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Kritik – "Le nozze di Figaro" in Salzburg Gangster, Sex und Gags

Mit viel Polit-Prominenz stand gestern die Premiere von "Figaros Hochzeit" auf dem Programm der Salzburger Festspiele. Martin Kušej inszeniert eine Mischung aus Grusel, Sex und Komödie, die sich irgendwann erschöpft. Dafür überzeugt die Musik.

Le nozze di Figaro 2023: Vereinigung Wiener Staatsopernchor, Lea Desandre (Cherubino)
| Bildquelle: Salzburger Festspiele I Matthias Horn

Bildquelle: Salzburger Festspiele I Matthias Horn

Dieser "Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart startet als Thriller und landet als Krimikomödie fürs Vorabendprogramm. Regisseur Martin Kušej verlegt die Handlung in ein Hotel. (Das Regietheater hatte mal die Befreiung von Konventionen versprochen, hat aber natürlich längst eigene Konventionen ausgebildet, was völlig ok ist, wobei Operninszenierungen, die in Hotels spielen, viele Vorzüge haben, aber wenn mal ein neuer Trend käme, hätte ich auch nichts dagegen.) Graf Almaviva ist der Boss einer schwerkriminellen Vereinigung. Ein Raubmord passiert hier völlig beiläufig im Nebenzimmer, kein großes Ding.

Die Salzburger Festspiele 2023 bei BR-KLASSIK

Lesen Sie alle Neuigkeiten rund um die Salzburger Festspiele in unserem Dossier.

Salzburger Festspiele im Thrillerformat

Le nozze di Figaro 2023: Sabine Devieilhe (Susanna), Krzysztof Bączyk (Figaro)
| Bildquelle: Salzburger Festspiele I Matthias Horn Sabine Devieilhe (Susanna), Krzysztof Bączyk (Figaro) in "Figaros Hochzeit" bei den Salzburger Festspielen 2023 | Bildquelle: Salzburger Festspiele I Matthias Horn Das ist Kušejs bewährt böser Blick. Wenn Figaro einen Chor auftreten lässt, um dem Grafen dafür zu danken, dass er nicht mehr mit allen Bräuten seiner Untertanen schläft, dann sieht man draußen im Regen eine Gruppe misshandelter Mädchen, die blutgetränkte weiße Schleier schwenken. Schon während der Ouvertüre werfen alle Figuren erstmal ihre bevorzugte Droge ein. Immer wieder trifft man sich an der Bar. Schwer alkoholisiert haben diese kaputten, aber erstaunlicherweise gar nicht mal so unsympathischen Gangster manchmal sogar was zu lachen. Wenn Susanna und Marcellina um den Vortritt streiten, tun sie das auf der Damentoilette, wo Susanna ihrer Rivalin gemeinerweise kurzzeitig das Klopapier klaut.

Routinierter Durchblicker-Zynismus

Das alles wird durchaus temporeich erzählt. Nur weiß man nicht so recht, warum man sich für die Typen eigentlich interessieren soll. Diesen routinierten Durchblicker-Zynismus als Gesellschaftsanalyse zu verkaufen, wäre wohl doch ein bisschen hoch gegriffen. Immerhin, die Mischung aus Grusel, Sex und Komödie ist, auch wenn sie einen kalt lässt, streckenweise recht kurzweilig. Bis dem Regisseur am Schluss die Puste ausgeht. In der Gartenszene wird endlos im Dunkeln hinter Schilfgras gekrabbelt, der Unterhaltungswert sinkt rapide. Wirklich interessant gezeichnet ist eigentlich nur die Gräfin. Eine starke, selbstbewusste Figur, die sogar auf den Grafen trotz allem eine Restanziehung ausübt. Aber warum sich diese sexgierigen Upperclass-Gangster am Schluss alle versöhnen? Keine Ahnung, auch Kušej scheint es nicht zu wissen. Er lässt einfach mal alle an die Rampe treten. Und dann hört das Stück halt auf.

Andrè Schuen umwerfend

Le nozze di Figaro 2023: Andrè Schuen (Il Conte di Almaviva), Sabine Devieilhe (Susanna)
| Bildquelle: Salzburger Festspiele I Matthias Horn Andrè Schuen (Il Conte di Almaviva), Sabine Devieilhe (Susanna) in "Figaros Hochzeit" bei den Salzburger Festspielen 2023 | Bildquelle: Salzburger Festspiele I Matthias Horn Was, musikalisch gesehen, schade ist. Das Ensemble ist durchgängig erstklassig. Krzysztof Bączyk als Figaro hat viel Bass-Energie und kommt auch sicher in die Höhe. Wirklich berührend singt Sabine Devieilhe die Susanna. Ihre Stimme ist nicht sehr groß, aber wenn sie leise wird, Pausen macht, atmet, verstummt, bleibt die Zeit stehen. Auch Lea Desandre als Cherubino hat eher wenig Volumen, aber singt und spielt mitreißend lebendig diesen erotisch frei drehenden Teenager. Weich und voll klingt der Sopran von Adriana Gonzalez als Gräfin. Und Andrè Schuen ist Graf Almaviva: schwarzmähnig, eitel, nervös, in jeder Hinsicht, auch stimmlich, umwerfend.

Raphaël Pichon gibt Gas

Der junge Dirigent Raphaël Pichon drückt ganz schön aufs Gas. Manchmal sind die Wiener Philharmoniker fast ein bisschen laut. Und klar, dieses Luxus-Orchester ist keine schlanke Originalklang-Truppe, wie sie Pichon sonst dirigiert. Aber das Entscheidende ist: Er hat den oft so selbstgefälligen und behäbigen Wienern ihren gewohnten Weichzeichner-Schönklang gründlich ausgetrieben. Bei Pichon bekommt der Wiener Mozart-Klang, auf den sich die Philharmoniker meist zu Unrecht viel zugutehalten, endlich die zupackende Schärfe, die diese umstürzlerische Musik braucht. Und es klingt so, als würde es ihnen Spaß machen. Wenigstens musikalisch ein Mozart mit subversiver Energie.

Sendung: "Allegro" am 28. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (10)

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Freitag, 04.August, 00:12 Uhr

Angelika Gruber

Le nozze di figaro 2023,Salzburg

Herr Kusej sollte besser beim Schauspiel bleiben. Dort kann er literweise Theaterblut vergießen, muss keine Rücksicht auf Libretti nehmen und kann die Zuschauer rätseln lassen, wie sie das Gesehene mit der Musik in Uebereinstimmung bringen könnten. Nein, so hatten sich Da Ponte und Mozart sich Oper nicht vorgestellt, sondern so wie Cosi fan tutte, 2020, wie Verdi's Traviata von 2005.

Dienstag, 01.August, 23:42 Uhr

der raecher

die wiener

"oft so selbstgefälligen und behäbigen Wienern" - samma a bisserl überheblich?

Montag, 31.Juli, 12:02 Uhr

Sabine Werger

Grauenhaft

Wo sind nur die werktreuen, schönen Inszenierungen bei den Salzburger Festspielen???
Mozart würde sich im Grab umdrehen ...

Sonntag, 30.Juli, 12:12 Uhr

Ulla Wegener

Le nozze di Figaro

So möchte ich den Figaro nicht sehen.
Obwohl ich Martin Kusejs als Opernregisseur sonst bewundere, aber diesen Quatsch haben wir doch fast jeden Abend im Fernsehen.
Sex, drugs and Mozart.

Samstag, 29.Juli, 16:47 Uhr

Johann Baptist Dietze

Kritik zu "Le nozze di Figaro" in Salzburg 2023

Danke für diese Kritik. Ich freue mich über das Lob für die Sänger und Musiker. Das ist das Entscheidende. Somit bleibt meine Vorfreude für den eigenen Salzburg-Besuch erhalten. Ob mir Kusejs Ideen gefallen, wird man sehen.

Was mir am Artikel des HerrN Neuhoff missfällt, ist die pauschale Beschimpfung der behäbigen Wiener Philharmoniker. Eine solchen Filter soll man als Kritiker - wenn man sich schon ein Filter leistet - ablegen

Freitag, 28.Juli, 11:57 Uhr

fristra

Figaro-Premiere Salzburg

"Immerhin, die Mischung aus Grusel, Sex und Komödie ist, auch wenn sie einen kalt lässt, streckenweise recht kurzweilig." Das ist auf gut Neudeutsch eine Contradictio in se!
Ich bin eher kein Kusej-Fan, fand das ziemlich "schwarze" Sex- und Gangsterepos aber recht flott und kurzweilig. Das mit dem Schilf kann man so sehen, aber auch der Lohengrin des Neo Rauch in Bayreuth strapazierte dieses "Stilmittel". Köstlich dagegen nur als pars pro toto die an der Bar singenden betrunkenen Gangster samt Gespielinnen. Also, ich war eher sehr positiv überrascht von Bühnenbildern und -regie sowie Personenführung.
Zum musikalischen Part, sowohl Dirigent, Orchester, Chor als auch die fantastischen Sänger, würde ich nur in aller Kürze sagen: Ein wahres Fest. Umwerfend.

Freitag, 28.Juli, 11:07 Uhr

Gufo

Le nozze

Ach Gott.... Kusej. Wer seine Verdis Othello verhunzende Inszenierung ( um keinen schlimmeren Ausdruck zu gebrauchen ) an der Münchner Staatsoper erlebt hat, kann durch nichts mehr erschüttert werden. Suum cuique. Wem es gefällt, der möge für solche Aufführungen einen stolzen Preis berappen. Die Geschmäcker sind Gott sei Dank verschieden und es wird ja niemand gezwungen, sich "Kusej anzutun". Irgendwann wird das Pendel wieder in die andere Richtung umschlagen und die stimmige Inszenierung eine Wiedergeburt feiern.

Freitag, 28.Juli, 10:28 Uhr

Luca Ronconi

Auch ohne Pichon scharf genug

Die amüsante Kritik an den Philharmonikern verrät bedauerlicherweise eine irgendwie limitierte Kenntnis der Materie. Die Wiener waren und sind natürlich nicht permanent auf angeblichen „Weichzeichner-Schönklang“ abonniert. Ich empfehle dem Autor Aufnahmen unter Dirigenten wie Toscanini, Kleiber (Vater und Sohn), Harnoncourt oder Boulez. Da gab und gibt es genügend von der vom Autor ersehnten „Schärfe“. Grundsätzlich ist es eben so, dass dieses Spitzenorchester einfach grandios musiziert und eine singuläre Bandbreite aufweist. Aber vielleicht ist da ohnehin nur eine Verwechslung mit irgendwelchen deutschen Klangkörpern im Spiel, die bei Mozart nie so kompetent sind wie etwa bei Bach, Wagner oder Richard Strauss. Das gilt auch für deutsche Originalklang-Ensembles.

Freitag, 28.Juli, 08:36 Uhr

Georg ASAGAROFF

Nozze di Figaro

Stimme Herr Neuhoff 100% zu.
Wundere mich aber , dass er nicht erwähnt, dass einige wichtige Rezitative weggelassen wurden , die eigentlich durchkomponierte Musik wegen Umbauten öfters unterbrochen wurde und Texte vom Regisseur abgeändert wurden, damit sie zu seiner Handlung passen.

Freitag, 28.Juli, 08:01 Uhr

Mayr Wolfgang

Figaros Hochzeit gestern bei der Eröffnung der Sal

Keine Spur mehr des Mozartstils, der Österreich und Wien so einzigartig machte.Speziell in den Ensembles wurde nur gepoltert.Nur laut und undifferenziert gebrüllt ...Was nützen schöne Stimmen, die den Stil der Musik, die sie interpretieren, nicht kennen?

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