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Ethel Smyth und ihr Oratorium „The Prison“ am Staatstheater Darmstadt – Aus dem Schoß einer Zeit

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Am Beginn einer großen Verknotung: Georg Festl ist „der Gefangene“. Foto: Eike Walkenhorst
Am Beginn einer großen Verknotung: Georg Festl ist „der Gefangene“. Foto: Eike Walkenhorst © Eike Walkenhorst

Ethel Smyth’ Oratorium „The Prison“, szenisch in Darmstadt.

The Prison“ für Soli, Chor und Orchester ist eines der bekannteren Werke der englischen Komponistin Ethel Smyth, die das Oratorium um einen inneren Monolog des Gefangenen, den Dialog mit seiner Seele und eine ins Transzendente ausgreifende chorische Umrahmung 1930 schuf. Eine 70 Minuten währende Vertonung eines Textes des engen Smyth-Freundes Henry Bennet Brewster, der um innerweltliche und zugleich kosmische Auflösungs-, Erneuerungs- und Erweckungsperspektiven kreist.

Im Libretto herrscht eine typische Gemengelage der vorletzten Jahrhundertwende mit anthroposophen, lebensphilosophischen Verschmelzungsphantasien. In einem für heutige Ohren gewöhnungsbedürftigen, geschwollenen Ton, der eine Tendenz zum sauren Kitsch aufweist („und drücke meinen Stempel dem Schoß der Zeit auf“).

Musikalisch ist die 1858 geborene und 1944 verstorbene Smyth von deutsch-romantischer Musik geprägt. Brahms, Wagner und besonders von dem ebenso wie Smyth in der zweiten Riege der Musikgeschichte sich befindenden Heinrich von Herzogenberg. Vergleicht man die Janácek-Oper „Aus einem Totenhaus“ – gleicher Gegenstand, gleiches Uraufführungsdatum – mit „The Prison“, so ist die undramatische, einen einfarbigen und eher steifen Habitus nicht verlassende Klangsetzung signifikant. Allerdings ist das Werk auch nicht für die Bühne konzipiert, im Gegensatz zu den sechs Opern, die die Komponistin hinterließ. Am Staatstheater Darmstadt hatte man aber offensichtlich den Eindruck, in Smyth’ Oratorium theatergerechte Momente entdecken zu können, und bescherte somit jetzt eine „szenische Uraufführung“.

In der Inszenierung von Franziska Angerer sitzt man auf der Bühne, vor sich eine Art Sandkasten, gefüllt mit Schnüren, wo der Gefangene damit beschäftigt ist, diese zu einer Knotenkette zu formen. Knoten in menschenkörpergroßer Gestalt, wie eine Mischung aus anthropomorpher Skulptur und Henkersknoten, sind um den Orchestergraben drapiert. Aus dem Bühnenhimmel herabhängende, schon in sich mit Knoten versehene rote Stoffbahnen werden im Verlauf zu einem Netz verknotet, als käme es zu einer Verschnürung des gesamten Bühnenraums. Die Kostüme (von Valentina Pino Reyes geschaffen) sind bis hin zum Dress der singenden und teilweise auch der musizierenden Akteure und Aktricen, inklusive der Gesichter, mit Schnüren versehen, ebenso die Frisuren des Chors. Alles very stylish. Eine Verräumlichung und steigernde Visualisierung, die die oratorische, von Elgars Geschmeidigkeit wie Vaughan Williams Wechselhaftigkeit gleichermaßen entfernte Musik begleitete, ohne ihre Statik zu verleugnen. Erhalten blieb so in der Darmstädter Knotenwelt die Strenge einer Edwardian Lady, der 1922 von Georg V. der Adelstitel Dame Commander des Order of the British Empire verliehen wurde.

Ethel Smyth ist vor allem bekannt geworden durch den „March of the Women“, der 1911 während einer Demonstration der englischen Sufragetten-Bewegung gesungen wurde. Vier singende, holde und kindliche Ehrenjungfrauen trugen jetzt eine große weiße Smyth-Gipsbüste dem Marsch des Publikums auf die Bühne voraus. Eine hübsch ironische Mischung aus feministischem Personenkult und Harmonien-seligem Biedersinn.

Glänzende vokale Darstellungen wurden durch Georg Festl (the prisoner) sowie Jana Baumeister (his soul) sowie Chor und Kinderchor des Staatstheaters geboten. Das Orchester klang von der Bühne aus noch besser als in der üblichen Hörposition. Das Dirigat von Johannes Zahn ließ den dunklen und zur Vereinheitlichung tendierenden Klang, der wenig instrumentalsolistische Offenheiten kennt, nicht zu rund werden, was dem Duktus des Ganzen gut tat.

Staatstheater Darmstadt: 3., 11. Juni, 13. Juli. www.staatstheater-darmstadt.de

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