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Klassik Salzburger Festspiele

Baby an Brokkoli und Mozart al Capone

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Viel Pistolengefuchtel für nix: Sabine Devieilhe , Krzysztof Bączyk Viel Pistolengefuchtel für nix: Sabine Devieilhe , Krzysztof Bączyk
Bang! Sabine Devieilhe und Krzysztof Bączyk im „Figaro“
Quelle: SF/Matthias Horn
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Verdis „Macbeth“ und Mozarts „Figaro“ feiern Premiere in Salzburg. Augen und Ohren sind dabei nicht nur auf die Regisseure Krzysztof Warlikowski und Martin Kušej gerichtet. Auch Salzburgs nach Anna Netrebkos Abgang einziger weiblicher Vokalstar Asmik Grigorian steht auf dem Prüfstand.

Wer es heiß mag in alten Hollywood-Filmen, der weiß, was es mit den „Freunden der italienischen Oper“ auf sich hat. Die gastieren offenbar gerade in Salzburg, und singen als Sopranos Mozart: Will sagen: Martin Kušej lässt im Haus für Mozart die dortige Eröffnungsopernpremiere „Le nozze di Figaro“ im Mafia-Clan Almaviva spielen. Deshalb wohnen sie auch statt bei Sevilla in Italien – das Eröffnungsbild zeigt sie, jeder seine Lieblingsdrogen konsumierend, als dystopische Familienaufstellung vor einem Florenz-Wandteppich.

Dreieinhalb Stunden später stehen sie wieder da, aber bis dahin war es szenisch extrem fad. Nicht einmal hat der schießwütige Duca (fein gerundet, aber fast zu nett vokalkultiviert: Andrè Schuen) seinen Capo Figaro um die Ecke gebracht, der ihm mit der Zofe Susanna die einzige wirklich Geliebte ausgespannt hat. Viel Pistolengefuchtel für nix also. Dabei sieht der Figaro des farbarm singenden Krzysztof Bączyk lustigerweise aus wie ein dauerangefressener Nicholas Ofczarek. Und die katholische Kirche in Gestalt von Priester Basilio (Manuel Günther) mischt auch mordend mit.

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Kušejs dritte Salzburger Mozart-Inszenierung könnte stilistisch wie stylish direkt an seinen berühmten „Don Giovanni“ von 2002 (ja, der mit der Netrebko) anschließen. Nur wirkt das jetzt, wie so vieles Programmatisches im aktuellen Festspielsommer, altbacken: als arg dicke, aber doch hohle, müde Machogeste im Lila/Petrol-Look der Eighties. Da wird vom gleich zu Beginn einen Mord begehenden Grafen in Unterhosen später eine Halbnackte ausbezahlt. Die Gräfin (Stimmüberraschung aus Guatemala mit fruchtig-üppigem Sopran: Adriana Gonzaléz) singt im körpernegierenden Fellmantel vor der berühmtesten Vagina der Kunstgeschichte, Courbets „Ursprung der Welt“, ihre erste Arie, während nebenan eine weitere Nackte sich genüsslich abtrocknet als sei sie in einem Ingres-Serail.

Zaunpfahl statt Sinnlichkeit

Ja, wohin ist sie entschwunden, die selig andeutende Mozart-Sinnlichkeit? Hier ist jeder Kušej-Wink einer mit dem Regie-Zaunpfahl. Plus nervige Schwarzblenden mit Soundgerumpel und nochmals Raumwechsel – etwa in den Müll- wie Folterkeller. Selbst zum Huldigungschor für den Grafen schmieren offenbar geschändete Mädchen ihr Blut an regennasse Fenster. Besonders peinlich: der gestrig disocrockende Hochzeitschor im Glitzermini auf Ebene Minus 7 im Betonparkhaus.

Dabei sind der männerbetonten Regie im komplexen Irrgarten superhässlich kahler Räume (raffinierter Bühnenbauer: Raimund Orfeo Vogt) vor allem Sabine Devieilhes Susanna wie Lea Desandres Cherubino entglitten. Die eine, eine Rollendebütantin, sitzt anfangs in einer sterilen Bar angeödet neben dem seine leeren Schnapsgläser (43!) zählenden Figaro und klaut Marcellina (harsch: Kristiana Hammarström) auf dem Häusl das Klopapier. Dafür singt sie ihre große Arie im 4. Akt mit originellen Auszierungen und hell schwebender Höhe – viel zu schön für diese hier nur als ebenso ungustiöse Bitch vorgeführte Susanna. Und der fast körperlos bebende Cherubino lässt sich gleich von zwei Frauen im kahlen Badezimmer einseifen. Dabei kann man musikalisch nur sagen: Her mit den beiden Französinnen!

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Die Devieilhe wird von ihrem Ehemann Raffaël Pichon am Pult nicht nur in der Rosenarie wie auf Notennelken getragen. Überhaupt gelingen dem die klanglichen Lichtblicke des Abends. In Frankreich längst eine Alte-Musik-Größe, muss sich Pichon freilich gegen die renitenten Wiener Philharmoniker behaupten. Zumindest dieses Tonduell ist extrem spannend. Denn da wird Schlagobers immer wieder chilischarf gewürzt, ohne dass es Unbehagen bereitet. Das ist ein stetes, flirrendes Tempowechselspiel, zwischen dem Pedro Berisio nicht nur in den fantasievollen Rezitativen (die freilich sehr frei und tendenziös übersetzt sind) am obligaten Hammerklavier irrlichtert. So kommen diesmal die spannendsten Mozart-Momente aus dem Salzburger-Graben.

Nazisirene vor Neonsonnenstrahlenkranz

Das kann man bei der zweiten Opernpremiere 2023, bereits nach zwölf Jahren mal wieder Verdis „Macbeth“, nicht sagen. Das ist Giuseppe Verdis grandiose, als blutige Burleske über Leichen tänzelnde erste Shakespeare-Oper überhaupt, mal im sarkastischen, mal im abgründig fahlem Klanggewand als Parabel auf die moderne Politik. Doch schon musikalisch sucht Philippe Jordan eher olafscholzig mit zusammengepresst energetischer Lippe den Ausgleich, mal krachig, mal grübig, aber selten in die Extreme gehend; wie das hier 2011 noch scharfzahnig Riccardo Muti gelungen ist. Die Brutalität, die Weltverlorenheit, der Schmerz, aber eben auch die Grellheit, das abgefeimte Kichern dieser Oper über dem Abgrund, es gelingt immer nur mittelmäßig.

Weil der Chor dauernd hinterher klappert, vor allem die Hexen als Kaffeekränzchen von Golden Girlies eher immobil an der Seite platziert. Weil sich der hier ebenfalls wohlbekannte, kaum mehr für ästhetische Überraschungen stehende Regisseur Krzysztof Warlikowski samt seiner ausstattenden Gattin Małgorzata Szczęśniak mal wieder hinter Filmen (von Bertolucci und Pasolini) und dem üblichen kastig-leeren, diesmal königsblauen und akustisch eher ungünstigen Einheitsraum konzeptuell verpuppt. Diesen Verdi hat er schon 2010 in Brüssel inszeniert, nicht wenig wurde übernommen, etwa die Obsession der kinderlosen Macbethens für ebendiese.

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Schon zu Anfang muss – zuerst sitzen beide als auseinandergelebtes Paar einsam auf einer Riesenbank – sich die in Dreißigerjahreschick gekleidete Lady M. auf den gynäkologischen Stuhl bequemen, während ihr Gatte dann den armen Duncan im Bett mit dem Kissen erstickt. Kinder mit alten Maskengesichtern sitzen beim Bankett herum, wo die Lady dann die singende Nazisirene vor Neonsonnenstrahlenkranz gibt, und ihr Mann einen Luftballon für den toten Banco hält. Kinder, als feine Damen ausstaffiert, bevölkern die zweite, arg alberne Hexenszene. Beim von außen hereinkommenden Chor der schottischen Flüchtlinge tötet die stumme Statistenfrau des ungerührt kraftvoll-sehnig seine Macduffo-Arie stemmenden Jonathan Tetelman magdagoebbelslike sich und ihre 23 Kinder, die dann leblos an der Rampe aufgereiht werden.

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Ist der unerfüllte Nachwuchswunsch, die Unfruchtbarkeit der nichtdynastiefähigen Lady aber wirklich der Auslöser für das sinnlose Morden? Die Inszenierung macht das nicht plausibel, lässt beide immer wieder hektisch beim Singen die Kleider wechseln, will sie menschlich belassen, macht sie aber eigentlich nur uninteressant. Brav, wenig bedrohlich ist auch das Singen des volltönenden, aber wenig nuancierten Vladislav Sluminsky in der Titelrolle, der als Tattergreis im Rollstuhl endet. Tareq Nazmi liefert seine Banco-Arie ebenfalls bassfließend ab, aber viel Verzweiflungsgestaltung ist da nicht.

Und solches ist leider auch das Problem der in Salzburg als inzwischen einziger weiblicher Vokalstar problematisch dauerbeschäftigten Asmik Grigorian. Die bewältigt die Partie, gewinnt ihr mit viel zu hellen Stimmfarben aber wenig Eloquenz und Zwischentönen ab. Es fehlt die schneidend dunkle Brillanz der Netrebko, die böse, negative, füllige Mezzoanmutung einer Liudmyla Monastyrska. Bei ihr wirkt diese zentral-maestose Verdi-Rolle verhuscht und unterbelichtet, leider auch verwackelt – selbst in der Wahnsinnsszene, an deren Ende sie zum Weiterleben verdammt ist. Im Dezember will die Grigorian in Wien die Turandot stemmen, im Salzburger Sommer 2025 die Isolde. Da wird einem bang …

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Ein rätselhaft verquaster „Macbeth“ als Brüsseler Zweitaufguss ist das, der sich in seiner solipsistischen Zeichenhaftigkeit selbst genug scheint, selten aber klang- wie inhaltspackend über die Rampe greift. Festspiel stellt man sich irgendwie anders vor, wenigstens manchmal innovativ und mutig. Salzburg vertraut bisher allzu sehr auf das Bewährte. Doch das Publikum nickt seltsamerweise gegenwärtig alles einigermaßen begeistert ab. Selbst als zur Pause bei Macbeths unter der Silbercloche ein Baby an Brokkoli serviert wird.

„Figaro“ wird am 10. August bei Servus TV ausgestrahlt, „Macbeth“ ist bereits auf Arte/concert abrufbar

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