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Salzburg: L´anima del filosofo 2023: Mélissa Petit (Genio), Gianluca Capuano (Musikalische Leitung), Les Musiciens du Prince – Monaco, Il Canto di Orfeo, Mitglieder des Bachchor Salzburg. Foto: © SF/Marco Borrelli 
Salzburg: L´anima del filosofo 2023: Mélissa Petit (Genio), Gianluca Capuano (Musikalische Leitung), Les Musiciens du Prince – Monaco, Il Canto di Orfeo, Mitglieder des Bachchor Salzburg. Foto: © SF/Marco Borrelli 
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Ermattet: Joseph Haydns Orfeo Oper „L’anima del filosofo“ bei den Salzburger Pfingstfestspielen

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Cecilia Bartoli präsentierte bei den Salzburger Pfingstfestspielen den von 2020 verschobenen Orpheus-Zyklus „Les Passions de l’âme“ (Die Leidenschaften der Seele). Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“ (auch bei den Sommerfestspielen 2023) in der Parma-Fassung (1769) wurde ergänzt durch eine konzertante Aufführung von Joseph Haydns Fragment mit dem rätselhaften Titel „L’anima del filosofo“ (Die Seele des Philosophen), Glucks französischer Fassung „Orphée et Eurydice“ mit dem sensationellen Maxim Mironov in der Titelpartie sowie Claudio Monteverdis „L’IOrfeo“ mit dem Marionetten-Ensemble Carlo Colla & Figli. Haydns bunt wuchernde Dramatik gab es in der Felsenreitschule als milde Wiedergabe mit berühmten Stimmen im Schongang ohne Farbaufhellung.

Als Gianluca Capuano mit Les Musiciens du Prince – Monaco bei den Salzburger Pfingstfestspielen vor zwei Jahren Mozarts „Titus“ aufführte, hatte das einen impulsiven Sog. Jetzt, bei der einmaligen konzertanten Aufführung von Joseph Haydns unter fragwürdigen Rahmenbedingungen nicht vollendetem Londoner Opernauftrag von 1791 – klingt das Ensemble wie an einem diesigen Tag, wenn ein Sommer müde wird. Man hört auch deutliche Intensitätsschwankungen und -ermattungen. Alles in „L’anima del filosofo ossia Orfeo ed Euridice“ wird schön, gerundet und mit Stilkompetenz legitimiert, aber auch äußerst milde entschärft. Zu milde: Obwohl Joseph Haydns Opern hin und wieder gespielt werden, bleiben Theater bei dieser „Orfeo“-Vertonung eher zurückhaltend. Das wird sich höchstwahrscheinlich auch nach dieser Aufführung nicht ändern.

Joseph Haydns Fragment auf das Libretto des äußerst belesenen Carlo Francesco Badini, das nach genau 160 Jahren erst 1951 erstmals in eine spielbare Form gebracht wurde, ist tatsächlich anders als Glucks Geniestreich in seiner italienischen und französischen Fassung. Badini packte erst in den vierten Akt all das, was in Glucks Oper, deren Furienszene Haydn in seiner Vertonung zitierte, von Anfang bis Ende passiert. Im ersten Akt erlebt man bei Haydn und Badini noch, wie Orfeo mittels Sangeskunst Euridice von einer Entführung durch wilde Tiere und wilde Menschen befreit. Diese ringt bei Haydn mit ihrem Vater Creonte um die Erlaubnis zur Liebesheirat mit Orfeo und gegen das Heiratsprojekt mit dem ungeliebten Arridhaio ab, stirbt dann in der Stückmitte mit einem äußerst eindrucksvollen Solo am Schlangenbiss.

Egal ob in der großartigen „Alcina“ oder in „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“: Man konnte sich in den letzten Jahren immer hundertprozentig sicher sein, dass Cecilia Bartoli bei den Salzburger Pfingstfestspielen die richtigen Stücke für die richtigen Besetzungen zusammenstellte. Doch Haydns „Orfeo ed Euridice“ gerät hier erstmals ähnlich salzburgisch speziell wie vor dreieinhalb Jahrzehnten Herbert von Karajans letzte Produktionen durch dessen eigenwillige Besetzungen und eigenwillige Klangvorstelllungen. Nichts wirkt in dieser mit großer Sorgfalt vorbereiteten konzertanten Aufführung eindeutig falsch, vieles aber scheint dem Kern der Partitur auffallend entfremdet. Es gab viel Applaus, weil Bartoli immer viel Herzlichkeit verströmt. Bartoli und Villazón umarmen und drücken sich zum Schluss, nachdem bereits das Duett von Orfeo ed Euridice, das auch die Liebesfreuden im Herbst des Lebens feiert, stürmischen Beifall erhielt.

Bartoli spricht ihr Publikum in Broschüren generell mit „Liebe Freunde“ an und stabilisiert so ihre Kundenbeziehungen. Das schafft große Sympathien, selbst wenn von Haydns in dieser Partitur fast forciertem Furor kaum etwas zu vernehmen ist. Thomas Hampsons Creonte bleibt ein Autoritätskaliber der leisen und deutlichen Töne, der sich an diesem Nachmittag in der Felsenreitschule zu keinem einzigen Fortissimo aufschwingen will. Rolando Villazón ist Ortsliebling auch in seiner Eigenschaft als künstlerischer Leiter der Mozartwoche. Doch dass es sich bei seinem Orfeo um einen Sängerkönig und Musikfürst handelt, bleibt – wie bei seinen Auftritten an der Semperoper vor kurzem als Monteverdis „Orfeo“ – schiere Behauptung. Man hört ihm den Gestaltungswillen, das Feuer und die apollinische Exklusivität nicht an, welche Orfeo laut Titel und Partitur verkörpert. Und seine Stimme gibt nicht das wieder, was der Künstler Villazón eigentlich will – im Gegensatz zu jener Bartolis, die im Dauerpiano extreme Koloratur-Präsenz und gewinnende Emphase zeigt. Und keine Konkurrenzkämpfe kennt.

Bei Haydn verschwindet die in den beiden ersten Akten dominierende Euridice in der zweiten Spielhälfte fast ganz aus dem Geschehen, was Silke Leopold in ihrem Programmheftaufsatz mit einer denkbaren Abneigung des Komponisten gegen die aus München stammende Sängerin und Uraufführungsbesetzung Rosa Lops in Zusammenhang bringt. Als Genius, der Orfeo bei seinem Unterweltgang begleitet und ermutigt, singt Melissa Petit später Koloraturen in energischen Vokalkraftfeldern wie niemand sonst auf dem Podium. Die Choraufstellung aus Il Canto di Orfeo und Mitgliedern des Bachchor Salzburg fügt sich unter Jacopo Facchinis Einstudierung bestens in das milde Panorama ein. Es ist schwer zu entscheiden, ob Haydns an die Formmuster der sich überlebt habenden Opera seria anknüpfende Orpheus-Oper in einer bewegteren und wilderen Lesart mehr überzeugt hätte. Hier gerieten Haydns kompositorisches Auftrumpfen und noble Musikblässe der Ausführenden in Reibung zueinander.

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