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Verdi mit Notstrom: „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen

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Asmik Grigorian und Vladislav Sulimsky
Mordlustiges Paar, nicht ganz rollendeckend gesungen: Asmik Grigorian als Lady Macbeth und Vladislav Sulimsky als Macbeth. © Bernd Uhlig

Und wieder eine Premiere für Salzburgs Diva: Asmik Grigorian kann als Lady Macbeth nicht ganz überzeugen. Regisseur Krzysztof Warlikowski greift wie immer in seine Psychokiste, Dirigent Philippe Jordan serviert Verdi al dente.

Ein Gedankenexperiment: Jeder andere Regisseur hätte das stemmen dürfen, auch jeder wackere Repertoire-Kapellmeister. Und trotzdem hätten die Salzburger Festspiele „ausverkauft“ gemeldet, weil es (fast) nur um die Diva geht, weniger um ihre Garnierung. Nachdem Anna Netrebko angeblich politisch kontaminiert ist, gelten Jubel und Spielplan-Gestaltung nun Asmik Grigorian. Ihre Salome katapultierte sie 2018 (zu Recht) ins Rampenlicht und in die Herzen der Opernwelt, es folgten bekanntlich Chrysothemis und alle drei Frauenfiguren in Puccinis „Il trittico“. Und nun vielleicht nicht der Mount Everest, wohl aber der K2 des Soprangesangs, an dem man sich noch mehr wehtun kann und noch mehr Spalten lauern: Verdis Lady Macbeth.

Um den Kult komplett zu machen, gestattet ihr Regisseur Krzysztof Warlikowski im Großen Festspielhaus einmal sogar einen Star-Moment. Im Zentrum eines riesigen Strahlenkranzes, vor einer Chortribüne und mit Standmikro steht dort die Grigorian und gibt das Trinklied der Lady. Als selbstbewussten Song, weniger – wie eigentlich vorgesehen – als Schwamm-drüber-Szene, mit der sie den beginnenden Wahnsinn ihres Gatten übertünchen will. Die Ausstrahlung: blendend. Das Spiel: raumfüllend. Und der Gesang?

Dass sich die Litauerin im dramatischen Fach tummelt (demnächst sogar als Turandot), liegt an ihrem eigentümlichen Sopranzuschnitt. Eine nicht unbedingt große Stimme, aber extrem zentriert, kantig, mehr sauer als süß, die sich auch durch Riesenräume und -ensembles fräsen kann. Gerade weil es sich um kein breites, reichhaltiges Timbre handelt, geht (nicht nur) bei der Lady Entscheidendes verloren: die Farben, die Fähigkeit zur Schattierung abseits des Dynamischen. Shirley Verrett wurde einst dafür bekrittelt, dass sie die Lady mit vokalen Brüchen und mindestens zwei Stimmen singt, in Salzburg wünscht man sich ein wenig davon zurück. Auch etwas mehr Textverständnis.

Asmik Grigorian funktioniert als Gesamtkunstwerk

Warum Asmik Grigorian auch diese Neuproduktion des „Macbeth“ dominiert: Sie funktioniert als Gesamtkunst- und Kraftwerk, das selbst eine müde bis diffuse Regie wie diese mit Notstrom versorgt. Bezeichnend aber, dass die erste richtige Ovation einem anderen gilt, nämlich Jonathan Tetelman nach seiner mit flammender Tenor-Emphase gesungenen Macduff-Arie. Der Interpret des Titelhelden bewegt sich noch nicht auf dem internationalen Star-Radar. Vladislav Sulimskys Bariton ist fast zu schön, um böse zu sein. Den Angstbeißer Macbeth nimmt man ihm ab, die großen Gesten gegen Ende erkauft er sich mit Mühen. Absolut rollendeckend dagegen Tareq Nazmi, man sollte ihm unterm Mönchsberg auch mal eine der dramatischen Hauptpartien gönnen.

Eine kleine Überraschung bietet Philippe Jordan, am Pult der Wiener Philharmoniker vor einigen Wochen für den erkrankten Franz Welser-Möst eingesprungen. Das Schrundige des „Macbeth“ hört man, Verdis Klangoffensive, die bis zur Aggressivität gehen kann, vor allem aber eine treibende, trockene Rhythmik. Jordans Deutung überwältigt vielleicht nicht wie 2011 die Riccardo Mutis am selben Ort, ist trotzdem al dente, bohrt sich ins Trommelfell – zur feinsinnigen Balance fand Verdi schließlich erst in späteren Werken.

Warlikowski zitiert nur noch sich selbst

Wer die Ohren in dieser Premiere verschließt, könnte sich auch in der Münchner „Frau ohne Schatten“ oder in der Salzburger „Elektra“ wähnen. Krzysztof Warlikowski ist mittlerweile zum Dauerzitatenträger seiner selbst geworden. Ausstatterin Malgorzata Szcześniak hat ihm wieder einen Psychoraum entworfen, der die Überbreite des Großen Festspielhauses sogar noch verstärkt. Alles spielt (Warum?) in den Dreißigerjahren. Zu sehen gibt es die längste Wartebank der Bahnhofsgeschichte, dazu Lady Macbeth in der Sprechstunde beim Gynäkologen, blinde Frauen als Hexen und Türen an der Rückwand, dank derer man problemlos Bartóks „Blaubart“ spielen könnte. Dauernd wird etwas herein- und hinausgeschoben. Man blickt auf die Bühne und sieht, wie mutmaßlich der Ausstattungsetat eines kleinen Stadttheaters verbraten wurde.

Warlikowski will die innerliche Leere der Figuren, ihre Traumata aufs Riesenformat projizieren. Thema sind die Kinder, missbraucht von den Eltern und Mächtigen. Einmal werden Baby-Puppen auf Blumenkohl angerichtet, zu zusammengesunkenen Jungen und Mädchen auf der Chortribüne sieht man per Video den Herodes-Feldzug gegen die Erstgeborenen aus Pasolinis „Matthäus-Evangelium“. Als Macbeth den ermordeten Banco imaginiert, tragen Kinder entsprechende Masken. Am Ende wird die Qual des gefangenen Königspaares ausgestellt, Macbeth sitzt inzwischen im Rollstuhl. Beide dürften nach dem letzten Ton von den neuen Herrschern abgeknallt werden.

Wie immer arbeitet Warlikowski assoziativ, mit raunenden Andeutungen, bewusst offenen Momenten. Was ihn weit wegtreibt von Verdis „Macbeth“, der gerade in seiner Konzentriertheit und Eindeutigkeit in Mark und Ohren trifft. Der Schrecken des Dramas dünnt sich aus in einem Psycho-Nirwana, das Grauen des Stücks reduziert sich auf eine bloße Regie-Behauptung. Und wird vielleicht deshalb von der Gala-Gemeinde mit einhelligem Jubel quittiert: So wenig belästigt hat Verdis dunkelstes Drama noch kaum.

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