Falstaff
Marc Bodnar als Orson W. in "Falstaff" als recht trauriger Regisseur, der zum Ritter wird.
APA/BARBARA GINDL

Da ist Regisseur Martin Kušej mit seinem plakativen "Figaro" noch glimpflich davongekommen. Im Haus für Mozart war es trocken geblieben, im Gegensatz zum großen Festspielhaus, wo es am Samstag nach heftigem kurzem Unwetter während der Premiere von "Falstaff" an mancher Stelle heruntertropfte und Leute vertrieb. Auch die paar Buhs waren für Kušej wohl leichter zu verschmerzen, als jene Welle an Entrüstung, die sich bei Dirigent Ingo Metzmacher aufzuwärmen schien und sich dann über Regisseur Christoph Marthaler und sein Team in gnadenloser Pracht entlud.

Was hat so erzürnt an jenem Ort, an dem Marthaler schon mehrfach, unter anderem mit Leoš Janáčeks "Die Sache Makropulos", Triumpfe gefeiert hat? Nun bei Giuseppe Verdis "Falstaff" ist Marthaler an den Klischees um die Figur des tragikomischen Ritters von der wohlgenährten Gestalt desinteressiert. Mehr noch. Es interessiert ihn auch nicht primär die Figur des Falstaff. Das heitere Verstelldichein um den Überlebenskünstler, der nicht unterzukriegen ist, wird eher einem Mann der Filmgeschichte gewidmet, dessen Körperfülle dem Falstaff-Klischee nahekam, also Regisseur Orson Welles, der tatsächlich auch einen Falstaff-Film gedreht hat. Auf der Bühne des Großen Festspielhauses entsteht denn auch so etwas wie eine Filmwelt.

Kameras und Angestellte

Da ist links ein Vorführraum, in dem sich eine Figur namens Orson W. (Marc Bodnar) offenbar Teile seines Falstaff-Films ansieht, während in Schellackqualität aus der Ferne die Schlussfuge der Oper einherkrächzt. In der Mitte des Riesenraumes dann Filmset, Kameras und Angestellte, die nicht im Streik sind, wie gerade in Hollywood. Man dreht Szenen, man sieht später auch Orson W., wie er seinen Falstaff-Darsteller bearbeitet. Rechts sind dann auch zwei Wohneinheiten mit Schwimmbad zu sehen, wo später auch Orson W., der gerne einen hebt und Zigarren raucht, sich tummeln wird.

Sein Falstaff-Darsteller ist schlank und verweigert angeekelt das Umschnallen eines Bauchpolsters. Dafür wirft er irgendwelche Pillen ein, um die Dreharbeiten durchzuhalten. Die Inszenierung wirkt dann auch bald so, als hätte sie etwas Vernebelndes zu sich genommen. Das Ganze verschwimmt nach und nach bei Marthaler zu einem Match zwischen Oper und Filmdrehrealität, in dem ein Identitätsspiel stattfindet. Orson W. wird immer mehr zu Falstaff, statt ihm plumpst er in den Pool. Am Ende torkelt er tatsächlich in einer mittelalterlichen Rüstung herein und kommt im Filmvorführraum erschöpft zu sitzen, verbittert "tutti gabbati" zu grölen.

Zwischen den Beinen

Mag sich der echte Orson Welles selbst mit der Figur bis zur Identifikation auseinandergesetzt haben (es gibt von ihm Fotos in der Rüstung) und tatsächlich einen Falstaff-Film gedreht haben. Es wird aus der neuen Marthaler-Geschichte keine wirklich konsequente und überzeugende Neuerzählung. Gerald Finley, der sich wegen Laryngitis ansagen ließ, sich aber sehr respektabel hielt, zeichnet Sir John Falstaff bauchlos als melancholischen, illusionslosen Schauspieler, der die Falstaff-Figur nur widerwillig markiert. Um ihn herum Uneindeutigkeit zwischen Opern- und Filmdrehszene und die bekannten slapstickartigen Extrapolationen einzelner hinzugedichteter Marthaler-Figuren.

Immerhin bei der Tumultszene im Finale des zweiten Aktes, wenn Orson W., der wie ein Zauberlehrling wirkt, dem die Kontrolle entgleitet, etwas szenische Verdichtung: Falstaff und Orson W. verknoten sich ineinander, Finley versteckt sich zwischen den Beinen des Filmregisseurs, während eine stumme Figur das Reinfallen in den Pool zelebriert und eine andere sich in einem gordischen Knoten aus Kabeln zu lösen versucht. Der am Schluss von allen Verlachte trägt hier nur ein T-Shirt mit Hörnern drauf, was auch symptomatisch fürs Ganze ist: Das Spiel mit Realität und Fiktion bleibt in Summe eine in sich verzettelte Angelegenheit, die weder der Figur Falstaff noch jener von Orson Welles gerecht wird.

Gute Stimmen

Am meisten Bühnenleben hatte noch Simon Keenlyside als profund singender, komischer Ford. Vokal ist in Summe Qualität im Spiel: Bogdan Volkov überzeugt als Fenton, Giulia Semenzato zeigt als Nannetta lyrisch-edelste Qualität in den Höhen, delikates Timbre präsentiert Elena Stikhina als Alice. Gut Thomas Ebenstein als Dr. Cajus, Michael Colvin als Bardolfo, Jens Larsen als Pistola, Tanja Ariane Baumgartner als Mrs. Quickly und Cecilia Molinari als Mrs. Meg Page.

Dirigent Ingo Metzmacher versucht es mit den Wiener Philharmonikern pointiert, analytisch und schlank. In diesem großen Raum kommt das Zarte nur bisweilen prägnant und beschwingt rüber, schlimm wird es aber bei exponierten Stellen. Da werden die Sängerinnen und Sänger bisweilen zugedeckt und es klingt eher derb. Hier hat man die Akustik des Raumes nicht bedacht. So fehlt der Bühne dieser speziell elegant-rasante Erzählfluss der Oper, insofern auch deren Leichtigkeit. Und es fehlt dem Orchestralen jenes Charisma, welches bei diesem raffinierten Werk aus einer Verbindung von struktureller Eleganz und emotionalem Gehalt auflebt. (Ljubisa Tosic, 13.8.2023)