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Klassik Pasolini-Oper in Berlin

Vielleicht sollten wir doch lieber ins Kino gehen

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Wabenwesen der Bourgeoisie: Szene aus Battistellis Oper Wabenwesen der Bourgeoisie: Szene aus Battistellis Oper
Wabenwesen der Bourgeoisie: Szene aus Battistellis Oper
Quelle: EIKE WALKENHORST
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Der italienische Komponist Giorgio Battistelli hat von Shakespeare bis Ernst Jünger schon so ziemlich alles veropert. Jetzt wurde an Berlins Deutscher Oper seine Version von Pasolinis 55 Jahre altem Film „Teorema“ uraufgeführt. Und bewies: 1968 war nicht alles schlechter.

Es war ein großer Erfolg. Bei einem durchaus jüngeren, kurz, aber ziemlich enthusiastisch losjubelnden Publikum. Aber warum? Zu erleben war an der Deutschen Oper Berlin mit „Il Teorema di Pasolini“ die Uraufführung eines doppelten Recyclings. Künstlerisch nachhaltig war es allerdings nur unter vokalen wie instrumentalen Aspekten.

„Il Teorema di Pasolini“ – der Titel allein zeigt, dass man die einst verstörende, 1968 erschienene, heute aber eher ästhetische Kino-Parabel des vor fünf Dekaden gestorbenen Filmregisseurs allein offenbar doch schon zu ferngerückt glaubt. Pier Paolo Pasolini hatte so rational wie rätselhaft am Beispiel einer italienischen Industriellenfamilie den Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft durchgespielt.

Denn die Angehörigen der Bourgeoisie – Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Dienstmädchen – werden nacheinander von einem plötzlich auftauchenden Fremden verführt – der mal als Kommunist, mal als Christus, mal einfach nur als böser Engel gedeutet wird. Und sie implodiert.

Stars wie Silvana Mangano und Massimo Girotti verfielen 1968 in kühlen, wie ausgewaschenen Bildern den stahlblauen Augen des Eindringlings Terence Stamp. Der Film hat sich seine kalte, sezierende Atmosphäre bis heute bewahrt, auch wenn seine einstige moralische Wucht in der libertären Gesellschaft von heute längst verflogen ist.

Schon 1992 hatte Giorgio Battistelli, der als Opernkomponist so ziemlich alles emsig musiktheaterverwurstelt, was ihm von Shakespeare bis Vittorio de Sica, von Ernst Jünger bis Sten Nadolny vor die fleißigen Finger kam, sein „Teorema“ für die Münchner Biennale komponiert. Hans Werner Henze, der die Rechte innehatte, gab sie für die dann 70-minütige „Parabola in musica“ weiter, in der freilich nicht gesungen wurde, es nur einen Erzählersprecher und stumme Darsteller gab.

31 Jahre später sind es jetzt als „Musiktheater in zwei Teilen“ knapp 120 Minuten geworden. Die freilich schmecken schon arg nach getretenem Quark. Fade und vorhersehbar gründelt das orchestral zwischen zähen schlierenden Klangflächen und zackig kurzen Ausbrüchen dahin, die Singstimmen murmeln sich zunächst durch ein enervierend monotones Parlando.

Wabenwesen der Bourgeoisie: Szene aus Battistellis Oper
Wabenwesen der Bourgeoisie: Szene aus Battistellis Oper
Quelle: EIKE WALKENHORST

Und auch das britische Regieduo Dead Centre (Bush Moukarzel und Ben Kidd), das erstmals in der Oper arbeitet, hat dem alten Film, dessen Mittel bis in die Farbgebung der blassen Hintergründe und Kostüme (Ausstattung: Nina Wetzel) brav und einfältig nachempfunden sind, nichts wirklich Neues hinzuzufügen. Die einzige Idee: Man distanziert sich – mal wieder – durch eine Laborsituation. Und auch das gleich doppelt.

Also wuseln da Männlein und Weiblein in weißen Schutzanzügen im Vordergrund, kommentieren und filmen den Plot, der brav in sechs, auf zwei Stockwerken aufleuchtenden Sets aus Wohnzimmer, Schlafgemach, Küche, Garten abgespult wird. Diese lediglich vergrößernden Bilder zeigen wenig Aufregendes, legen sich über die gesamte Bühne, verschmelzen mit dem Portalschleier, auf den Körpertemperatur, Herzschlag und Erregtheitszustand der einzelnen Probanden ohne sonderlichen Erkenntnisgewinn projiziert werden.

Berührende Schlusskurve

Die Laborantentruppe, das sind zunächst die Sänger, während hinten Schauspieler agieren. Nur der Ospite (baritonklar, sauber, schön, aber wenig erotisch prickelnd gesungen von Nikolay Borchev) ist nicht gedoppelt. Wenn der wieder weg ist, die einstürzende Familienaufstellung sich selbst überlässt, wechseln die Vokalisten in das sich plötzlich steigernde, jetzt endlich emotional ausgreifende Singspiel.

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Auf den letzten Metern geht dieses „Teorema“ dann also doch noch in eine berührende Schlusskurve. Die Tochter Odetta (liebreizend: Meechot Marrero) verschwindet im Wahn, der Sohn Pietro (wohltönend: Andrei Danilov) wird rot beschmiert zum Künstler.

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Die Mutter Lucia (damenhaft distanziert: Ángeles Blancas Gulín) mutiert im roten Fiat Cinquecento zur anonyme Blowjobs verabreichenden Nymphomanin. Das Dienstmädchen Emila (grandios unterwürfig wie verzückt: Monica Bacelli) fährt in religiöser Ekstase erst gen Himmel, steigt dann in die Erdentiefe.

Und der Vater Paolo (bis zum Schrei expressiv: Davide Damiani) steht am Ende nackt vor schweifenden Wolken in seiner inneren wie äußeren Wüste. Ganz wie bei Pasolini.

Dringlichkeit und mysteriöse Eleganz

Ohne jeden Mehrwert gegenüber dem Film ist das aber zumindest bestmöglich realisiert. Durch eine überraschungslos professionelle, aber geschmacksneutrale Regie und ein hervorragendes Sängerensemble.

Aber auch Daniel Cohen am Pult des gut aufgelegten, elektronisch manipulierten Orchesters kann immerhin zum Schluss tönend „Il Teorema di Pasolini“ doch noch mit jener Dringlichkeit und mysteriösen Eleganz aufladen, die „Teorema“ bis heute ausstrahlt. Am Ende ist dieses Stück eine Empfehlung eher für den Film als für einen Gang in die Deutsche Oper.

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