Salzburger Festspiele
Jetzt packt ihn der Wahn: Asmik Grigorian (Lady Macbeth) und Vladislav Sulimsky (Macbeth).
APA/BARBARA GINDL

Das weite Land der Seele zu durchforsten, mag rund um dieses Gruselpaar besonders reizvoll sein. Bei Verdi geht es ja mit Lady Macbeth und ihrem Gemahl sehr schnell von Machthoffnung zu blutigen Händen, Massaker und schließlich zum Wahn. Bei Krzysztof Warlikowski, dessen meisterhafte Salzburger "Elektra"-Version in Erinnerung ist, landet das Duo auf der Analysecouch, und es nähert sich der Regiepsychologe der Vorgeschichte der Lady an, wo er einen Kinderwunsch entdeckt.

Bei der Neuinszenierung von "Macbeth" muss Warlikowski natürlich auch das Große Festspielhaus in den Griff bekommen. Er schafft es mit Simultanszenen und filmischen Mitteln. Während sich der Gatte von blinden Seherinnen, die als schrille Frauengruppe präsentiert werden, die königliche Zukunft weissagen lässt, läuft im Hintergrund ein Schwarzweißfilm. Es nuckelt ein Baby genüsslich an der Mutterbrust. Es ist nicht jene von Lady Macbeth, die auf der rechten Bühnenseite gerade einen Gynäkologen konsultiert. Nach der Untersuchung, die ebenfalls filmisch angedeutet wird, bekommt sie es schriftlich: Sie kann keine Kinder bekommen.

Energie durch Ehrgeiz

Es ist ein Schlüsselmoment für Warlikowski. Wenn schon kein Kind, dann Flucht in und Erfüllung durch Macht, welche ihrem Mann prognostiziert wird. Der Kindertraum wird zum Trauma, dessen Energie sich in Ehrgeiz verwandelt, als sie die Nachricht von der glorreichen Zukunft ihres Mannes bekommt. Ehrgeiz lodert auch in Macbeth, der in sich zunächst jene Kraft findet, die das Blutige schafft. Man sieht es. Es ist auf dieser breiten Bühne Warlikowskis Stärke, das Kammerspielartige der psychischen Zersetzung mit dem großen Bild einer kriegerischen Gesellschaft in Einklang zu bringen.

Nicht nur der erste Mord – an Duncan – wird filmisch dargestellt. Auch der Weg zum Gipfel der Macht und das Halten der Position werden durch filmische Verdopplung detailliert als Trip in die innere Hölle präsentiert. So bleibt der Prozess der seelischen Verwesung, geboren aus Angst, Schuld und die Ungewissheit, auch in der Nuance sichtbar.

Die Regie nutzt das Aufblühen von Trugbildern, um auch ein gruseliges "Kinderspiel" zu inszenieren. Macbeth erschaudert vor Luftballons, die er selbst bemalt hat. Kinderpuppen werden auf Tabletts – mit Gemüse garniert – als Hauptgericht serviert. Doch vor allem lebendige Kleine erscheinen Macbeth im Wahn als machtvolle Bedrohung. Wenn es ein zweites Mal um Weissagungen geht, und die visionären Frauen selbst zusehen, wie von Kindern mit Masken Rituale durchführt werden, sieht man: Macbeths Zukunftsangst ist auch eine Kinderangst, die Nachkommen anderer erscheinen ihm als Bedrohung.

Große Stimmkunst

Macbeths schuldbeladene paranoide Besessenheit lässt ihn später auch Kinder mit Masken herbeihalluzinieren, die den ermordeten Banko (tadellos Tareq Nazmi) gleichen. Überall diese Jugend, die er nicht loswird. Real oder in Puppenform. Und wenn seine Lady wieder auftaucht, sieht auch sie längst mitgenommen und erschöpft aus. Nur noch von Drinks wird sie notdürftig zusammengehalten.

Asmik Grigorian, die ihr Rollendebüt als Lady Macbeth gibt, ist die erwartet wandlungsfähige Sängerdarstellerin, die in Abgründe von Machtrausch, Depression, Kälte und Wahn blickt und dabei vokal Drama, Präsenz und Differenzierungskunst vereint. Ganz selten hört man sie an der Grenze des Singbaren. Die Koloraturen kommen zumeist gestochen scharf, imposant der Wechsel von innig gehauchten Linien zum klar herausgewuchteten dramatischen Furor.

Ende im Rollstuhl

Das Leben in der Wahnblase modelliert Vladislav Sulimsky zum vokalen Abenteuer zwischen nobler Linienkunst und bei Bedarf wütender Grobheit. Bis auf anfängliche Probleme eine imposante Leistung als Demonstration des psychischen Zerfalls eines von Ängsten und Reue Bedrängten. Im Rollstuhl sitzend, rollt er schließlich seinem Ende entgegen, während Lady Macbeth hier als Gespenst ihrer selbst überlebt. Diese subjektive Volte nutzt Warlikowski zum eindringlichen Schlussbild.

Vorgeführt, sitzt das Paar gefesselt da, und wartet auf sein Ende. Macduff (glänzend Jonathan Tetelman) zögert zu schießen, und tut es dann doch. Macbeth ist tot, sie aber lebt, während der Knabe, der einmal König sein wird – filmisch eingefangen – durch die Wälder streift. Noch unschuldig, noch nichts wissend.

Wie in Wien

Im Orchstergraben ein Wechsel: Franz Welser-Möst musste aufgrund einer akuten orthopädischen Erkrankung vor ein paar Wochen absagen, für ihn sprang der Musikchef der Wiener Staatsoper Philippe Jordan ein. Er entwirft mit den Wiener Philharmonikern routiniert ein robustes, ruppig akzentuiertes Klangbild, mit knalligen Effekten, wie sie bei Verdi offenbar schwer zu vermeiden sind. Seinerzeit war das auch an der Wiener Staatsoper ähnlich zu hören, als Jordan zu Barrie Koskys minimalistischer "Macbeth"-Version das Extrovertierte betonte.

Das Ganze war aber auch im Festspielhaus durchaus sängerfreundlich und von die Bühne atmosphärisch unterstützender Machart. Eine glanzvolle Premiere jedenfalls, an der auch der gute Chor Anteil hatte. Minimalbuhs für die assoziazonsreiche Regie, die – Pier Paolo Pasolinis Film "Il Vangelo secondo Matteo" zitierend – sogar Maria und das Kind auf die Leinwand brachte. (Ljubisa Tosic, 30.7.2023)