Neorokoko Inszenierung von „Il barbiere di Siviglia“ in der Arena von Verona

Arena di Verona/Il Barbiere di Siviglia 22.07.23/Foto @ EnneviFoto

In Gioachino Rossinis „Melodramma buffa in due atti“ Il barbiere di Siviglia nach einem Libretto von Cesare Sterbini handelt es sich um eine intime, häusliche Komödie, die normalerweise nicht mit großen Veranstaltungsorten wie der römischen Arena in Verona in Verbindung gebracht wird. Die Inszenierung von Hugo De Ana (Choreographie: Leda Lojodice), die ich am 22. Juli 2023 in der Arena von Verona gesehen habe, zeigte Intimität, geistreichen Humor und die tiefgründige Botschaft, dass die Liebe standes- und geldbedingte Eheschließungen überwindet. (Besuchte Vorstellung am 22. Juli 2023)

 

Das Neorokoko-Konzept von De Ana bringt die Ernsthaftigkeit hinter der Komödie deutlich zum Ausdruck: Dr. Bartolo versucht, Rosina gegen ihren Willen zu heiraten. Die Kulisse eines Gartens und eines Hauses ermöglicht es den Figuren, ihre individuellen Persönlichkeiten zum Ausdruck zu bringen und die Beziehungen zwischen den Charakteren darzustellen. Auch wenn der Humor nicht zu übersehen ist, ist die Aufrichtigkeit der Liebe zwischen Rosina und dem Grafen Almaviva (der sich als „Lindoro“ verkleidet) immer erkennbar, ebenso wie die Boshaftigkeit von Don Basilio und die Arroganz von Dr. Bartolo.

Im August 2022 habe ich eine Aufführung dieser Oper bei den Salzburger Festspielen in der Inszenierung von Rolando Villazón rezensiert. So lohnend Villazóns Konzeption auch war, die von Hugo De Ana war noch überzeugender, weil das Bühnenbild die Handlung nicht auf eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Ort beschränkt. De Ana zeigt die Universalität von Rossinis populärster Oper. Die beiden Aufführungen hatten zwei Hauptsänger gemeinsam: Nicola Alaimo in der Titelrolle und Alessandro Corbelli als Dr. Bartolo. Diese beiden Sänger waren in Verona sogar noch großartiger als in Salzburg, zumindest teilweise, weil sie mehr Freiheit hatten, ihre individuellen Interpretationen ihrer jeweiligen Charaktere zum Ausdruck zu bringen. Infolgedessen schienen sich Alaimo und Corbelli noch mehr auf ihre Rollen einzulassen, weil sie sich Figaro und Bartolo zu eigen machen konnten.

Arena di Verona/Il Barbiere di Siviglia 22.07.23/Foto @ EnneviFoto

Der Tenor Antonino Siragusa überzeugte als Graf Almaviva, der junge Liebhaber von Rosina. Siragusa bewältigte Rossinis anspruchsvolle Koloraturen und Triller mit scheinbarer Leichtigkeit. Selbst die oft unterlassene Arie vor dem Finale des 2. Aktes „Cessa di più resistere“ bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Rosina, die Frau, die der Graf liebt und zu heiraten entschlossen ist, wurde von der Mezzosopranistin Marina Viotti gesungen. Viotti stellt Rosina als schlau, durchtrieben und stets in der Lage, Bartolo zu überlisten. Gleichzeitig verliert Viotti nie die Realität aus den Augen, dass Rosina die bevorstehende Zwangsehe mit Bartolo wirklich fürchtet und dass sie am Boden zerstört ist, als man ihr vorgaukelt, dass Lindoros erklärte Liebe zu ihr nur eine List war.

Als Figaro, der Barbier, gab der Bariton Nicola Alaimo die für unsere Zeit wohl maßgebliche Darstellung der Titelrolle. Alaimo sang mit einer tüchtigen Dosis Witzigkeit und vor allem mit einer ganz prächtigen Stimme. Auch seine schauspielerische Leistung entsprach der Komplexität des Figaro-Charakters: Witz, Einfallsreichtum, Kreativität und die Tendenz, selbst im Umgang mit Almaviva und Bartolo, die beide gesellschaftlich höher gestellt sind als er, eine Führungsrolle zu übernehmen. Im Vergleich zu seiner Darbietung der gleichen Rolle in Salzburg vor elf Monaten wirkte Alaimo in Verona „natürlicher“, als würde er die Rolle so spielen, wie er sie interpretiert, und nicht nach den Anweisungen eines Regisseurs.

Arena di Verona/Il Barbiere di Siviglia 22.07.23/Foto @ EnneviFoto

Dr. Bartolo, der seinen gesellschaftlichen Status zur Schau stellt, ist entschlossen, sein Mündel Rosina gegen ihren Willen zu heiraten. Der Bariton Alessandro Corbelli verkörperte die Rolle so, als wäre sie speziell für ihn geschaffen worden. Corbelli hat die seltene Fähigkeit, Sympathie für Bartolo zu wecken, der als egoistischer Tyrann interpretiert werden könnte. In der Interpretation von Corbelli ist Bartolo eine nuancierte Figur: stolz auf sich selbst, aber gleichzeitig auch verletzt, weil Rosina ihn nicht liebt. Obwohl Bartolo seine gesellschaftliche Stellung missbraucht, um Rosina zu zwingen, ihn zu heiraten, deutet Corbelli an, dass Bartolo sie vielleicht tatsächlich liebt und ihre Zuneigung will. Wie Alaimos Figaro schien auch Corbellis Bartolo mehr der eigenen Vorstellung des Interpreten zu entsprechen und daher fesselnder zu sein als in Salzburg im vergangenen Jahr.

In der Rolle des Musiklehrers Don Basilio brachte der Bass Michele Pertusi den Schwindler und Schwätzer, der diese Figur wirklich ist, besonders klar zur Geltung. In der berühmten Arie „La calunnia è un venticello“ setzte Pertusi seine kräftige Stimme ein, um den Text besonders bedrohlich klingen zu lassen, auch wenn Basilios Vorschlag nichts weiter als heiße Luft ist. Ein Teil des Witzes besteht darin, dass Bartolo Basilios bösartigen Vorschlag ruhig anhört und ihn im darauffolgenden Rezitativ sofort wieder verwirft.

Arena di Verona/Il Barbiere di Siviglia 22.07.23/Foto @ EnneviFoto

Die Sopranistin Marianna Mappa stellte eine ungewöhnlich aktive und herzerwärmende Berta dar. Bei Mappa hat man das Gefühl, dass Berta mehr ist als eine Haushälterin, die von Bartolo, ihrem Arbeitgeber, weitgehend ignoriert wird. Mappa betonte die Ironie in Bertas Arie im zweiten Akt „Il vecchiotto cerca moglie“, in der Rossinis schwungvolle Musik im Widerspruch zu dem gesungenen Text steht, der eher traurig ist. Berta offenbart, dass sie noch nie verliebt war und wahrscheinlich als enttäuschte Jungfrau sterben wird. Mappa erweckt nicht nur in ihrer einzigen Arie, sondern in allen ihren Auftritten eine solche Sympathie für diese Figur, dass sich die Frage stellt, warum Bartolo nie eine Beziehung zu Berta gesucht hat.

Die kleinen Rollen wurden von Nicolò Ceriani (Fiorello und Ambrogio) und Lorenzo Cescotti (Un ufficiale) gespielt. Unter der Leitung von Alessandro Bonato haben das Orchester und der Chor der Arena di Verona die gesamte Partitur Rossinis (ohne Kürzungen!) mit Leichtigkeit, vernünftigen Tempi und Präzision dargeboten. Selbst mit modernen Instrumenten erzielte Bonato eine ähnliche Wirkung wie das Ensemble Les Musiciens du Prince – Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano, das ich im August 2022 in Salzburg hörte.

Insgesamt ist diese Aufführung von Il barbiere di Siviglia in der Arena von Verona eine der lohnendsten Vorstellungen einer Rossini-Oper, die ich je auf der Bühne und im Orchestergraben gesehen und gehört habe. Die einzige Inszenierung, die dieses Niveau erreicht, ist der Klassiker unter der Regie von Jean-Pierre Ponnelle, der auf Film festgehalten und auf DVD veröffentlicht wurde.

 

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Arena di Verona / Stückeseite
  • Titelfoto: Arena di Verona/Il Barbiere di Siviglia 22.07.23/Foto @ EnneviFoto
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2 Gedanken zu „Neorokoko Inszenierung von „Il barbiere di Siviglia“ in der Arena von Verona&8220;

  1. Wir werden dieses Jahr den „Barbier …. „in der Arena von Verona ansehen. Ihre Rezension ist auf jeden Fall eine gute Anregung für eine bewusstere Wahrnehmung. Herzlichen Dank schon mal an dieser Stelle. Bin schon gespannt auf die aktuelle Besetzung. Sind Sie wieder vor Ort? Wäre an Ihrer aktuellen Rezension sehr interessiert.

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