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Kultur Arena di Verona

Das Spektakel aus dem Löwenbräu

Freier Feuilletonmitarbeiter
Anna Netrebko als Aida in der Arena di Verona Anna Netrebko als Aida in der Arena di Verona
Anna Netrebko als Aida in der Arena di Verona
Quelle: Ennevifoto
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Seit 110 Jahren und hundert Spielzeiten wird in der Arena di Verona Oper gespielt. Verdis „Aida“ war von Anfang an dabei. In diesem Jahr singt Anna Netrebko. Kleine Kulturgeschichte eines pompösen Phänomens – und eines musikalischen Missverständnisses.

Die alte Aida kommt als letzte. 12.000 Menschen in dem antiken Oval erheben sich von ihren Plätzen, als Sophia Loren in die Arena di Verona hineingeführt wird. Die einzige noch lebende Sirene des italienischen Nachkriegskinos schreitet gebeugt, sie strahlt aber immer noch Grandezza aus.

Verdis äthiopische Opernheroine verkörperte sie 1953 in einer Filmproduktion, Renata Tebaldi lieh ihr damals die Engelsstimme. Das ist siebzig Jahre her. 88 ist La Loren inzwischen. Und seit hundert Spielzeiten wird, wo vor zweitausend Jahren Gladiatoren kämpften, Tiere gehetzt und Seeschlachten ausgetragen wurden, unter dem Himmel Norditaliens Musiktheater als Volksspektakel in Szene gesetzt – bunt, bewegt und stets im XXL-Format.

Eben startete die Jubiläumssaison – natürlich mit „Aida“. Dabei ist die zur Eröffnung des Suezkanals bestellte, aber erst ein Jahr später 1871 uraufgeführte Festoper gar kein Monumentalspektakel, sondern eines von Giuseppe Verdis intimsten Stücken, mit vielen Piano-Passagen, fast schon impressionistisch flirrenden Streichern und zarten Holzbläserlasuren. „Morendo“ – „ersterbend“ steht über dem letzten hohen B der gleich nach dem hauchfeinen Vorspiel anhebenden Wunschkonzert-Arie des Radamés „Celeste Aida“. Doch kaum ein Tenor hält sich daran. Yusif Eyvazov versucht es an diesem denkwürdigen Abend zumindest.

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„Aida“, das ist eigentlich ein arenagemachtes Missverständnis mit Elefanten, Pferden, Fanfaren und Heerscharen von Statisten. Und doch war diese Oper für viele Millionen Menschen hier in den vergangenen 110 Jahren das erste und oft einzige Mal, wo sie mit Musiktheater in Berührung kamen.

Weil die Arena niederschwellig ist, früher die Preise auf den oberen, unnummerierten Rangstufen tatsächlich volkstümlich waren, man in Sommerkleidung kommen konnte und sein Picknick und eine gute Flasche Valpolicella mitnehmen durfte. In Erinnerung an die elektrizitätslose Anfangszeit wurde traditionell auch bei Dunkelheit eine Kerze mit Windfang angezündet. Das ist lange schon vorbei. Auch Verona ist mit der Zeit gegangen, hat sich angepasst, wurde glatter, internationaler.

16 Millionen Besucher verzeichnet der nahe Lago di Garda. Vom halb noch in den Alpenausläufern gelegenen Binnenmeer kommt ein Teil zu den sommerlichen Opernfestspielen in die nördlichste italienische Großstadt. Und das sind immer noch viele, zusätzlich zu Opernliebhabern, Stadtbesuchern und „Romeo und Julia“-Fans. Von etwa 500.000 Arena-Zuschauern, die zwischen Mitte Juni und Mitte September etwa fünfzig Vorstellungen erleben, sind sechzig Prozent Ausländer. Achtzig Prozent von ihnen wiederum kommen aus dem deutschsprachigen Raum.

Anna Netrebko singt "O patria mia"

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Oper ist hier, die Arena-Gesellschaft betreibt auch das kleine Teatro Filharmonico mit der landestypischen Stagione-Saison von etwa sechs Titeln plus Konzerten, ein eminenter Wirtschaftsfaktor: Fünfzig Millionen hat man als Budget, mindestens 23 davon werden durch Kartenverläufe eingenommen. 500 Millionen Euro bleiben als Umwegrentabilität in der Region.

„Aida“ wurde hier erstmals 1913 – zum zehnten Verdi-Todestag – ausprobiert. Der damals sehr bekannte Veroneser Tenor Giovanni Zenatello hatte im örtlichen „Löwenbräu“ die Ursprungsidee. Maestro Tullio Serafin macht mittels Münze eine Akustikprobe – und damit war der legendäre Operngroschen gefallen. Unter den ersten Gästen waren sogar Maxim Gorki und Franz Kafka. Weil später Kriege und auch Corona kamen, feiert man erst in dieser Saison die 100. Opernspielzeit an jenem einzigartig antiken Ort.

Den Zauber der Arena, drittgrößtes erhaltenen Amphitheater nach Rom und Capua, fasst die gegenwärtige Intendantin Cecilia Gasdia, Veronesin und selbst eine berühmte Sopranistin, die hier zwanzig Sommer lang gesungen hat, so in Worte: „Verona ist eine schöne Stadt, klein, aber lebenswert. Und wir haben vor der Arena diese wunderbare Piazza Bra, die wie ein großes Foyer funktioniert. Da können alle sitzen und die Arena anschauen, dann in Arena gehen, nach der Oper wieder herauskommen, essen – ah! – und gut leben!“

Kaufmann, und Domingo sind auch da

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Die Arena ist aber nicht nur „Aida“. Dort geben sich zwischen bombastischen Inszenierungen auch die großen Stimmen der Oper ein Stelldichein. Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Juan-Diego Flórez und natürlich der unzerstörbare Plácido Domingo – sie alle singen in diesem Sommer unter freiem Himmel zu Höchstgagen. Neben einer neuen „Aida“ werden 2023 als klingende Blockbuster auch ein neuer im Neorealismo-Retroschick gehaltener „Rigoletto“ gespielt, außerdem „Der Barbier von Sevilla“ in einem Rosengarten, „Carmen“, „Nabucco“, „Tosca“, „La traviata“ und „Madama Butterfly“.

Berühmt muss der Operntitel heute sein. Ponchiellis „La Gioconda“ ist nur noch Nummer zwölf der Aufführungsstatistik, doch 1947 debütierte darin eine damals völlig unbekannte, dickliche Griechin: Maria Callas. 24 Mal trat sie bis 1954 hier auf.

100 Jahre wäre sie ebenfalls in diesem Jahr geworden, so wie Italiens plüschiger Regiepapst Franco Zeffirelli, der erst relativ spät, 1995 dann aber massiv hier andockte. Er starb 2019. Schon 1969 gab sich Birgit Nilsson als ohrenbetäubende „Turandot“ die Arena-Ehre. Puccinis China-Böller steht in der Arena-Aufführungsstatistik übrigens auf Rang Vier, übertroffen von Verdis „Nabucco“, ja, der mit dem Gefangenenchor.

Nummer zwei, das ist hier die schon 1914 gespielte „Carmen“. Und die zeigt immer noch ihre rassistische „Zigeuner“-Seite, so wie auch Anna Netrebko in der Zeffirelli-„Aida“ dunkel geschminkt noch vergangenes Jahr ein Blackface-Skandälchen entfachte. Als historisches Make-up bleibt das aber dran, da sind sie in Italien eisern ihrer altbackenen Operntradition verpflichtet.

Jetzt bekam die „Aida“ ein radikales Facelifting verpasst. Das hatte man schon vor zehn Jahren mit einer ironisierende Fura-dels-Baus-Produktion versucht. Drei Spielzeiten hielt man das durch, dann glitzerte – auf heftigen Publikumswunsch hin – wieder die olle Ägypten-Pappe, wahlweise der nachgearbeiteten Ur-Inszenierung bzw. der Zeffirelli-Fassung.

Bevor freilich der als bewährter Gesamtkunstwerker für Inszenierung, Bühne, Kostüme, Licht und Choreografie zuständige Stefano Poda loslegen durfte, wurde es zunächst patriotisch staatstragend. Der Chor trat an die Rampe in Mänteln der Farben Italiens, diese verflüchtigten sich nach dem Absingen der Nationalhymne als bunter Lufthauch am Himmel, nachdem die Fliegerstaffel Frecce Tricolore über das Arenaoval gedonnert war.

„Nur das Licht ist Geist“

Und auch der Regen fordert seinen Tribut, als es endlich losgeht. Oft zwingt er als veronesisches Katastrophengewitter die dann teils bis spät in die Nacht sich ziehenden Aufführungen zur Unterbrechung oder ganz zum Abbruch. Schon ein paar Tropfen lassen hier stets die Streicher ihre Instrumente ins Trockene retten.

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Die Abendrobengeschmückten, die vorher noch über den endlos an den Ristoranti der Piazza Bra sich vorbeiziehenden Roten Teppich paradiert waren, flüchteten ebenfalls – Sophia Loren inklusive. Zwanzig Minuten später, das Feudelballett hat auf der Bühne mit ganzen Papierrollen seine Trockenwischdienste geleistet, saßen alle wieder brav auf ihren Plätzen.

„Ich wollte einen Gegensatz zwischen dieser Ruine und einer Brücke zur Zukunft. Alles aus Licht. Nur das Licht ist Geist – wie die Musik“, so erklärt Stefano Poda seinen „Aida“-Zugang. Der spielt überall und nirgendwo. Eine schräge Plexiglasfläche führt auf kleine Dreiecke zu, aus denen sich eine riesige, bewegliche Hand erhebt.

Yusif Eyvazov in Verona

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Links liegen Reste eines Raumschiffs auf den Stufen, das war die Zukunft; rechts sieht man eine geborstene Säule, das war die Vergangenheit der Zivilisation. Und in der Mitte paradieren, wuseln, ballen sich 400 Mitwirkende in Haute-Couture-Roben, Spiegelanzügen, Königsumhängen, Motorradhelmen.

Die auf Aida eifersüchtige Pharaonentochter Amneris (Olesya Petrova ist eine wahre Mezzoorgel) sieht noch am ehesten nach altem Ägypten aus. Auch Tiergottheiten paradieren. Es gibt keine Waffen, aber auf Rohre gepflanzte abgeschlagene Hände in Schwarz und Weiß werden genauso wie Lichtstangen als Speere geführt. Anna Netrebko, die zu feinen Piani findet, aber auch zu großen Sopranentladungen, läuft in Fransenkleidern herum. Ihr Feldherr Radamès (Gatte Yusif Eyvazov enttäuscht nicht) trägt feinbestickte Riesenmäntel. Das Ballett tanzt in Nietenschnüren oder wälzt sich als Truppe von Gefangenen-Zombies aus dem Untergrund, um alles zu überspülen.

Dazwischen gellt Roman Burdenko als Aidas Papa, der aussieht wie Tim Lindemann. Die Einzelnen gehen völlig in der Masse auf, Leni Riefenstahls Lichterdome gleißen als Pyramide, Nebel wabert, ein Silberballon steigt auf, Laser leuchtet und reflektiert in Rot, Blau, Grün, Weiß. Das ist als Mischung aus Star Wars und Friedrichstadtpalast so überwältigend wie hilflos, fluide wie starr.

Oper muss in der Arena klar erzählt werden, optisch groß und farbig sein. Poda deutet nicht viel, er baut Tableaux; die aber beindrucken, auch wenn nach dem Anti-Triumphakt mit auf- und abfahrenden Podien, auf denen vorher noch von Amneris präparierte Leichen herumgereicht wurden, nicht mehr viel Neues kommt.

Marco Armiliato hält das am Pult, er ist ebenfalls ein alter Arena-Hase, so eisern wie mühelos zusammen: In Verona interpretiert man nicht, da muss man durchkommen. Bis vor einer begeisterten Masse kurz vor ein Uhr nachts das letzte „O terra, addio“ verhaucht und im Applaus ertrinkt.

Monströses Opernpuzzle

Am folgenden Tag geht es mit „Aida“ von vorn los. Um 19 Uhr lässt sich die Spanierin María José Siri, die nie geprobt hat, schnell einweisen; auch Poda hatte für seine Massen nur zwei, drei Tage Eingewöhnzeit am Originalschauplatz. Irgendwie funktioniert es aber doch.

In stickigen Kavernen sind alle – Chor, Orchester, Ballett, Statisten, Solisten – in engen Verschlägen und Holzkisten den Sommer über eingepfercht. In den Gängen mit ihren groben Steinen und unebenen Böden liegen „Carmen“-Kulissen neben „Traviata“-Kostümen, die großen Dekoteile lagern vor der Arena. Überall, wo Monitore und technisches Gerät stehen, sind auch Regendächer, denn bei Feuchtigkeit tröpfelt es durch die Gewölbe.

Aber dann wird sich an diesem Abend neuerlich wieder das monströse, manchmal grandiose Opernpuzzle fügen. Und draußen werden sie jubeln. Wie seit hundert Arena-di-Verona-Jahren. 110 ist Aida hier alt geworden, das ist nichts gegen die über 500-jährige Julia. „Shakespeare gewinnt dann doch immer“, schickt uns Intendantin Cecilia Gasdia als letztes Wort hinterher.

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