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Opern-Kritik: Hamburgische Staatsoper – Venere e Adone

Subkutane Sinnlichkeit

(Hamburg, 28.5.2023) Das Auftragswerk an den sizilianischen Komponisten Salvatore Sciarrino legt eine anregend moderne Lesart des Mythos nahe, bleibt in seiner musikalischen Schöpfung allerdings allzu ausdrucksneutral und beliebig.

vonPeter Krause,

Amor ist blind. Ach ja, so ist das mit der Liebe, die im Italienischen zwar dem männlichen Geschlecht zugeordnet wird, in Salvatore Sciarrinos nun an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführten und in der Muttersprache des Sizilianers gesungenen Oper allerdings von der Sopranistin Kady Evanyshyn verkörpert wird. Die Durchlässigkeit von Geschlechtergrenzen akzentuiert auch die Inszenierung des in Ausnahmefällen auch mal selbst Regie führenden Hausherrn Georges Delnon: Zumal die fantasievoll unweltlichen Kostüme von Marie-Thérèse Jossen legen genderfluid nahe, wie stark doch die weiblichen Anteile im Manne, wie spürbar die männlichen in den Frauen der Schöpfung sind.

Auch die Bühne von Varvara Timofeeva lässt in ihrem designkühlen und requisitenabstinenten Weiß antinaturalistisch offen, wo wir hier sein könnten. Wohl eher in einem gedanklichen Experimentalraum, in dem die Dialektik von Liebe und Tod verhandelt wird, als in einem konkreten Ort des Hier und Jetzt. Das passt zum Stoff: Denn Sciarrini nähert sich, ganz wie seine Komponistenkollegen in den bisherigen 400 Jahre Operngeschichte es mehrheitlich taten, dem immer wahren und immer irgendwie aktuellen Mythos. Nun also einmal mehr dem Showdown zwischen Venus und Adonis, zwischen der Göttin der Liebe und dem egozentrisch selbstverliebten Jäger.

Layla Claire (Venere) in Sciarrinos „Venere e Adone“
Layla Claire (Venere) in Sciarrinos „Venere e Adone“

Der eitle Adonis trifft sein inneres Monster

Zuletzt hatte sich der Wahlitaliener Hans Werner Henze dem Stoff 1997 an der Bayerischen Staatsoper genährt und den Mythos mit einer kommentierenden Parallelhandlung versehen, in der die klassischen Operntypen von „Primadonna“ alias Venus, „Heldendarsteller“ alias Mars und „Clemente“ alias Adonis ihre von Eifersucht geprägte Dreiecksbeziehung verhandeln. Anders als das titelgebende Paar „Venere e Adone“ nahelegt, stellt Sciarrino freilich einen anderen Konflikt in den Mittelpunkt: jenen zwischen Adonis und dem Monster.

Die verhängnisvolle Liebe zwischen Venus und Adonis bleibt bewusst unterbelichtet, sodass zumal die Göttin (die kanadische Sopranistin Layla Claire) weit weniger Profil gewinnt als erwartet. Der eitle Adonis aber begegnet dem zunächst nur als Stimme aus dem Off präsenten Ungeheuer – letztlich wohl als dunkle Schicht seiner selbst, das von der Götterwelt einst konstruiert wurde, um den eitlen Adonis zu eliminieren. Sciarrino und sein Uraufführungsregisseur Delnon schlagen nun hier eine moderne Dekonstruktion des Mythos vor: Adonis sucht das Monster mit seinem letzten Pfeil zu erledigen. Da letzterer aber von Amor ausgetauscht wurde, trifft er nicht tödlich, sondern verwandelt das bislang nicht liebesfähige Monster, das nun seinerseits Adonis mit einem zerfleischenden Kuss verwandelt. Die beiden Figuren erfahren einen Seelentausch.

Randall Scotting (Adone) in Sciarrinos „Venere e Adone“
Randall Scotting (Adone) in Sciarrinos „Venere e Adone“

Sciarrinos zur Marke verkommener italienischer Minimalismus

Was nun das (vom Komponisten selbst und Fabio Casadei Turroni stammende) Libretto ebenso spannend akzentuiert wie die philosophisch und psychologisch interessanten Beiträge im Programmheft, wird nur leider in der Musik von Sciarrino kaum deutlich. Seine sonst so gern zwischen tosender Stille und repetitivem Zirpen changierende Musik, die im besten Falle stilisierten Naturlauten gleicht, bleibt in seiner neuesten Komposition weitgehend ausdrucksneutral. Ihre sublimierte subkutane Sinnlichkeit, die in früheren Opern einen so willkommenen Gegenpol zum Realismus seiner Landsleute des 19. Jahrhunderts wie dem Monumentalismus des Musikdramas Richard Wagners bildeten, sie berührt in seinem zur Marke verkommenen italienischen Minimalismus so gar nicht. Zu gleichförmig, zu geschmacksarm, zu beliebig tönen Sciarrinos Klangfindungen diesmal.

Generalmusikdirektor Kent Nagano macht dennoch das Bestmögliche daraus: Mit seinen Philharmonikern hat er präzise gearbeitet, behutsam verfeinert und jede Phrase ausgehört. Eine Ohrenfreude ist das madrigalesk singende achtköpfige Vokalensemble. Zudem die beiden eigentlichen Hauptfiguren des Stücks, die mit famos charakterstarken, geschmeidig intonierenden Sängern besetzt sind: dem Countertenor Randall Scotting als Adone und dem Bassbariton Evan Hughes als Monster.

Hamburgische Staatsoper
Sciarrino: Venere e Adone

Kent Nagano (Leitung), Georges Delnon (Regie), Varvara Timofeeva (Bühne), Marie-Thérèse Jossen (Kostüme), Bernd Gallasch (Licht), Klaus-Peter Kehr (Dramaturgie), Layla Claire, Randall Scotting, Matthias Klink, Cody Quattlebaum, Kady Evanyshyn, Evan Hughes, Vera Talerko, Nicholas Mogg, Vokalensemble Venere e Adone, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

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