Musiker und zwei Musikerinnen wie eine Blaskapelle, dann wieder treten Harfe, Zither und Hackbrett hervor, sie können ebenso nach Klezmer klingen wie nach modernem Chanson.

Ein paar Scheinwerfer, ein bisschen Bühnennebel, mehr Ausstattung gibt es nicht, auf der kleinen Spielfläche vor der im Halbkreis sitzenden Musicabanda agieren Florian Boesch und Nikolaus Habjan als szenische Einheit, wenn sie gemeinsam die Müllerburschen-Puppe führen. Eine gespenstisch anmutende Figur ist das, weil sie nur aus einer Maske und einem Oberkörpertorso besteht. Geisterhaft bleibt auch die Angebetete mit Blondhaarperücke und langem weißem Kleid.

Puppe mit Stummfilmgestik

Florian Boesch ist eine wuchtige Erscheinung mit Glatze und Riesenpranken, seinen kraftvollen Bariton vermag er düster einzufärben, er singt musiktheatralisch, mit einer Stimme, der man abnimmt, dass ihr Besitzer schon viel Leidvolles durchgemacht hat. Schade nur, dass Habjan und er die Puppe ständig stummfilmhaft die Hände ringen lassen – also genau jene übertriebene Sängergestik vorführen, die Regisseure den Opernstars stets abzutrainieren versuchen.

Eine optische Lösung für das positive Ende bleiben die beiden auch schuldig. Der Abend hört einfach auf. Wieviel spannender wäre es gewesen, hätten sie die Puppe dezidiert als Jugendlichen gestaltet, als Alter Ego des Icherzählers, der Jahrzehnte später singend auf seine Teenagerzeit zurückblickt.

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