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Jesus wird getötet – und natürlich sind die Flüchtlinge schuld

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Wo Nächstenliebe geopfert wird – Szene aus der Martinů-Oper Wo Nächstenliebe geopfert wird – Szene aus der Martinů-Oper
Wo Nächstenliebe geopfert wird – Szene aus der Martinů-Oper
Quelle: dpa
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Der Regisseur Simon Stone hat mit Bohuslav Martinůs Oper „Die griechische Passion“ für einen Triumph der Betroffenheit gesorgt. In einem kleinen Dorf proben die Bürger den Tod von Jesus, als Geflüchtete auftauchen und um Asyl bitten. Was sich dann entwickelt, ist das Stück der Stunde.

Flüchtlingsströme ziehen vorbei. Schon wieder. Immer noch. Diesmal landen sie mit Bohuslav Martinůs außenseiterischer Oper „Die griechische Passion“ in der Felsenreitschule – und keiner sage, die Salzburger Festspiele schotten als amüsierfreudiges Touristenspektakel ihren Willen zur Kunst von der Wirklichkeit ab. Anderseits machen sie sich aber auch nicht mit dem bisweilen trüben News-Alltag da draußen gemein und beharren in der geschützten Bühnensphäre auf ihrem eigenen ästhetischen Anspruch.

Nach vier eher gestrigen, bedeutungshubernden Operndeutungsversuchen mit Loy, Kušej, Warlikowski, Marthaler kommt mit dem 38 Jahre alten australisch-schweizerischer Theater-, Film- und Opernregisseur, Autor und Schauspieler Simon Stone der jüngste im Männer-Regiequintett zum Zuge. Auch der ist schon zum dritten Mal da, aber hat seine bisweilen auch lästigen Attribute, Überschreibungen, Drehbühne, viele, sehr viele Videos zu Hause gelassen.

Lizzie Clachan hat ihm in die mal schwierige, mal überwältigende Salzburger Felsenreitschule hohe, schmucklos grauweiße Wände und einen ebensolchen Boden hineingebaut. Ein monströser Raum der Neutralität. Der am Ende freilich verletzt ist. Denn dann haben, im Namen der Mehrheit, drei an Seilen heruntergelassene Maler „Refugees out!“ an die Mauern geschrieben.

Das steht so da, in Orange, als böses Fanal. Und drunter liegt der wiedererstandene Christus in seinem Blut, von Judas ermordet auf Befehl des Priesters. Sein Kopf wird von zwei Frauen gehalten, von seiner ehemaligen Braut, die gerade einen anderen geheiratet hat und von seiner Geliebten Maria Magdalena.

Das sieht ein wenig aus wie Oberammergau, und das soll auch so sein. Dazu hat die versammelte Gemeinde aus Tätern und Opfern versöhnliche Kirchenhymnen gesungen. Die Heimatlosen verlassen jetzt diesen Ort, wo sie nicht willkommen waren. Und das Licht erlischt. Großer betroffener Beifall.

Szene aus Simon Stones modernem Passionsfestspiel
Szene aus Simon Stones modernem Passionsfestspiel
Quelle: dpa

Es geht eben doch. Und es ist so einfach. Nach einem langen Salzburger Sommer des Opernmissvergnügens mit abstrusen, klischeehaften Konzepten und nicht funktionierenden Verschlimmbesserungen biegt der dortige Spielplan dann doch noch mit einer höchst gelungenen Produktion in die Zielgerade. Bei dem ein durchaus deutungswilliger, autoritärer Regisseur sich einfach einmal in Demut ergeht („das Ego vergessen“ ist seine Parole), auf Überhöhung, Verfremdung, Kommentierung und scheinbare Aktualisierung verzichtet. Stattdessen konzentriert er sich auf sein Können und sein Vorstellungsvermögen – und ein nicht eben bekanntes, aber genau zum richtigen Moment nun gespieltes Stück, einfach mal so, wie es dasteht. Und alle sind so ergriffen, wie begeistert.

Bohuslav Martinů, selbst durch die politischen Verhältnisse des 20. Jahrhunderts als Tscheche immer wieder ein Flüchtling, hatte für das Londoner Royal Opera House Covent Garden ein Musiktheater nach einem Roman des „Alexis Sorbas“-Autors Nikos Kazantzakis geschrieben: „The Greek Passion“. 1957 wurde die erste Fassung, die erst 1999 in Bregenz in einer Rekonstruktion szenisch uraufgeführt wurde, abgelehnt; eine komplett umgearbeitete Version ist erst nach dem Tod des Komponisten 1961 von Paul Sacher in Zürich gespielt worden. Auf Deutsch.

In Salzburg – im originalen Englisch – hört und sieht man jetzt diese Zweitfassung als eine querständige Oper, engagiert, könnerisch und packend, aber auch bisweilen durch ihre Polystilistik wenig greifbar und gewollt seltsam naiv. Immer am Rande des Gutmenschen-Kitsches, aber eben nicht umkippend. Tugenden und Fehler, von denen die immens gelungene szenische wie musikalische Umsetzung durch Stone und den animierenden Dirigenten Maxime Pascal keine Sekunde ablenkt sie aber demütig umarmt.

Jesus wird noch einmal getötet

Kazantzakis, der vor allem den oft unmenschlichen Atavismus griechischer Dorfgemeinschaften anprangert, und Martinů schildern ein ritualisiertes, unabwendbares Geschehen. Der machtbewusste Dorfpfarrer vergibt die Rollen für das nächstjährige Passionsspiel. Die Auserwählten setzen sich mit ihren Charakteren auseinander. Jesus, Johannes, Petrus, Maria Magdalena und Judas nehmen schleichend Besitz von ihren naiven Spielern.

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Parallel dazu erscheint, ebenfalls von ihrem Popen angeführt, eine von den Türken vertriebene, ebenfalls griechische Dorfgemeinschaft, die sich – wenig willkommen geheißen – außerhalb auf einem Berg einquartiert. Als der Jesus-Darsteller Manolios zu sehr mit diesen, den Einflussbereich des Pfarrers bedrohenden Elementen sympathisiert, lässt der Kirchenobere ihn töten. Am Weihnachtsabend ziehen die Flüchtlinge weiter.

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Diesen schnell durchschauten Vorwurf um den zentralen Begriff „Nächstenliebe“ verbrämt der ewige Emigrant Bohuslav Martinů, dessen musikalisches Schaffen ihn immer neu als Chamäleon ausweist, das sich nie klanglich festlegen lässt, mit einer zwischen den Zeiten und Stilen stehenden, mal tonalen, mal atonalen Musik. Die oft hart geschnittenen, gegeneinander montierten Szenen in vier Akten haben filmisches Tempo, dann aber wieder ziehen sie sich gleichförmig hin.

Ein fragmentarisches, bisweilen hörspielhaftes, seltsam ungleichgewichtiges Werk, das seine anrührende Aussage nicht immer in den dramatischen Griff bekommt. Frauen spielen kaum eine Rolle. Eine moderne Passion; manchmal eher als folkloristisches Getümmel zwischen der kantigen Tragödie, die die Partitur harsch meißelt. Da gibt es Fetzen von Strawinsky, Anklänge an Orff, auch Messiaen, gregorianische Mystik, Impressionismus, Einfachheit und Komplexität. Scheinbar Leichtes, Klares kippt in sanften Übergängen immer wieder in harmonisch Überraschendes.

Die geistige Enge eines Dorfes

Simon Stone inszeniert das so einfach und ohne Überraschungen. Mel Page hat den wie eine tönende Skulptur langsam hereinkommenden und frontal verharrenden Chor der Dorfbewohner in grau changierende zeitlose Stoffe gesteckt. Sein Raum atmet zwar Weite, aber die zwei schmalen Auf- und Abgänge lassen die auch geistige Enge des Dorfes ahnen, in dem der Pope (harsch: Gábor Bretz alle beherrscht). Wie Genrebildchen zeigen sich hinter kleinen Fenstern, Glockenschläger, ein Akkordeonspieler.

Die Flüchtlinge hingegen, angeführt von ihrem eloquenteren Priester Fotis (mit farbigem Bassbariton: Lukasz Golinski) kommen immer wieder im Gänsemarsch über den wie ein Himmelsteig über der Bühnenwand sichtbaren dritten, aus dem Mönchsbergstein geschlagenen Arkadengang gestapft. Sie tragen bunte Funktionskleidung, haben Rucksäcke und Zelte dabei. Sie sind die anderen, die Außenseiter.

Mörder im Zeichen des Kreuzes
Mörder im Zeichen des Kreuzes
Quelle: AFP

Langsam schälen sich die Individuen aus der Masse: der schnell begreifende Händler Yannakos als Petrus (eine schöne Partie für den Tenorveteran Charles Workman), Kaffeehausbesitzer Konstandis als Jakobus (Alejandro Baliñas Vieites), der Grundbesitzersohn Michelis als Johannes (Matthäus Schmidlechner), Panais als unwilliger Judas (laut: Julian Hubbard), die gerne flirtende Katerina als Maria Magdalena (Sara Jakubiak zeichnet sie sopranstark in ihren kurzen Momenten), Lenio (Christina Gansch, ganz rührende Einfalt).

Und natürlich der Hirte Manolios, der sich Jesus nicht würdig weiß, aber auch optisch immer mehr mit diesem Vorbild verschmilzt. Der klare Tenor Sebastian Kohlhepp bringt das Kunststück fertig, zugleich nazarenerhaft süßlich und doch distanziert neutral zu klingen, diesen arg simplen Charakter überzeugend zu spielen und trotzdem neben ihm zu stehen.

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Alles ist hier eigentlich direkt, deutlich und vorhersehbar. Aber Simon Stone, der grandios atavistische Wiener Staatsopernchor und die von Maxime Pascal unermüdlich mit langen Armschwüngen nicht nur dekorativ animierten, höchst plastisch wie temperamentreich aufspielenden Wiener Philharmoniker machen das klangschön wie nuancenreich als Hörerlebnis spannend. Da hätte es gar kein rosa Konfetti oder zarte Schmetterlingsprojektionen gebraucht.

Und es gehört zu Salzburgs bisweilen beglückender Doppeldramaturgie, dass es schon am Morgen vor Martinůs Stück im Philharmoniker-Konzert unter dem majestätischen Riccardo Muti schon zwei, ganz nüchtern schön vorgetragene Passionen gab – zwei der späten geistlichen Stücke Giuseppe Verdis und Anton Bruckners dem Gedenken Wagners gewidmete 7. Sinfonie.

Deren Botschaft wie die von Martinůs Oper ist deutlich, und sie könnte nicht besser platziert sein: Fremd sind sie eingezogen, fremd ziehen sie wieder aus. Und in Russland unterstützen die Kirchen den Krieg. Festspiele können das nicht verhindern. Aber sie können es durch Kunst spiegeln. Das haben sie in Salzburg an diesem, lange nachklingenden Abend endlich getan.

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