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Ramund Nolte (Donner), Hailey Clark (Freia), Attilio Glaser (Froh) und Christa Mayer (Fricka) mit Walhall im Glaskasten.

© Enrico Nawrath

Kinder sind auch keine Lösung: „Rheingold“ bei den Bayreuther Festspielen

Ein Jahr nach der Premiere wird in Bayreuth der „Ring“ in der Inszenierung von Valentin Schwarz wiederaufgenommen. Eindrücke von der „Rheingold“-Aufführung.

Auflauf oder Eintopf schmeckt manchmal besser, wenn man sie einen Tag stehen lässt. Gilt das auch für Opern? Findet die Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ von Valentin Schwarz nach ihrer Bayreuther Premiere 2022 jetzt mehr Anklang? Bei „Rheingold“, dem Vorabend, ist am Mittwoch besetzungstechnisch fast alles so wie im vergangenen Jahr, allerdings steht am Pult endlich derjenige, der – nachdem Cornelius Meister eingesprungen war und laut Berichten wenig überzeugen konnte – schon damals hätte dirigieren sollen: Pietari Inkinen, der aufstrebende, auch mit 43 Jahren noch sehr jugendlich wirkende Finne, der auch als Geiger Karriere macht. 

Zunächst mal wirkt ein Teil des Publikums aber erleichtert, einfach nur Oper sehen und hören zu können, ohne Augmented Reality wie bei der „Parsifal“-Premiere am Dienstag. Die dazu nötigen Brillen wabern in Gesprächsfetzen so wie Beckmessers Motiv in den „Meistersingern“ auch jetzt noch durch die Treppenhäuser des Festspielhauses. Es sei, sagt ein Besucher zu seiner Begleiterin, eher diminished als augmented reality gewesen, eher verzwergte als erweiterte Wirklichkeit. Und tatsächlich ist man nach einigem Mäandern und Abwägen 24 Stunden später selbst bei der Meinung angelangt, die sowieso die erste war: Die Brillen sind letztlich überflüssiges „Gschmarri“, wie man in Franken sagt, lenken viel mehr ab, zerstreuen die Aufmerksamkeit, als dass sie zusätzliche Ebenen der Erkenntnis öffnen würden. 

„Netflix“ klingt einfach heutiger

„Rheingold“ also: Wieder sind da zu den legendären aufsteigenden Es-Dur-Dreiklängen die Nabelschnüre und die beiden Föten auf der Leinwand zu sehen, der Rhein wird zum Fruchtwasser, Wotan und Alberich, so wohl die These des Regisseurs, kabbeln und verletzen sich schon als Ungeborene im Mutterleib (in welchem eigentlich?). Ein Ansatz, der zumindest in diesem ersten Teil der Tetralogie nicht wirklich weiterentwickelt wird. Viel war darüber zu lesen, dass die gewaltsamen Verstrickungen innerhalb einer Familie im Mittelpunkt stehen, der „Ring“ als Netflix-Soap war das Schlagwort – wobei „Netflix“ einfach heutiger klingt, solche Sendungen prägen seit Jahrzehnten das TV-Programm. 

Dieses Bungalow ist viel zu eng

Sollte das Konzept also tatsächlich eine Soap-„Opera“ sein, schrumpft es auf der realen Bühne zur Miniatur. Schon der große Strom selbst, auf dessen Grund Alberich der Liebe entsagt und den Rheintöchtern (Evelin Novak, Stephanie Houtzeel, Simone Schröder) das Gold raubt, mutiert zum schmalen, schalen Planschbecken. Die Götter versammeln sich in einem Penthouse oder Bungalow, das mondän wirken soll, dafür aber viel zu eng und wuselig geraten ist – und zusätzlich von herumstehendem, oft funktionslosem Personal verstopft wird. So schrumpft der Mythos zum alles- und nichtssagenden Wimmelbild. 

Wagners Weltenspiel im analytisch-grellen, alles klinisch ausleuchtendem Laborlicht: Das war auch schon jüngst an der Berliner Staatsoper so, offenbar ein Trend der Zeit. Sagenhaftes, Unerklärliches wird von der Bühne verdrängt, vielleicht auch eine unbewusste Reaktion vieler Regisseure: In Politik und Gesellschaft blüht schon genug Irrationalität, es droht der Abbau der liberalen Demokratie, überall grassieren aggressive Rückkehrwünsche zu angeblicher früherer Größe: in den USA, in Großbritannien, in Polen, Ungarn, Türkei. Russland bricht deshalb einen Krieg vom Zaun, und selbst Israel wird jetzt zum Gottesstaat. 

Olafur Sigurdarson als Alberich

© Enrico Nawrath

Auch Pietari Inkinen verweigert sich dem (musikalischen) Zauber, dem Bayreuther Mischklang. Ordentlich, aber selten mitreißend und inspirierend, eher gedeckelt und mehltauig klingt das, was aus dem Graben zur Bühne strömt und von dort in den Zuschauerraum reflektiert wird. Dafür singt diese schrecklich nette Familie auf hohem Niveau. Herausragend: Olafur Sigurdarson als wuselig-kerniger Alberich und Okka von der Damerau, die als Erda eine sängerische Naturgewalt darstellt. Etwas ungerecht ist es trotzdem, dass sie für ihren Kurzauftritt den meisten Applaus erhält.  

Tomasz Konieczny verkörpert einen statussymbolverliebten Macho-Wotan, der zwischen zwei Sätzen die Hanteln stemmt, Christa Mayer eine edelhysterische Fricka, Daniel Kirch einen vielleicht etwas übertrieben schmierigen Loge mit karikaturhaft herausgepresstem Bauch. Die Riesen fahren im SUV vor und geben sich den Touch von Auftragskillern, Jens-Erik Aasbo singt einen sich von seinen Gefühlen mitreißen lassenden Fasolt, Tobias Kehrer überzeugt nach einem gewaltigen Titurel in der „Parsifal“-Premiere von Vortag erneut als sich mächtig verströmender Fafner. 

Das Rheingold, das die beiden für sich reklamieren, ist in dieser Inszenierung bekanntlich ein Knabe in goldgelbem T-Shirt mit farblich passendem Käppi. Die Frage, ob es sich dabei um Klein-Hagen oder Klein-Siegfried handeln könnte, ist auch nach einem Jahr nicht wirklich beantwortet; wahrscheinlich steht der Junge einfach nur für die sogenannte (und hier geraubte) „Zukunft“ an sich. Wotan tanzt auf der Treppe, die Götter wähnen sich stark und ziehen in Walhall ein, und der in Bayreuth ja immer noch vorhandene Vorhang fällt. Aber so richtig schmeckt dieser Eintopf immer noch nicht.  

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