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Salzburger Glucksgriff: „Orfeo ed Euridice“ mit Cecilia Bartoli

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Cecilia Bartoli
Als ob er nur allmählich versteht, so wandelt Orfeo (Cecilia Bartoli, Mi.) durchs Geschehen. Regie-Feinmechaniker Christof Loy besorgte bei der Gluck-Oper auch die Choreografie. © Monika Rittershaus

Christof Loy schraubt bei den Salzburger Pfingstfestspielen an Glucks „Orfeo ed Euridice“ und lässt das Stück im totalen Nihilismus verebben. Ein intensive Aufführung, auch dank der Chefin Cecilia Bartoli.

So schön hatten sich das beide vorgestellt. Nicht nur die Liebe solle triumphieren, wie Christoph Willibald Gluck und sein Textdichter Ranieri de’ Calzabigi im Schlusschor träumten, sondern die ganze Welt. Unverbesserliche Optimisten und Happy-End-Fetischisten eben, vielleicht war das ja im 18. Jahrhundert möglich. Doch hier, und da kann sich der sagenhafte Sänger noch so ins Zeug legen, gibt es keine Wiederauferstehung. Euridice ist tot, unwiderruflich, ein zweites Mal. Reanimation durch Musik gescheitert, während Orfeo langsam die Stufen emporsteigt zu einer quadratischen Wand-Aussparung. Wahrscheinlich gähnt dahinter das Nichts. Oder Schlimmeres.

Kein Jubel also, dafür wiederholt der Chor die Eingangsnummer, um mit „pianti, lamenti, sospiri“, mit Tränen, Klagen und Seufzern, die Schöne zu beweinen. Das ist partiturwidrig, doch die Salzburger Pfingstfestspiele haben den besten Anwalt: Gluck selbst. Der schraubte für verschiedene Aufführungsorte an „Orfeo ed Euridice“, stellte um, erweiterte und transponierte je nach Sänger die Partien. Im Haus für Mozart bevorzugt die singende Intendantin die Parma-Fassung. Die liegt höher und steht Cecilia Bartoli wunderbar. Ihre reifer gewordene Stimme hat genügend Substanz für weit ausgreifende Höhenflüge. Für dramatische Ausbrüche in tieferen Regionen riskiert diese Ästhetin nun Töne und Deklamation abseits des Schöngesangs. Eine Tragödin mit trotzdem noch immer totaler Kontrolle.

Ihr Orfeo wirkt wie hineingeworfen in ein Drama, das er nicht so recht versteht und durch das er zu irren scheint mit nur allmählich wachsender Erkenntnis. Christof Loy, Feinmechaniker der Opernregie, lässt Orfeo im vertäfelten, schmucklosen Einheitsraum von Johannes Leiacker auf ein Tanzensemble treffen. In ungewohnter Doppelrolle als Choreograf und Regisseur projiziert und vergrößert Loy das Drama des Titelpaares auf ein Kollektiv. Kommentierung ist das, Illustrierung, Weiterführung, ganz im Geist der damals üblichen Musiktheater-Hybride. Manchmal bringt das auch Unruhe. Doch für die intimen Momente des pausenlosen 90-Minüters gewinnt Loy damit ein Kontrastmittel, nicht zuletzt im hitzigen Furientanz.

An Präzision nimmt es mit Christof Loy keine(r) auf

Mögen andere über Loy und seine stets ähnliche, edle Ästhetik lästern: An Präzision, an Subtilität nimmt es kaum eine(r) mit ihm auf. Jede Körperhaltung, jede Drehung, jeder Blick stimmt. Wann wer auftritt, wo er steht und sich bewegt, ist mit dem Blick für perfekte Bühnenbalance und -fokussierung entwickelt. Der Klassizismus von Glucks Musik spiegelt sich wider auf der Bühne. Und sogar wenn der Chor die meiste Zeit auf Stufen vor dem Orchestergraben sitzt, wirkt es, als ob jedes Mitglied ganz individuell das Geschehen stumm kommentiert. Ein Abend der extremen, umso effektiveren Reduktion. Als einmal eine Tür zufällt, ist das wie eine Explosion: Opernregie aus der Molekularküche.

Loy lässt „Orfeo ed Euridice“ in den Nihilismus abbiegen, und das hat seinen Grund. Als alles leer geräumt ist, als sich beide in der „Unterwelt“ begegnen, wird in minutiöser Figurenführung deutlich, wie kompliziert diese Zweisamkeit ist. Dass er sie nicht ansieht, hat plötzlich auch mit Realitätsblindheit zu tun. Was vor dem ersten Tod Euridices passierte, ahnen wir nur undeutlich. Eine glückliche, unbelastete Beziehung war es jedenfalls nicht.

So hat man den Hit des Stücks noch nie gehört

Mélissa Petit hält in diesen Minuten mit reicher, dunkler Lyrik der Kunst der Bartoli mühelos stand. Und gerade weil auf der Bühne alles so eingedampft ist, kann die Musik die Bühne förmlich fluten. Gianluca Capuano, Hofdirigent der Bartoli, entwickelt mit Les Musiciens du Prince – Monaco, eine Unmenge an feinen Stufungen vom Fahlklang über herbe, spröde Mixturen bis zum kräftigen Farbauftrag. Der Grundpuls ist hoch, Tempo-Architektur und dramatische Disposition sind so schlüssig, dass kein Premierengast Zwischenapplaus wagt. Madison Nonoa macht das höchstklassige Vokaltrio komplett mit ihrem (vorgezogenen) Kurzauftritt als Amore. Wobei Trio: So, wie der Chor Il Canto di Orfeo singt, mit solcher Plastizität im Leisen und solchem Textbewusstsein in den heftigen Passagen, gibt es tatsächlich einen vierten Protagonisten.

Kulminationspunkt ist der Hit des Stücks: „Che farò senza Euridice“ hat man so noch nie gehört. Bartoli und Capuano beginnen im wilden, gehetzten Tempo. Pure Todespanik, die sich erst in der zweiten Wiederholung zur Klage beruhigt. So atemberaubend, wie das die Bartoli gestaltet, fällt das Drama Orfeos zusammen auf vier Minuten. Ovationen nach dem Schlusston, auch, als die künstlerische Leiterin auf der Bühne zur Kammersängerin gekürt wird. Wie österreichische Prioritäten eben ausfallen: Anna Netrebko hat den Titel seit 2017.

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