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Nadine Lehner, Luis Olivares Sandoval. Foto: © Jörg Landsberg.
Nadine Lehner, Luis Olivares Sandoval. Foto: © Jörg Landsberg.
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„Die Vergangenheit bedauern, auf die Zukunft hoffen …“ – Peter Tschaikowskis „Pique Dame“ am Theater Bremen

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Gleich das erste Bühnenbild mit seinen Videoüberlagerungen machte klar, wo wir ganz sicher nicht sind: in einem bestimmten Jahrhundert, in einer bestimmten Gesellschaft, überhaupt in irgendetwas, was wir aus dem Leben und der Kunst kennen. Stattdessen gibt es ein imaginäres Fantasiehaus, ein Geisterhaus sozusagen mit Gerümpel aller Art, einem Autowrack und einem Sofa, umgeben von geschichtslosen Menschen in Fantasiekostümen, Fratzen, die dem deutschstämmigen Hermann in der Petersburger Gesellschaft zu verstehen geben, dass er nicht dazugehört. Wo sind wir?

Vielleicht in der Zukunft, „Die Vergangenheit bedauern, auf die Zukunft hoffen...“, hatte Tschaikowski einmal zu seinem Lebenswerk gesagt. In dieser unwirklichen Welt ist der spielsüchtige Hermann, der aber kein Geld zum Spielen hat, auf der Suche nach dem Geheimnis der drei gewinnbringenden Karten, die eine alte, allerdings lebens- und liebeshungrige Gräfin weiß. Und er liebt deren Enkelin Lisa und die ihn. Lisa allerdings ist verlobt.

Das Bühnenbild von Julian Marbach wartet weiter unter bester Nutzung der Drehbühne mit immer neuen Bau-, Farb- und Detailüberraschungen auf, wobei die Videos von Rebecca Riedel manchmal wunderbar passen, oft aber auch, wie leider so oft beim Einsatz von Videos, vollkommen überflüssig sind. Lisa trägt einen überdimensionalen Reifrock, wie es ihn sicher in keiner Zeit gegeben hat, womit Petras auch ein ironisches Spiel treibt. Die Gräfin trägt ein ebenso riesiges schwarzes Fantasiekleid, wie es dies ganz sicher überhaupt nicht gibt (Kostüme von Patricia Talacko). So gibt es so manches, was auch eher zum Lachen ist in dieser todtraurigen Geschichte wie der karikatural gespielte Tod der Gräfin, die Hermann mit seiner Pistole erschreckt hat.

Gleichzeitig schafft Petras einen Stil, der an Spannung einem Krimi gleichkommt. Am Ende zeigt er mit Hilfe der Drehbühne die Menschen in ihrer ausweglosen Einsamkeit. Dafür setzt er die immer spannungsgeladene hoch emotionale Musik von Tschaikowski respektvoll ein, der er ihren Raum und ihre Wirkung lässt. Allerbeste Unterstützung hat er dabei von den Bremer Philharmonikern unter der Leitung von Yoel Gamzou, der nach den Produktionen von „Jenufa“, „Die tote Stadt“ und „Lady Macbeth von Mzensk“ nun schon seine vierte Zusammenarbeit mit Petras in Bremen zeigt: ein Erfolgsduo zweifelsohne.

Die hitzige und fiebrige Art, wie Gamzou mit äußerster Genauigkeit immer vorwärts treibt und dies immer noch steigern kann – und das Orchester blendend folgt –, ist für sich ein besonderes Ereignis an diesem sehenswerten und besonders hörenswerten Abend. Bleiben die SolistInnen, die Petras’ Idee, eine Fantasiegeschichte zu erzählen, die gleichzeitig eine realistische Wirklichkeit ist, mitreißend umsetzen: an erster Stelle ist hier Nadine Lehner zu nennen, die der Lisa eine ganz eigene Verrücktheit verpasst und ihre nun wieder eine Sopranrolle – nach Ausflügen ins Mezzofach – so singt, wie man es von ihr gewohnt ist: mit einer unschlagbaren Intensität viel wunderbare inhaltlich motivierte Klangfarbe. Und als Gast die Altistin Renée Morloc, deren Sehnsucht nach Liebe darstellerisch und sängerisch unter die Haut geht. Luis Olivares Sandoval als Hermann überbringt geheimnisvoll seine komplexe Partie, am Ende wendet er sich vor seinem Tod an uns: etwas listig und auch überheblich. Stimmlich zunächst sehr schön, wirkt die Höhe zunehmend angestrengt. Zuverlässige Akzente kommen auch von Elias Gyungseok Han als Tomski, Michael Patyka ls Jelezki und Christian Andreas Engelhardt als Tschekalinski. Ein Sonderlob gebührt dem Chor mit seinen vielen Rollen: als Wärterinnen, Gouvernanten, Ammen, Spaziergänger, Spieler. Großer herzlicher Beifall.

  • Weitere Aufführungen 10., 22., um 19.30, 1., 5., und 7.Juli um 19.30 und 9.7. um 15.30

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