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Bayreuther Festspiele: „Götterdämmerung“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele: „Götterdämmerung“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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In Bayreuth unterdessen: Ring-Baustelle: betreten erwünscht

Vorspann / Teaser

In Bayreuth ist der Ring des Nibelungen in der Inszenierung von Valentin Schwarz einmal komplett über die Bühne gegangen. Musikalisch ein Ereignis – szenisch streitbar – also durchaus festspielgemäß.

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Beim „Siegfried“ schien es noch so, dass sich die geradezu fanatische Ablehnung des neuen Rings in seinem ersten Wiederaufnahmejahr zu verflüchtigen, zumindest aber fairer Neugier zu weichen begann. Schon, weil sich nicht allzu viele Zuschauer zweimal hintereinander einen Ringzyklus leisten (wollen bzw. können), dessen Lesart sie ablehnen. Zudem konnte man es in diesem Jahr auch mal nur mit einem Teil des Ganzen probieren. Als nach der „Götterdämmerung“ Valentin Schwarz und sein Team vor den Vorhang traten, war die kleine aber lautstarke Buhfraktion zuverlässig zur Stelle. So nach dem Motto: wenn es in diesem Jahr schon keine Meistersinger gibt, dann steuern wir wenigstens, so wie Sixtus Beckmesser für jede Abweichung von der vermeintlich festgeschriebenen Ring-Regel, einen quietschenden Kreidestrich, sprich ein gut vernehmliches Buh bei. Immerhin: so fanatisch wie im vorigen Jahr eskalierte es nicht. 

Gegen die musikalischen Qualitäten konnte kaum jemand etwas einwenden. Pietari Inkinen hat noch mal deutlich zugelegt, ist mit dem „Siegfried“ und dann auch in der „Götterdämmerung“ ganz und gar bei seiner Ringgangart angekommen. Faszinierend wie er im ersten Siegfried-Aufzug mit den Motiven spielt, sie schichtet und seine eigene spannende Erzählung zelebriert, sich dann aber auch traut, das Orchester von der kalkuliert dosierten Leine, in die große Leidenschaft ausbrechen zu lassen. Das ist imponierend, wirkt sicher und souverän. Der junge Finne beherrscht den verdeckten Graben nicht nur technisch, sondern sorgt besonders in der „Götterdämmerung“ für betörend schwelgerische Orchestermomente und für atemberaubende Spannung. So wie etwa bei der Trauer um Siegfried, die diesmal sogar seinen Mörder Hagen erfasst. Wurde Inikinen nach dem Vorabend vom Publikum noch ermutigt, wurde er von da an gefeiert!

Er brauchte aber auch den Blick fürs Ganze, wenn solche vokalen Kraftmaschinen wie Andreas Schager beide Siegfriede in den Saal schleudert und Tomasz Konieczny den Wanderer stemmt. Schager wie immer in seiner manchmal bedenkenlos wirkenden Verausgabungsmanier. Ansparen oder Kalkulieren ist seine Sache nicht. Dass er sich auch zurücknehmen kann, führte er bei seinem Sinnieren über seine Eltern freilich auch vor. Zu diesem Super-Siegfried passte wie im letzten Jahr Daniela Köhlers wunderbar erwachend aufleuchtende „Siegfried“-Brünnhilde mit ihrem Mut, vergleichsweise zarte Töne einer beinahe zerbrechlichen Frau dagegenzusetzen. Die fulminante Catherine Foster als Götterdämmerungs-Brünnhilde war ohnehin ein Hauptgewinn!

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Bayreuther Festspiele: „Siegfried“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele: „Siegfried“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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Siegfried 

Als Wanderer führt Tomasz Konieczny im „Siegfried“ seine donnernde Stimmpracht schon bei der Wissenswette so eindrucksvoll vor, dass dem Mime Arnold Bezuygen allein schon davon angst und bange wird.

Es gehört zu den komödiantisch unterhaltsamsten Szenen dieser Inszenierung, wenn sich Alberich (Olafur Siguardson) und Wotan als Konkurrenten um das Erbe am Luxuspflegebett des mittlerweile alten und kranken Baulöwen Fafner (Tobias Kehrer) einfinden. Der kann sich zwar nur noch mit Rollator bewegen, grabscht aber nach der Krankenpflegerin (Alexandra Steiner), die es als Waldvogel lieber mit Siegfried hält. Der taucht hier an der Seite des armen Verwandten Mime und gänzlich ohne Manieren ausgerechnet hier auf, um das Fürchten zu lernen. Er schlägt zwar Fafner die Gehhilfe weg, ist aber doch völlig erstaunt, dass die gesamte Bagage dem Herzinfarkt von Fafner zusieht und dem am Boden liegenden jede Hilfe verweigert. Das Personal quittiert nach dessen Tod sofort den Dienst. Auch der inzwischen herangewachsene Goldjunge, den Alberich einst entführt hatte und dann an Wotan und schließlich an Fafner weiterreichen musste, schaut da nur zu. Er schließt sich zwar Siegfried an, ist dann aber doch frustriert, als der die gut verpackte Brünnhilde ganz für sich allein auspackt und ihrem Bewacher (dem Grane-Mannsbild) entreißt. Dass aus dem eh schon traumatisierten und jetzt erneut frustrierten Hagen nichts Gescheites mehr werden kann, ist da schon klar. … 

An dieser Szene im großzügigen Loft hat man vor allem dann seine Freude, wenn man sich der Lesart des Rings als Geschichte eines Clans nicht verweigert und sich darauf einlässt, den Ring auch im personifizierten Wechsel auf die Zukunft zu sehen. Dass hier der junge Hagen und Jung-Siegfried gleichsam wie zwei Seiten einer Option gedacht werden, das hat dialektischen Witz. In seiner Überarbeitung hat Schwarz das in der „Götterdämmerung“ noch einmal aufgegriffen und verdeutlicht! 

Dank einer detailfreudigen und packenden Personenführung kommt szenischer Witz hinzu. Wenn Siegfried daheim bei Mime (im Kellergeschoss des Anwesens) die Puppenbagage kurz und klein schlägt. Oder wenn Wotan die stark gealterte Erda (Okka von der Damerau) zunächst mit einer der Nornen verwechselt. Oder, wenn Siegfried sein Frauenbild (aus dem Playboy) mit der vollverhüllten Brünnhilde, die ihm im dritten Siegfried-Akt entgegen schreitet, vergleicht.

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Bayreuther Festspiele: „Götterdämmerung“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele: „Götterdämmerung“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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Götterdämmerung

Selbst wenn man dem prinzipiellen Ansatz von Schwarz im vorigen Jahr schon gefolgt war, so hat die „Götterdämmerung“ nach ihrem Werkstatt-Aufenthalt jetzt einen deutlich stimmigeren Schluss. Fällt jetzt im Finale der Rundhorizont hinter dem deprimierend ausgetrockneten Pool, so sieht man inmitten des eiskalten Neonröhren-Feuerzaubers einen tropfenden, erhängten Wotan. Im Pool hatte sich Brünnhilde mit Benzin übergossen (und nicht angezündet) und zum ermordeten Siegfried gelegt. Anders als im Vorjahr gelingt diesmal wenigstens dem Kind von Brünnhilde und Siegfried die Flucht aus dem Desaster. Hoffentlich in eine Welt mit Therapeuten, nach dem es die Ermordung des Vaters und den Selbstmordversuch der Mutter mit ansehen musste. Dass es ausgerechnet vom Mörder seines Vaters getröstet wurde, gehört durchaus zu der Geschichte über Siegfried und Hagen, die an Fafners Krankenbett begann und jetzt schlüssig zu Ende erzählt wird. Der grandiose Mika Kares lässt uns als Hagen nämlich seine Erinnerungen daran und seine Enttäuschung über Siegfried, der ihn einfach wieder vergaß, noch einmal miterleben. Nicht nur die Götter, auch ein notorischer Bösewicht wie Hagen wird hier gleichsam als fehlbarer Mensch zum Opfer seiner selbst. Die ganze Szene im Pool, die im letzten Jahr enttäuschte, wird so zu einem tieftraurigen Finale der Untergangsstory, die der Ring nunmal ist. 

Bis dahin ist es auch in der „Götterdämmerung“ nochmal ein weiter unterhaltsamer Weg mit opulenten Bildern. Das fängt an in den Nobelräumen, die jetzt Siegfried und Brünnhilde als Kleinfamilie mit Kind bewohnen und in denen schon Siegmund und Sieglinde ihre Kindheit verbrachten. Von hier geht Siegfried auf Dienstreise. Hier wird der Besuch von Waltraute zu einem Fiasko, denn Brünnhilde schmeißt die nörgelnde Schwester achtkantig raus. Siegfried landet derweil bei dem aufgedreht albernen Gunther im „who the fuck is grane“ Glitzer-T-Shirt. Mit seiner attraktiven Schwester Gutrune richtet der die sich gerade im Schickimicki-Luxus häuslich ein. Als Siegfried und Gunther ins Appartement von Brünnhilde zurückkehren, wird das zum Ort einer Vergewaltigung in Anwesenheit von deren Kind. Jedes Trauma produziert hier ein neues. Brünnhilde muss (jetzt) auch noch als gut erkennbares Schattenspiel und dann real mit ansehen, wie es Siegfried mit Gutrune treiben. Das versetzt sie höchst nachvollziehbar in Rage und macht ihre Beteiligung am Racheschwur mit Hagen und Gunther verständlicher. Wie schlimm das alles endet, wissen wir schon. Dass das Ganze mit seiner Binnenlogik auch szenisch berührt, liegt natürlich auch an der Crew, die der Festspielchefin zu einem (Um-)Besetzungsglanzstück geriet. 

Neben Schager und Foster sind es in der „Götterdämmerung“ vor allem Michael Kupfer-Radecky, der sich als höchst eloquenter abgedreht spielender Gunther bewährt und (neu) Aile Asszonyi als einer in jeder Hinsicht fantastisch aufgedonnerte Gutrune an seiner Seite. Olafur Sigurdarson als Alberich und Christa Mayer als Waltraute tauchen als vokaler und darstellersicher Gewinn auch im Schlussteil wieder auf. Auch bei den Nornen, Rheintöchtern und dem fabelhaften Chor: kein Manko nirgends. Und eine Inszenierung auf dem Weg zu sich selbst – und vielleicht ja auch zu einem wachsenden Teil des Publikums! 

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