Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Eine Reise nach Jerusalem erster Klasse

Opern-Kritik: Deutsche Oper am Rhein – Hérodiade

Eine Reise nach Jerusalem erster Klasse

(Düsseldorf, 27.5.2023) Dirigent Sébastien Rouland und Regisseur Lorenzo Fioroni bringen Jules Massenets „Hérodiade“ mit viel Fortune auf die Bühne.

vonJoachim Lange,

Jules Massenets (1842-1912) Vierakter „Hérodiade“ ist große Oper und dennoch ein seltener Gast auf den Spielplänen. Alleine steht das 1881 im Brüsseler Théâtre de la Monnaie uraufgeführte Werk damit bekanntlich nicht. Auch einst durchschlagend erfolgreiche „echte“ Grand opéras sind heute auf Ausgrabungsehrgeiz angewiesen. Und auf personelle Ressourcen, die nicht jedes Haus mehr vorhält. Wobei in kargen Zeiten die Opulenz der großen Oper ihre Liebhaber findet. Selbst im Palais Garnier, also tatsächlich in Paris, kam die „Hérodiade“ erst nach vielen Umwegen und mit vier Jahrzehnten Verspätung an!

Hier wird alles aufgeboten, womit ein Haus Selbstbewusstsein demonstrieren kann

An der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf haben jetzt Dirigent Sébastian Rouland und Regisseur Lorenzo Fioroni die exklusive Opernreise erster Klasse nach Jerusalem bzw. in die Belle Époque angetreten. Und alles aufgeboten, womit ein Haus Selbstbewusstsein demonstrieren kann. Das Libretto von Paul Milliet und Henri Grémont beruht auf der Novelle „Hérodias“ von Gustave Flaubert aus dem Jahre 1877. Die Thematik klingt nach der „Salome“ – Richard Strauss’ Geniestreich zu Oscar Wildes Vorlage, die übrigens auch von Flaubert inspiriert war. Sie ist aber doch ganz anders, vor allem nicht so stringent. Massenet hat es damit nie wirklich ins Repertoire geschafft. Umso verdienstvoller ist es, sie in Zeiten einer zaghaften Besinnung auf die große französische Oper auch auf die Bühne zu bringen.

„Hérodiade“ an der Deutschen Oper am Rhein
„Hérodiade“ an der Deutschen Oper am Rhein

Begehren, Hass und Verachtung

Am nächsten kommen der populären Salome-Version noch die Ausrichtung der Gefühle von Begehren, Hass und Verachtung zwischen den Akteuren. Zentral sind die Obsession Salomes für den Propheten Jean (sprich: Johannes den Täufer) und dessen Verachtung für die Königin Hérodiade. Auch, dass Hérodes Salomé begehrt, findet sich. Allerdings ist es hier Hédodiade, die auf der Hinrichtung Jeans besteht und ihre früh verlassene Tochter Salomé anfangs nicht nur nicht erkennt, sondern sogar für eine Rivalin hält. Jean erwidert hier am Ende doch die Liebe Salomés, die freiwillig mit ihm in den Tod geht.

Mit Lust an der Ausschmückung

Darüberhinaus wogen die Bekenntnisse von Liebe und deren Verweigerung im Hintergrund. Dazu die taktischen Tricks von Hérode. Sein Spiel für die Festigung seiner Macht und relativen Unabhängigkeit von der Zentralmacht in Rom, das durch die Person des Vitellius vor Ort vertreten wird. Der aufflammende Streit zwischen den Fraktionen von Kaufleuten sowie den mal in die eine, mal in die andere Richtung schwankenden Massen liefern den Hintergrund für die Zuspitzung auf das tödliche Finale hin. All das wird ausführlich, beredt mit Lust an der Ausschmückung sowie dem denkbar üppigsten musikalischen Aufwand zelebriert.

Eklektizismus der Vorlage trifft auf Collageprinzip der Inszenierung

Dass die Vorlage von Klischees etwa bei den Frauenbildern als männlichen Projektionen oder die Exotik des Orients als eine des kolonialen Europas durchzogen ist, umgehen Lorenzo Fioroni, Paul Zoller (Bühne) und Katharina Gault (Kostüme) nicht, sondern stellen es offensiv in einer lustvoll intelligenten Art und Weise aus und zur Diskussion. Dabei bezieht sich die Regie bewusst auf den Eklektizismus der Vorlage (also das Libretto und die Komposition) und macht die daraus erwachsende Collage, die einer stringenten Erzählung immer wieder ausweicht, zum ästhetischen Prinzip seiner Inszenierung. Dem Zuschauer bleibt die Aufgabe, die verschiedenen Zeitebenen und ästhetischen Vorgaben zu einem disparaten Ganzen zusammenzufügen.

„Hérodiade“ an der Deutschen Oper am Rhein
„Hérodiade“ an der Deutschen Oper am Rhein

Das Paris von heute

Schon der Videoeinspieler zur dramatisch anhebenden Ouvertüre weist in diese Richtung. Wir begleiten das Schauspieler-Alter Ego des Hérode, wie er in bourgeoiser Mode der Entstehungszeit durch das Paris von heute schlendert. Durch die Straßen, hinauf zur Sacré-Cœur de Montmartre und dann in den Louvre. Hier ist die Suche nach der Relevanz für heute, die noch jede Operninszenierung mehr oder weniger betreibt, das Prinzip. So werden die streitenden Kaufleute vor den Toren Jerusalems zu einer Ausflugsgesellschaft in der Wüste, denen der Sturm zu schaffen macht und ihren prachtvollen Roben einen Hauch von windflüchtigen Kunstwerken verpasst.

Salomé ist eine Tramperin von heute mit Rucksack und Sterndeuter Phanuel ein Penner, bei dem sich die Damen der besseren Gesellschaft die Taschentücher vor die Nase halten, wenn er ihnen zu nahe kommt. Hier treffen sich die Herren im Zylinder im berühmten Café Le Train Bleu im Gare de Lyon, dessen Belle-Époque-Pracht einem immer noch den Atem verschlägt. Angedeutete Oper-Logen kommen als Orte für Intrigen bruchstückhaft von oben oder von der Seite ins Bild. Am Ende liefert der (elektrisch betriebene) Klassiker der barbarischen Hinrichtungsapparaturen der westlichen Führungsmacht, samt der Zuschauerplätze, das Vorbild für den Justizmord am Propheten Jean. Der permanente Wechsel von Zeiten und Bildern und ihr Zusammenhalt durch die Musik tragen nicht zuletzt dazu bei, dass diese Inszenierung nicht nur als Genuss für Connaisseure französischer Opernmenüs, sondern auch für Freunde spannenden Musiktheaters bestens geeignet ist.

„Hérodiade“ an der Deutschen Oper am Rhein
„Hérodiade“ an der Deutschen Oper am Rhein

Intensiv lodernde Leidenschaft

Ramona Zaharia lässt in der Titelpartie keine Wünsche an durchschlagender Vehemenz offen, setzt ihren Mezzo gleichsam als Waffe ein, um sich auch ohne großes Solo zu behaupten. War König Hérode mit dem kraftvollen rumänischen Bariton Bogdan Baciu und dem als stummes Double agierenden Andreas Bittl von vornherein doppelt auf der Bühne, so sorgte ein Unfall dafür, dass Regieassistentin Lotte Zuther auf der Bühne agierte und Luzia Fatyol von der Seite aus mit bandagiertem Arm, aber intensiv lodernder Leidenschaft den Gesangspart zwischen dramatischen und lyrischen Passagen beisteuerte, was dem Duo am Ende besonders dankbaren Beifall einbrachte.

Mitreißendes Protagonistenensemble

Mit einer geschmeidigen Strahlkraft, die nicht nur von Glaubensfestigkeit, sondern auch von Selbstzweifel inspiriert wird, überzeugt der französische Tenor Sébastien Guèze in der Rolle des Propheten Jean. Luke Stoker steuert dräuend den Phanuel wie einen Eremiten mit Einfluss bei. In den kleineren Rollen komplettieren Jorge Espino als Vitellius, Valentin Ruckender als Hohepriester, Verena Kronbichler als junge Babyloniern und Dong Hoon Kim als Stemmer aus dem Tempel das durchweg mitreißende Protagonistenensemble. Der durch einen Extrachor aufgerüstete Chor der Deutschen Oper am Rhein ist für seine tragende Rolle von Gerhard Michalski präzise einstudiert worden.

Schließlich geht auch der Saarbrücker GMD Sébastian Rouland am Pult der Düsseldorfer Symphoniker mit der spätromantisch ausschweifenden, speziell französischen Opulenz sensibel zu Werke und dennoch in die Vollen! Auch das sorgt dafür, dass die etwas krude Geschichte am Premierenabend zu einem Opernvergnügen abseits des gängigen Repertoires wurde! Der Jubel des Publikums war entsprechend.

Deutsche Oper am Rhein
Jules Massenet: Hérodiade

Sébastien Rouland (Leitung), Lorenzo Fioroni (Regie), Paul Zoller (Bühne), Katharina Gault (Bühne), Christian Weissenberger (Video), Volker Weinhart (Licht), Michael Matys (Choreographie), Heili Schwarz-Schütte (Dramaturgie), Bogdan Baciu, Andreas Bittl, Ramona Zaharia, Luiza Fatyol (Gesang)/ Lotte Zuther (Spiel), Sébastien Guèze, Luke Stoker, Jorge Espino, Valentin Ruckebier, Verena Kronbichler, Dong Hoon Kim, Chor der Deutschen Oper am Rhein, Kinderchor Akademie für Chor und Musiktheater e.V., Düsseldorfer Symphoniker

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!