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Franz-Schreker-Rarität „Der singende Teufel“ in Bonn: Der glücklose Parsifal

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Von dunklen Mächten getrennt: Amandus (l.) und Lilian, Mirko Roschkowski und Anne-Fleur Werner, in „Der singende Teufel“ in Bonn. Foto: Thilo Beu
Von dunklen Mächten getrennt: Amandus (l.) und Lilian, Mirko Roschkowski und Anne-Fleur Werner, in „Der singende Teufel“ in Bonn. © Thilo Beu

Die Oper Bonn verschafft Franz Schrekers „Der singende Teufel“ eine Genugtuung.

Die Uraufführung von „Der singende Teufel“ 1928 in Berlin stand schon nicht mehr unter dem idealen Stern, der den großen Komponisten Franz Schreker einige Jahre begleitet hatte. Es gab Nazi-Zwischenrufe, aber auch begeisterte Stimmen, aber auch verhaltene Stimmen. Zur Politik kam der musikalische Zeitgeist, der vom Spätromantischen wegschwenkte, für das Schreker seit dem Sensationserfolg von „Der ferne Klang“, 1912 in Frankfurt uraufgeführt, stand. Während „Der singende Teufel“ den Schreker-Begeisterten umgekehrt auch wieder herb erschien. Eros und Süffigkeit wichen hier einem zum Teil strengen Kontrapunkt und einer parsifalischen Verzichtsstimmung, die nicht ohne ausführliche Wehklage vonstatten geht.

Gleichwohl kann man im Bonner Opernhaus erleben, wie Schrekers Musik weiterhin und wieder zündet, auch wenn der Abend als Theaterereignis nicht an Alberto Franchettis „Asrael“ im Oktober heranreicht. Die sehr selten gespielte Oper des österreichisch-jüdischen Komponisten Schreker (1878-1934) und die fast nie gespielte Oper des italienisch-jüdischen Kollegen Franchetti (1860-1942) sind Teil des wichtigen Bonner Projektes „Fokus 33. Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben“.

Hier geht es um Werke, die in den dreißiger und vierziger Jahren aus dem Repertoire fielen oder gar nicht erst hineingelangten. „Der singende Teufel“ gehört zur zweiten Gruppe, von den Nazis aus Amt und Würden gedrängt, starb Schreker an einem Herzinfarkt. Nach dem Krieg entwickelte sich die Rückkehr seiner Opern in die Spielpläne erst über Jahrzehnte. Umgekehrt muss einem heute um „Die Gezeichneten“ oder den „Fernen Klang“ nicht mehr bange sein. Und man versteht, weshalb „Der singende Teufel“ da nicht mithalten konnte.

Schrekers Texte (wie Wagner behielt er alles in seiner Hand) pflegen einen hohen Ton, die Parodie (wie bei Wagner) liegt immer nahe. Auch diesmal geht es um die überbordenden Kräfte eines Musikinstrumentes, einer Orgel, an deren Bau sich der zarte Amandus Herz überhebt. Sie erweist sich wahrlich als „singender Teufel“, als sie zwar zunächst die wütend aufeinander losgehenden „Christen“ und „Heiden“ in diesem unbestimmt mittelalterlichen Setting zu beruhigen weiß. Dann aber – Technik, wer kennt das nicht – geht etwas schief, die besänftigenden Register versagen und die aufbrausenden Register treiben die Scharen erst recht aufeinander.

Ein Opfer der Gewalt wird die schöne Lilian (im zähen Entstehungsprozess als Titelfigur vorgesehen), die den inzwischen mönchisch lebenden Amandus liebt, und er liebt sie eigentlich auch.

Schreker verpackt das in eine große Handlung zwischen Mittelalter-Krimi und Studie zur Massenpsychologie. Dass die immense Gewaltbereitschaft einem im Rückblick besonders gespenstisch erscheinen muss, versteht sich von selbst. Dass der ringende Schreker eine ebenso ringende Figur erschafft, die im entscheidenden Moment ihre Kräfte überschätzt, ist niederschmetternd. Schreker war unsicher und er war nicht unsicher. Der Kritik, man erkenne schon, was er mit dem „Singenden Teufel“ wolle, aber es gelinge ihm nicht, das musikalisch umzusetzen, begegnete er kühl: Er habe es genauso geschrieben, wie er es gewollt habe, nur werde er nicht verstanden.

Faszinierend an diesem indirekten Wortwechsel aus der Vergangenheit ist, dass man selbst auf einen ähnlichen Gedanken kommen kann. Neben der gewissen Sprödigkeit insgesamt, die in Bonn und unter dem Dirigat von Dirk Kaftan Reize entwickelt, erstaunt vor allem die zurückhaltende Musik für die Orchesterorgel. Mindestens als die Orgel außer Rand und Band gerät und den Mob entfesselt, klingt es doch zahm. Wer kürzlich zum Beispiel im Frankfurter Museumskonzert Camille Saint-Saëns’ 3. Sinfonie gehört hat, war wieder frappiert von der Wucht der Orgel, die ein Orchester in die Tasche steckt, wenn sie es darf. Schreker stand der Sinn offenbar nach Subtilerem, Kargerem.

Bestärkend für diesen Eindruck ist die Inszenierung Julia Burbachs, die sich den Figuren zugewandt zeigt, aber doch zurückhält. Man kann es geschmackssicher nennen, aber auch finden, dass es zu wenig ist. Burbach lässt Amandus klassisch leiden, Mirko Roschkowski als sich voller Hingabe quälender Künstler und erfolgreicher Tenor. Anne-Fleur Werner ist als Lilian so autark und stimmmächtig, wie es der merkwürdig verdrucksten Kundry-Rolle nur möglich ist.

Die Bühne von Dirk Hofacker verlegt die Handlung vollständig vor oder sogar in eine Orgel, deren Registerschalter drei Wände übersäen. Riesige Notenpapiere spielen eine dekorative und sinnfällige Rolle, Amandus wird so direkt zum Komponisten. Der Chor und die kleine Tanztruppe treten teils ernst und in Schwarz auf, nachher in karnevalistischem Mummenschanz. Tatsächlich ist die Handlung, ist das Personal überspannt genug, um Neugier zu wecken auf eine Regie, die drastischer Stellung bezöge (Tobias Kratzer oder Claus Guth zum Beispiel). Ein Bonner Argument wäre vielleicht, dass eine Oper auch gewissermaßen „pur“ wirken soll. Und Interessierte müssen die Gelegenheit ohnehin nutzen.

Das Programmheft ist ein Buch zur Oper. Das verdankt sich wohl nicht zuletzt dem jüngst verstorbenen Operndirektor und Dramaturgen Andreas K. W. Meyer, der sich schon in seiner Kieler Zeit als Schatzgräber betätigte. Man wird ganz gierig, wenn man liest, was dort alles aufgeführt wurde. Mit Selbstironie bekennt er aber im Programmheft, wie sehr er manchmal eine Renaissance erwartet und darin geirrt habe. Im Falle von Frederick Delius zum Beispiel, zu schade.

Oper Bonn: 8., 10., 16. Juni. theater-bonn.de

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