Nein, mit der Ukraine haben die beiden Farben Blau und Gelb nichts zu tun. Sie erinnern eher an einen Fussballmatch, bei dem die Gegner durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet sind. Mit gelben Accessoires versehen sind der chinesische Kaiser Altoum, seine Tochter, Prinzessin Turandot, sowie die Männer und Frauen des chinesischen Volks. Blaue Gewänder tragen der gestürzte tatarische König Timur, sein Sohn, Prinz Calaf, und die Dienerin Liù.

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Turandot
© Monika Rittershaus

In herkömmlichen Inszenierungen von Puccinis Turandot gibt es in Ausstattung und Kostümen meist stereotype Chinoiserien zu sehen. Nicht so bei der Zürcher Neuproduktion. Der Regisseur Sebastian Baumgarten, der Bühnenbildner Thilo Reuther und die Kostümbildnerin Christina Schmitt versagen sich jede Art von „kultureller Aneignung” und orientieren sich an der Uraufführungszeit der Oper, also den 1920er Jahren, mit ihrem Fortschrittsglauben und ihren technischen Erfindungen. Der Mandarin, der zu Beginn das Gesetz der drei Rätsel verkündet, schwebt in einem Heissluftballon. Turandot entsteigt, wenn sie nach einer Stunde endlich die Szene betritt, einem Raumschiff. Und die Video-Projektionen von Philipp Haupt versetzen die Zuhörer in ungemütliche futuristische Räume.

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Sondra Radvanovsky (Turandot)
© Monika Rittershaus

Eine gewisse Politisierung des Märchenstoffs kann man darin sehen, dass das chinesische Volk als willenlose Masse dargestellt wird, die von acht Einpeitschern beliebig manipuliert wird. Eine originelle Idee des Regieteams besteht in der Bienenmetaphorik: Turandot mit ihrem gelb-schwarzen Gewand ist die Bienenkönigin. Ihr Volk besteht gleichsam als Arbeitsbienen, und die ausländischen Prinzen, die das Rätsel zu lösen versuchen, können als Drohnen gedeutet werden, die nach der Begattung der Königin sterben. Insgesamt wirkt die Ausstattung überladen, oft rätselhaft und zu heterogen. Sie lenkt mehr von der Musik ab, als dass sie zu ihr hinführt.

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Sondra Radvanovsky (Turandot) und Piotr Beczała (Calaf)
© Monika Rittershaus

Das einschneidendste Merkmal der Züricher Turandot ist ihr fragmentarischer Charakter. Der Dirigent Marc Albrecht und der Regisseur präsentieren die Oper ohne das letzte Bild. Ihre Gründe: Puccini war vor dessen Vollendung gestorben, und die normalerweise gespielte Ergänzung von Franco Alfano sei künstlerisch schwach. Zudem habe Puccini mit dem Schluss seine liebe Mühe gehabt. Doch in der Aufführung funktioniert diese amputierte Fassung nicht. Das grosse Schlussduett zwischen Turandot und Calaf fällt aus. Es gibt keine Liebesvereinigung zwischen den beiden. Damit wird die Stellung Turandots als Titelfigur ausgehebelt. Und die Handlung bleibt unverständlich. Denn sie endet nun mit dem Tod der in Calaf verliebten Dienerin Liù, die mit ihrem Selbstmord den Weg für Calafs Hinwendung zu Turandot freimachen wollte. Weil diese Liaison dem Publikum vorenthalten wird, rückt Liù faktisch in die Rolle der weiblichen Hauptfigur. Das alles ergibt dramaturgisch keinen Sinn.

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Piotr Beczała mit Xiaomeng Zhang (Ping), Iain Milne (Pang), Nathan Haller (Pong)
© Monika Rittershaus

Sängerisch sind die drei Hauptrollen ausgezeichnet besetzt. Schlüssig kommt der Unterschied zwischen den beiden dominierenden Frauenrollen zum Tragen. Die Liù von Rosa Feola mit ihrem lyrischen Sopran und ihrer sympathischen, einladenden Art hebt sich deutlich vom Charakter Turandots ab. Sondra Radvanovsky interpretiert die Titelfigur in ihrem szenischen Rollendebüt mit grosser, dramatisch aufgeladener Stimme und einer demonstrativ zur Schau gestellten Gefühlskälte. Es wäre spannend gewesen, sie in der Schlussszene zu erleben, wo sie sich von der Eisprinzessin zur glühenden Liebenden hätte verwandeln müssen. Ein Strahlemann und der Heldentenor par excellence ist Piotr Beczała in der Rolle des Prinzen Calaf. Die italienische Manier des Singens scheint ihm auf den Leib geschrieben, und er bringt auf der Bühne normalerweise jedes Frauenherz zum Schmelzen. Unter den Nebenfiguren seien die drei Minister Ping (Xiaomeng Zhang), Pang (Iain Milne) und Pong (Nathan Haller) erwähnt, die mit ihren Einlagen ein erfrischend komödiantisches Element beisteuern.

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Rosa Feola (Liù)
© Monika Rittershaus

Marc Albrecht, dessen Schwerpunkte bei Richard Strauss und dem spätromantischen Repertoire liegen, dirigiert zum ersten Mal Puccinis Turandot. Sehr gut weiss er den pseudo-chinesischen Charakter der Partitur zum Klingen zu bringen, indem er die „exotischen” Instrumente wie Gongspiel, Glockenspiel, Xylophon und Röhrenglocken prominent heraushebt. Obwohl der Dirigent mit grossen Besetzungen viel Erfahrung hat, brennen ihm die Pferde, sprich die Musiker und Musikerinnen der Philharmonia Zürich, ab und zu durch. Da müssen sich die Protagonisten auf der Bühne manchmal echt durchkämpfen. Keine Probleme hat in diesem Punkt der erweiterte Chor der Oper Zürich. Von Janko Kastelic zu einer stimmgewaltigen Schar und vom Choreographen Sebastian Zuber zu einer disziplinierten Truppe geformt, trägt der Chor durch seine Beifalls- und Missfallens-Kundgebungen entscheidend zum Gang der Handlung bei.

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