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Opern-Kritik: Salzburger Festspiele – Macbeth

Zepter-Übernahme in Salzburg

(Salzburg, 29.7.2023) Asmik Grigorian besiegt Anna Netrebko mit der Risiko-Partie der Lady Macbeth. Krzysztof Warlikowski findet in nur einer Szene zu einer definitiv packenden Personenregie.

vonRoland H. Dippel,

Jetzt ist es passiert. Seit ihrem phänomenalen Salzburg-Debüt 2018 hatte Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser darauf geachtet, die Beschäftigung seines neuen Stars Asmik Grigorian im Partienspektrum von Anna Netrebko zu vermeiden. Das ist im Festspielsommer 2023 anders – nicht nur, dass in der konzertanten Aufführung von Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ am 19. und 21. August Elsa Dreisig mit der Giulietta eine der Paradepartien aus Netrebkos Belcanto-Phase singen wird. Nach Salome, Chrysothemis und den drei Sopran-Hauptpartien in Puccinis „Il Trittico“, welche im vergangenen Jahr Grigorians Salzburger Assoluta-Status vorbereiteten, riskierte die Lettin die heimtückisch komponierte Partie der Lady in der Neuproduktion von Verdis „Macbeth“. Einer Zepter-Übernahme kam das gleich, weil Verdis mit Schwierigkeiten gespicktes Shakespeare-Psychogramm zum aktuellen Kernrepertoire Netrebkos gehören würde, hätten sich deren Auftritte seit Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine aus verschiedenen Gründen nicht drastisch reduziert.

Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen
Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen

Zwischen kurzem Zögern und energischer Tat

Grigorians Lady-Interpretation fasziniert im Spiel ebenso wie durch vokale Gestaltung. Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski macht sie in seiner Inszenierung zu einer Frau, die an ihrer Unfähigkeit zu gebären leidet. Bei der ersten Arie mit dem Aufflackern ihres Muts zum Mord erspart sich Grigorian die zweite Cabaletta-Strophe und deren furiose Fortissimo-Fiorituren. Die beiden Trinkliedstrophen in der Festszene haben bei ihr nicht die riesige wie rissige Absturzskala zwischen selbstgewisser Repräsentation und fundamentaler Verstörung, wie das andere große Sängerinnen der Partie modellierten. Auch die Nachtwandelszene war mehr gesungen als deklamiert. Den in die Eingeweide dringenden Shakespeare-Schauder, welchen Verdi mit Fast-Sprechen und fahlem Piano erreichen wollte, erzielt Grigorian also anders und individuell. Der ganz große Moment ihrer Lady Macbeth ist die für Paris nachkomponierte Arie „La luce langue“ – ein Stück von berstender Ambivalenz zwischen kurzem Zögern und energischer Tat. Wie Grigorian das mit einer zwischen den Lippen ausgekosteten Melodik, die von ihr in Fragezeichen gesetzten Phrasen gestaltet und jeder Millisekunde Spannung gibt, gerät unnachahmlich. Für solche Momente erhält sie am Ende den meisten Beifall.

Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festpielen
Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festpielen

Monumentalität und Brio

Am Pult der Wiener Philharmoniker steht deren Opernchef Philippe Jordan. Das Orchester verblendet am Premierenabend ein wunderbar verdichtetes Verdi-Brio mit den stark aufgewerteten Nachtfarben und Tiefen-Registern. Eindeutig orientiert sich dieser Abend mehr an Verdis düsterer Monumentalität im unter Meyerbeer– und Berlioz-Einfluss entstandenen „Don Carlos“ als an seinen Rhythmus-Feuerwerken aus den 1840-er Jahren. Wenn die Hexen – sie sind hier strickende frauliche Alltagswesen mit vielen Kindern – hereingefahren werden, macht das Effekt. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor greift allerdings wenig in die Handlung ein, bleibt Mauer, Gesellschaftsstatisterie und Dekor, der prachtvoll singt (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen). Die kleinen Solopartien waren alle optimal besetzt, besonders erwähnenswert Grisha Martirosyan als aufgewerteter Diener Macbeths, Herold und erster Erscheinung sowie der in seinen Einwürfen äußerst kräftige Evan LeRoy Johnson als Macbeths legitimer Thronfolger Malcolm.

Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen
Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen

Bertolucci, Pasolini, Shakespeare

Krzysztof Warlikowski fand in nur einer Szene zu einer definitiv packenden Personenregie auf Höhe des möglichen Spannungspotenzials: Beim Festbankett sitzen Macbeth und die Lady, das frisch gekrönte Königspaar, mit dem treuen Vasallen Macduff an einem Tisch. Der Platz des soeben gemeuchelten Banco bleibt leer. Tareq Nazmi als Banco und Jonathan Tetelman, der die Partie des Macduff in seinem stürmischen Karriere-Aufwind eigentlich nicht mehr braucht, sind ganz große Klasse. Tetelmans quälend verlängerte Generalpause zwischen den Ausrufen am Beginn der Arie des Macduff steht am Beginn der schönsten gesanglichen Offenbarung dieser Premiere.

Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen
Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen

Verortung des Geschehens im politischen Osten

Nach dem Besuch der Lady beim Gynäkologen im Vorspiel und dieser Szene verlässt sich Warlikowski auf die imponierenden Raumdimensionen des Großen Festspielhauses und eine Galerie. Wenn man den roten Linoleumboden von Małgorzata Szczęśniaks Ausstattung ernst nimmt, ist die Verortung des Geschehens im politischen Osten von hoher Wahrscheinlichkeit. Auch eine Tribüne für Zuschauer- und Jubelmassen gibt es, vor allem aber zwei riesige Monitore für Film-Zitate und digitale Eigenbeiträge. Macbeth ist ein Versehrter schon lange vor seinem Ende. Vladislav Sulimsky liefert ausdrucksvollen und intensiven Gesang, der sich allerdings auf die von Verdi klar fokussierten Etappen von Macbeths Mordskarriere nicht allzu intensiv einlässt. Das rückt Grigorians Leistung desto mehr in den Mittelpunkt.

Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen
Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen

Jubel vor allem für die musikalische Leistung

Macbeth sieht fern: In direkter Assoziation zu den Machtmorden steht der verhängnisvolle Kinderwunsch in Pasolinis „König Oedipus“ und aus „Das erste Evangelium – Matthäus“ die Flucht nach Ägypten mit dem Bethlehemitischen Kindermord. Am Ende gibt es auf den Screens Symbolisches; zur Schlusshymne trifft in Trickfilmen von Kamil Polak und Denis Guéguin ein Knabe auf drei non-binäre Wesen. Der Jubel vor allem für die musikalische Leistung war groß.

Salzburger Festspiele
Verdi: Macbeth

Philippe Jordan (Leitung), Krzysztof Warlikowski (Regie), Małgorzata Szczęśni-ak (Bühne & Kostüme), Felice Ross (Licht), Kamil Polak, Denis Guéguin (Video), Jörn Hinnerk Andresen (Chor), Claude Bardouil (Choreografie), Christian Longchamp (Dramaturgie), Vladislav Sulimsky, Tareq Nazmi, Asmik Grigorian, Caterina Piva, Jonathan Tetelman, Evan LeRoy Johnson, Aleksei Kulagin, Grisha Martirosyan, Hovhannes Karapetyan, Solisten der Sankt Florianer Sän-gerknaben, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Angelika Prokopp Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, Wiener Philharmoniker

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