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Wenn die Gefühle verrückt spielen: Szene mit Lea Desandre (Cherubino), Sabine Devieilhe (Susanna) und Andrè Schuen (Il Conte) aus Martin Kusejs „Figaro“-Inszenierung

© Matthias Horn

Salzburger Festspiele 2023: Auf der Suche nach dem schnellen Kick

Mit Martin Kusejs Neuinszenierung von Mozarts „Le Nozze di Figaro“ startet das Opernprogramm der Salzburger Festspiele. Dirigent Raphale Pichon entlockt den Wiener Philharmonikern Überraschendes.

Von Regine Müller

An der Salzach ist das Wetter in diesem Festspielsommer ungewöhnlich kühl, wenn auch noch verschont vom berüchtigten Salzburger Schnürlregen. Das Festivalmotto „Die Zeit ist aus den Fugen“ nach Shakespeares „Hamlet“ setzt auch nicht gerade auf festliche Heiterkeit. Die wird allerdings vom üblichen Bussi-Promi-Reigen auf dem roten Teppich unbeirrt durchgezogen. Dem Motto getreu aber wundert es wenig, dass es in Martin Kušejs Inszenierung von Mozarts Opera Buffa „Le nozze di Figaro“ zum Auftakt des Opernprogramms wenig zu lachen gibt. Burgtheaterchef Kušej gab vorab in einem Interview bekannt, er sehe in Mozarts Figuren „vereinzelte Menschen, auf der Suche nach dem schnellen Kick“.  

Szene mit Sabine Devieilhe als Susanna aus der neuen „Figaro“-Inszenierung von Martin Kusej

© Matthias Horn

Bereits zur Ouvertüre findet sich das Personal düster dreinschauend aufgereiht am Bühnenrand ein, wenn die Reprise beginnt, erwachen alle aus ihrer Erstarrung und ziehen sich hektisch die jeweils bevorzugte Droge rein. Der schnelle Kick halt, bevor es losgeht.

Die erste Szene spielt dann in einer funzelig beleuchteten Bar mit beeindruckender Flaschen-Parade, nebenan blickt man in einen kahlen Flur. Dann fällt ein Schuss, ein toter Mann mit blutverschmiertem Hemd kippt aus einer Tür, zwei Männer suchen in seinen Taschen vergeblich nach Beute. Die beiden ehrenwerten Männer sind Graf Almaviva und Don Basilio, offenbar Mitglieder eines mafiösen Clans. 

Hyperrealistische Räume

Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt hat unaufhörlich sich wandelnde, hyperrealistische Räume gebaut, raffiniert ineinander verschachtelt und verschiebbar, wir sind offensichtlich in einem heutigen Hotel. Susanna und die Gräfin kommen mit Rollkoffern, später streiten Susanna und Marcellina auf dem Damenklo um den Vortritt und um das Klopapier, ein riesiges Badezimmer ist Ort der Versteckszene im ersten Akt, ein Aufzug bringt neues Personal herein, eine Szene spielt offenbar im siebten Kellergeschoss einer Tiefgarage. Menschen im Hotel. 

Alle sind hier auf der Durchreise, rastlos und doch miteinander verbandelt. Kušej erkennt im Personal keine Lichtgestalt, alle haben ihre Heimlichkeiten und sind trotz- oder deswegen mehr oder weniger sympathisch. Damit ist Kušej eigentlich ganz beim Menschenversteher Mozart. Doch verliert die Clan-Idee zunehmend an Spannung, zumal man sich für keine der wuselnden Figuren wirklich interessieren will. Und das zunächst angeschlagene rasante Tempo lässt zunehmend nach und kommt schließlich - auch mangels Fallhöhe und analytischer Konsequenz - fast ganz zum Stillstand. 

Eros für das arme Herz

Dennoch gibt es einiges zu sehen, Kušej bewegt sein spielfreudiges Personal routiniert und einfallsreich, sodass der Abend lange kurzweilig bleibt. Bis sich in der finalen Gartenszene – die hier in hohem Schilfgras spielt – die Sinnfrage stellt: Wie passt die These des abgebrühten Personals auf der Suche nach dem schnellen Kick zu Figaros Klage über den Wankelmut der Frauen und Susannas sehnsuchtsvoll-melancholischer „Rosenarie“, wie zur großen Versöhnung am Schluss? Geht es bei Mozart nicht um mehr als den schnellen Konsum? Nämlich um große Fragen nach der Echtheit der Gefühle und die Gefahren des flirrenden Eros für das arme Herz? 

Also bleibt die Versöhnung in Salzburg schal, was ja auch eine These wäre. Aber hier treten alle einfach wieder an die Rampe, wie am Anfang. Also alles wie immer. Was ein bisschen dünn ist für Mozarts Meisterwerk, aber auch keinem wehtut.  

Aufregend lebendige Musik

Die musikalische Seite des Abends schürft dankenswerterweise bedeutend tiefer. Der als Mozart-Dirigent gehypte Raphaël Pichon steht erstmals am Pult der Wiener Philharmoniker und scheut sich nicht davor, dem Spitzenorchester in seinem Kernrepertoire eine neue Richtung zu weisen. Der Originalklang-Experte animiert die Wiener zu einer rasanten, aber nie gehetzten Ouvertüre, die transparent, aufregend lebendig und klug akzentuiert klingt. Die Wiener tönen wunderbar, schlank und leuchtend, warm, beweglich, und angriffslustig ohne die Schartigkeit manch anderer Originalklang-Mozart-Bemühungen.  

Mit dem famosen Ensemble hat Pichon akribisch gearbeitet und nichts dem Zufall überlassen. Adriana González ist eine ungewöhnlich dunkel timbrierte, seraphisch leuchtende Gräfin, Andrè Schuen ein mustergültiger Graf, spielt sprunghaft, nervös und singt herrlich wohlklingend, reif und intensiv.

Sabine Devieilhe ist eine hell timbrierte, leichte Susanna, die der mangelnden Tiefe ihres Rollenkonzepts mit großartiger Präsenz und Differenzierung singend Paroli bietet. Auch Lea Desandre ist ein eher hell klingender Cherubino und kommt sportlich und glaubhaft androgyn über die Rampe. Krzysztof Bączyk ist von Kušej grobkörnig angelegt, singt sonor, vielleicht etwas einfarbig. Bravi fürs Musikalische, differenzierter Jubel fürs Ensemble, ein paar robuste Buhs für Kušej, der sich trotzig bedankt. 

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